APEROL IST OUT? VON WEGEN. DAS WERK IN NOVI LIGURE HAT DIE KAPAZITäTEN VERDOPPELT

Manche Frühlingstage der letzten Wochen boten einen Vorgeschmack auf den Sommer. An diesen Tagen sieht man auf den Sonnenterrassen bereits zur Mittagszeit leuchtend orange Cocktails. Den Campari-CEO Matteo Fantacchiotti freut das. Denn der Aperol Spritz ist der Kassenschlager des italienischen Spirituosenkonzerns.

Fantacchiotti, der erst vor wenigen Wochen die Nachfolge des langjährigen Konzernchefs Bob Kunze-Concewitz angetreten hat, verdoppelt nun die Aperol-Produktion in Novi Ligure. Es ist das grösste Werk des Campari-Konzerns und liegt knapp 60 Kilometer nordwestlich von Genua. 75 Millionen Euro hat Campari investiert, und 30 Prozent der Produkte werden hier produziert.

Bis zu 100 neue Terrazze Aperol

Die Fabrik ist sichtlich auf Zuwachs ausgelegt. Zahlreiche Flaschen laufen über die Produktionsbänder, die mehrere hundert Meter lang sind. Nur fünf Tage dauert der Produktionsprozess. Die Geschmacks- und Aromastoffe aus Kräutern und anderen Zutaten werden extrahiert und in riesigen silbernen Metalltanks zusammengemischt. Schliesslich wird die Flüssigkeit in Flaschen abgefüllt und verpackt. Die Herstellungszeit des roten und deutlich bittereren Campari dauert vier Wochen. Das Rezept ist bis heute streng geheim.

Ginge es nach Fantacchiotti, würden die Verbraucher den mit 8 bis 8,5 Prozent relativ alkoholarmen Aperol Spritz quasi rund um die Uhr konsumieren. Mittags zum Essen, Nachmittags im Café und am Abend als Apéritif – und zwar nicht nur im Sommer, sondern auch im Frühling, Herbst und Winter. Laut Fantacchiotti ist das in Italien, dem zweitwichtigsten Markt, bereits der Fall. In Deutschland, der Nummer drei, sei man auf dem Weg dazu. Und auch in den USA, dem wichtigsten Markt, hat sich der Konzern ambitionierte Ziele gesetzt. In den USA und in Asien will der Campari-Konzern den Aperol Spritz auch abseits der grossen Metropolen ausrollen.

Wer hätte das gedacht, als Campari im Jahr 2003 den kleinen Produzenten aus Venedig übernahm? Seither ist die Produktion mehr als verzwanzigfacht worden. Heute steht Aperol für rund einen Viertel der Verkäufe der Gruppe. Campari will in Europa etwa 50 bis 100 Aperol-Bars eröffnen, sogenannte Terrazze Aperol. Als Vorbild dazu dient die Flaggschiff-Bar in Venedig.

Doch Campari hat noch viel mehr Produkte im Sortiment. Auch der Wermut Cinzano, Schaumweine (Asti Spumante), das alkoholfreie Aperitif-Getränk Crodino und Campari laufen in Novi Ligure vom Band. Dazu kommt der Campari Soda, der in kleine Fläschchen in Pyramidenform abgefüllt ist. Diese sind, ebenso wie die Werbeposter von Fortunato Depero und anderen Futuristen, längst zu Ikonen geworden. All das kann im im Firmenmuseum am Hauptsitz im Mailänder Vorort Sesto San Giovanni bestaunt werden.

Übernahmen und Investitionen ins Marketing

Der Campari-Konzern ist nicht nur dank dem Aperol stark gewachsen. Insgesamt wurden innert 16 Jahren Übernahmen im Umfang von mehr als vier Milliarden Euro getätigt. Dazu gehörten Apéritifs wie der französische Picon, Bourbons wie die Wilderness Trail Distillery, die Tequila-Premium-Marke Mayenda Tequila, der Digestiv Averna und der Orangen-Likör Grand Marnier. Die grösste Übernahme in der Unternehmensgeschichte war die Cognac-Marke Courvoisier für 1,2 Milliarden Euro. Dank dem Firmensitz und der Kotierung in Amsterdam kontrolliert die Familie Garavoglia, Mehrheitsaktionär des 1860 in Mailand gegründeten Unternehmens, mit weniger als 50 Prozent des Aktienkapitals 84 Prozent der Stimmrechte.

Campari investiert 600 Millionen Euro, um die Kapazitäten in den Bereichen Apéritif, Bourbon, Tequila und Rum zu verdoppeln. Traditionell viel wird in Marketingmassnahmen und Events investiert. Zusammen mit dem Luxusgüterkonzern LVMH hat Campari die E-Commerce-Plattform Tannico erworben.

Die Zahlen sind gut: Der Umsatz, der 2023 auf 2,9 Milliarden Euro gewachsen ist, und der Nettogewinn von 331 Millionen Euro übertrafen die Erwartungen der Analysten. Auch die höhere Dividendenzahlung sowie die Erwartung, 2024 stärker als die Branche zu wachsen, überzeugten.

Viele Analysten hatten ihr Kursziel zuletzt reduziert. Der Grossteil von ihnen empfiehlt dennoch, die Aktie weiter zu halten. Der Aktienkurs ist von 13,47 Euro Ende November 2021 auf 9,50 Euro abgesackt. Binnen zwölf Monaten gab es ein Minus von 21 Prozent, was Fantacchiotti auf den negativen Branchentrend zurückführt. In der Tat haben die Aktien von Konkurrenten wie Pernod Ricard oder Diageo genauso viel oder sogar mehr verloren. Mit einer Marktkapitalisierung von 11,7 Milliarden Euro gehört der weltweit sechstgrösste Spirituosenkonzern dennoch zu den Schwergewichten der Mailänder Börse.

Klar ist, dass der Nach-Corona-Boom vorbei ist. Inflation, steigende Rohstoffpreise und der Abbau von Lagerbeständen haben die Branche 2023 belastet. Nun gibt es zwar Entspannung an der Preisfront, doch die diversen Kriege und Krisen sowie die konjunkturelle Unsicherheit belasten den Sektor.

Campari hält jedoch an der Wachstumsstrategie fest. Investiert wird nicht nur in Novi Ligure, sondern auch an den anderen Standorten. Und in unmittelbarer Nähe des Camparino, der 1867 eröffneten Traditionsbar am Eingang der berühmten Galleria Vittorio Emanuele, hat das Unternehmen für 110 Millionen Euro ein neunstöckiges Gebäude mit 10 000 Quadratmetern erworben. Der künftige Firmensitz soll nun komplett umgebaut und renoviert werden und Campari auch optisch noch präsenter machen in der italienischen Geschäftsmetropole.

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