AKTIONäRE SORGEN SICH UM RUF DER LUFTHANSA

Die erste Antwort bekamen die Aktionäre der Deutschen Lufthansa schon, bevor der Konzern am Dienstag seine virtuelle Hauptversammlung eröffnet hatte. Es ging um die Frage, wer sich denn künftig um die Konzernfinanzen kümmert. Bekannt war nur, dass Finanzvorstand Remco Steenbergen ausscheiden und Personalvorstand Michael Niggemann sich vorübergehend zusätzlich kommissarisch um die Bilanz kümmern solle.

Am Vorabend, gerade noch rechtzeitig zur Hauptversammlung, war der Aufsichtsrat dann fündig geworden und präsentierte Till Streichert als Nachfolger. Am 15. September soll der bisherige Finanzchef des Reise- und Luftfahrtsoftwareunternehmens Amadeus bei Lufthansa anfangen.

Unter den Anteilseignern hatte sich viel Unmut aufgestaut. Daran ändert nichts, dass Vorstandschef Carsten Spohr erinnerte, dass Lufthansa 2023 mit einem bereinigten operativen Ergebnis von 2,7 Milliarden Euro das „drittbeste Jahr“ in der Konzerngeschichte abgeschlossen habe. Die Kundennoten für Lufthansa sind derart abgesackt, dass die Voraussetzung für die daran geknüpfte Komponente der Vorstandsboni zu gerade mal 22,5 Prozent erfüllt war.

Aufgeschreckt hatte auch der im Februar verkündete Radikalumbau des Vorstands, der durch den Wechsel Steenbergens zum Pharmakonzern Sandoz noch größer wurde. Zum Ausscheiden von vier der sechs Vorstände gab es Anzeichen, dass in der Führung mehr gestritten wurde, als für den Konzern dauerhaft gut ist.

„Nie waren unsere Herausforderungen so groß, aber unsere Chancen waren auch nie größer“, versuchte Spohr sich an einem optimistischen Ausblick. Hendrik Schmidt von der Fondsgesellschaft DWS diagnostizierte aber ein „Servicechaos“ und lästerte über eine „schleppende Einführung“ einer neuen Kabinenausstattung. Die war zum Monatsbeginn – sieben Jahre nach der Ankündigung – im ersten Flugzeug gestartet. Damit sei es auf dem Weg zu zufriedeneren Kunden nicht getan. Anspruch der Lufthansa müsse es sein, „mehr als den Transportauftrag einschließlich Gepäck zu erfüllen“, sagte Schmidt.

„Vorstand mit sich selbst beschäftigt“

Ingo Speich von der Fondsgesellschaft Deka rügte: „Der Vorstand war so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass der strategische Ausbau ins Stocken geraten ist.“ Aus Sicht des Kapitalmarktes sei ein stabiler und funktionierender Vorstand elementar. „Das war hier nicht mehr gegeben“, urteilte er. Wenn die niedrige Kundenzufriedenheit anhalte, könnte die Marke Lufthansa beschädigt werden.

Die Entwicklung des Aktienkurses war 2023 aus Speichs Sicht schon betrüblich: „Nach einem steilen Steigflug ging die Aktie in den kontinuierlichen Sinkflug über, der Absturz konnte zum Schluss nur knapp verhindert werden.“ Nach dem Jahreswechsel hatten die Ankündigung des Vorstandsumbaus und zahlreiche Streiks, die Kunden um Reisen brachten, noch zu einem Abrutschen geführt. Aktuell ist die Lufthansa-Aktie rund ein Viertel weniger wert als im Mai vor einem Jahr.

Die Aussicht auf die ersten Dividenden nach der Corona-Krise konnte nicht alle Aktionäre versöhnlich stimmen. Sie erhalten 30 Cent je Anteil, damit werden 21 Prozent des Konzerngewinns ausgeschüttet. Die Quote liegt am unteren Ende der Spanne, an der sich Lufthansa für ihre Dividendenkalkulation orientiert. Sie reicht von 20 bis 40 Prozent des Gewinns. Schmidt von der DWS bezeichnete die aktuelle Ausschüttung angesichts der bevorstehenden Milliardeninvestitionen in modernere Flugzeuge als „angemessen“.

