ALSTOM: DER ZWEITGRößTE ZUGBAUER DER WELT IN TURBULENZEN

Rund 92 Milliarden Euro – das ist der Wert an Aufträgen, auf denen Alstom inzwischen sitzt. Weil die Bahn als klimafreundliches Verkehrsmittel auf der ganzen Welt gefragt ist, kann sich der französische Zughersteller vor Nachfrage kaum retten. Ob Europa, Amerika oder Asien, überall wird kräftig in das Schienennetz investiert. Zum Vergleich: Umgesetzt hat Alstom im abgelaufenen Geschäftsjahr nicht einmal 18 Milliarden Euro.

Das komfortable Auftragspolster ermögliche eine hohe Sichtbarkeit für die kommenden Jahre, betonte die Geschäftsführung auf der Bilanzpressekonferenz am Mittwoch. Alstom ist der zweitgrößte Zughersteller der Welt hinter der chinesischen CRRC und baut unter anderem den Hochgeschwindigkeitszug TGV. Nach der geplatzten Fusion mit Siemens Mobility hat sich der Konzern die Zugsparte des kanadischen Wettbewerbers Bombardier Transport einverleibt.

Trotz der scheinbar glänzenden Aussichten lief es für die Franzosen zuletzt jedoch alles andere als rund. Ein Grund sind Altlasten, die Alstom nach der Übernahme des Bombardier-Geschäfts mit sich herumschleppt. Die Kanadier sollen mit Billigangeboten besonders aggressiv um Aufträge gebuhlt haben, was teure Nacharbeiten und hohe Strafen nach sich zogen.

Investoren alarmiert

Zweiter Grund ist ebenjenes rasante Auftragswachstum. Es hat in Verbindung mit Lieferketten- und Auslieferungsproblemen die im Zugbau ohnehin beträchtlichen Lagerbestände stark anschwellen lassen – finanzielle Belastungen, welche die Geschäftsführung im Herbst dazu veranlasst haben, einen negativen Mittelzufluss (Cashflow) zu erwarten. Investoren reagierten alarmiert. Von der Ratingagentur Moody’s schon abgestraft, beschleunigte der Aktienkurs daraufhin seine Talfahrt und fiel auf den niedrigsten Stand seit Anfang der 2000er Jahre. Im Frühjahr ist Alstom aus dem französischen Aktienleitindex CAC 40 geflogen.

Eine Kapitalerhöhung in Höhe von knapp einer Milliarde Euro soll dem Konzern nun Luft zum Atmen verschaffen und die Märkte beruhigen. Das Vorhaben war im Herbst als Möglichkeit angedeutet worden und wurde von der Geschäftsführung am Mittwoch bestätigt. Auch kündigte sie die Ausgabe einer Hybridanleihe in Höhe von 750 Millionen Euro an. Daneben schreitet der angekündigte Abbau von rund jeder zehnten Stelle im Vertrieb und der Verwaltung voran.

Gleiches gilt für die Veräußerung von Vermögenswerten, die rund 700 Millionen Euro in die Kassen spülen sollen. Der Großteil davon entfällt auf den Verkauf des nordamerikanischen Bahnsignaltechnikgeschäfts an das Münchner Unternehmen Knorr-Bremse. Alles in allem will die Geschäftsführung durch diese Transaktionen 2,4 Milliarden Euro generieren und davon 2 Milliarden Euro für den Schuldenabbau verwenden.

Schlechte Kommunikation

Konzernchef Henri Poupart-Lafarge räumte am Mittwoch Fehler ein. „Wir hatten ein Steuerungs- und Kommunikationsproblem“, sagte er der französischen Zeitung „Le Figaro“. Man habe die Volatilität des Cashflows und die Saisonalität der Aktivitäten „unterschätzt und schlecht kommuniziert“. Doch zugleich bemühte er sich um Zuversicht. Denn mit rund 300 Millionen Euro betrug das Minus das Zweiundhalbfache des Nettoverlusts aus dem vorherigen Geschäftsjahr. Alstom habe in der zweiten Jahreshälfte seine Rentabilität verbessert.

Der Cashflow habe im oberen Bereich des Zielwerts gelegen. In der zweiten Hälfte des neuen Geschäftsjahrs soll er wieder positiv werden, die Geldverbrennung also enden. In Konzernkreisen hebt man außerdem das verstärkte Insourcing selbst von Komponenten mit geringer Fertigungstiefe wie Kabel hervor. Das soll gegen künftige Lieferkettenstörungen wappnen. Die Börse reagierte am Mittwoch positiv. Schon in den vergangenen Wochen hatten Anleger und Analysten die Alstom-Aktie wieder etwas höher bewertet, wenngleich der Konzern mit kaum mehr als 6 Milliarden Euro Börsenwert ein Leichtgewicht und weit entfernt vom langjährigen Mittel bleibt.

Konfliktträchtig bleibt für Alstom bei der Sanierung darüber hinaus die Lage in den deutschen Werken. Arbeitnehmervertreter werfen dem Konzern vor, sich nicht an die Vereinbarungen eines vor einem knappen Jahr geschlossenen Zukunftstarifvertrags zu halten und unter anderem versprochene Investitionen zurückzuhalten. „Die Situation ist objektiv komplex“, räumte Poupart-Lafarge im Gespräch mit Journalisten am Mittwoch ein. „Es gibt Überkapazitäten an unseren Standorten, die mit den früheren Marktverlusten von Bombardier in Deutschland zusammenhängen“.

Bekannte Probleme

Es sei „nichts Neues“, dass dies eine der Regionen sei, in denen die Kanadier die größten Schwierigkeiten gehabt hatten und das Vertrauen der Kunden gestört wurde. Man stehe mit den Gewerkschaften in einem „kontinuierlichen, ständigen und vertrauensvollen Dialog, um die besten Lösungen für die Zukunft aller deutschen Standorte zu finden“.

Zuletzt beschäftigte Alstom an seinen 13 deutschen Standorten rund 9.600 Beschäftigte. Ob für die beiden ostdeutschen Standorte in Görlitz und Henningsdorf bei Berlin die Schließung droht, wollte Poupart-Lafarge nicht beantworten. Er betonte, viel in die Produktion in Deutschland investiert und das Vertrauen der Kunden zurückgewonnen zu haben. Man exportiere von dort aus auch viel nach Skandinavien und habe außerdem die Produktion von Zügen von Rumänien nach Deutschland verlagert, um die ostdeutschen Werke besser auszulasten.

Auch Züge für den israelischen Markt könnten in Ostdeutschland gefertigt werden. Das seien „enorme Anstrengungen“, sagte Poupart-Lafarge, der nur noch wenige Wochen in alter französischer Tradition den Posten des Geschäftsführers und Verwaltungsratspräsident in Personalunion bekleidet. Von Ende Juni an ist er nur noch Geschäftsführer und wird ihn der frühere Chef des Triebwerksherstellers Safran, Philippe Petitcolin, als Verwaltungsratspräsident beaufsichtigen. Der Finanzchef wurde vergangenes Jahr schon ausgewechselt.

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