„Kritische Entwicklung der Kundenzufriedenheit“

Marc Liebscher von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) sah es anders. Nach Jahren ohne Dividende sollte die aktuelle Ausschüttungsquote eher bei 30 Prozent liegen. Es wäre auch nicht zu viel, wenn langfristig regelmäßig 40 bis 60 Prozent des Gewinns an die Aktionäre flössen. Andere Anteilseigner hatten beantragt, schon diesmal eine höhere Summe auszuschütten, die Mehrheit stimmte aber für die vorgeschlagene Dividende.

Die Missstimmung in der Versammlung hatte Aufsichtsratschef Karl-Ludwig Kley wohl erwartet. Er äußerte sich auffallend ausführlich zum Management und zu den zuletzt sehr streikbereiten Beschäftigten. Die „kritische Entwicklung der Kundenzufriedenheit“ sei mehrfach Thema im Kon­trollgremium gewesen. „Premiumqualität herzustellen ist Aufgabe des Gesamtvorstands“, mahnte er. Mit den neuen Flugzeugsitzen und Verbesserungen in der Smartphone-App sei aber nun die „Talsohle durchschritten“.

Schärfer waren Kleys Worte zu den jüngsten Tarifkonflikten. „Es ist Maß und Mitte verloren gegangen“, sagte er über Forderungen und schnell ausgerufene Ausstände. Begleitet worden sei dies durch einen „unverschämten Ton“, durch Maßlosigkeit und Verdrehungen in sozialen Medien und Chatgruppen. Wenn sich daran nicht bald etwas ändere, sehe er bei Lufthansa die traditionelle Sozialpartnerschaft von Unternehmen und Tarifparteien in Gefahr.

Lufthansa hatte erklärt, dass wegen der Ausstände durch Kompensationen für Betroffene und ausgebliebene Buchungen im ersten Quartal ein Schaden von 350 Millionen Euro entstanden sei. Für das zweite Quartal kämen noch Einbußen von 100 Millionen Euro hinzu. Das Ziel, mindestens das operative Ergebnis des Vorjahres zu erreichen, hat der Konzern gekürzt. Spohr rechnet nun mit einer konfliktärmeren Zeit. „Ich bin sicher, dass der Schock, welcher Schaden im ersten Quartal entstanden ist, zum Nachdenken geführt hat.“

Lufthansa sieht sich als “Europas Home-Carrier“

Der Vorstandschef verteidigte die Absicht, mit zunächst 41 Prozent bei der italienischen Airline ITA einzusteigen und diese später komplett zu übernehmen. „Kunden aus Italien bekommen dadurch mehr Auswahl, sonst könnten sie aus Rom nur noch mit amerikanischen Fluggesellschaften in die USA fliegen“, sagte Spohr. Die EU-Kommission prüft vertieft, ob der Lufthansa-Plan den Wettbewerb einschränkt.

Um Bedenken in Brüssel auszuräumen, habe Lufthansa am Montagabend ein erweitertes Paket möglicher Zugeständnisse eingereicht, sagte Spohr. Details nannte er nicht. Die EU-Kommission hatte deutlich gemacht, dass die Abgabe von Startslots an Flughäfen wie Mailand-Linate, an denen Lufthansa und ITA zusammen dominieren, nicht genüge.

Spohr erwartet eine Freigabe des ITA-Einstiegs im Sommer. Nach ITA interessiert sich Lufthansa für die Gesellschaft TAP , die Portugals Regierung privatisieren will. Die Strategie, Lufthansa internationaler zu machen, stärke nicht nur den Konzern, den Spohr als „Europas Home-Carrier“ bezeichnete.

Sie sichere auch die internationale Vernetzung europäischer Staaten. Es stimme ihn als überzeugten Europäer nachdenklich, dass Europa sich nicht allein verteidigen oder mit Energie versorgen könne. „Wenigstens die Möglichkeit, uns selbst mit der Welt zu verbinden, sollten wir erhalten“, sagte Spohr.

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