AUCH DIE ZWEITE RUNDE VOR GERICHT GEHT AN „CORRECTIV“

Das Oberlandesgericht Hamburg hat Beschwerden des Staatsrechtler Ulrich Vosgerau und eines AfD-nahen Unternehmers zurückgewiesen. Der öffentliche Kampf um die Deutungshoheit um die „Correctiv“-Recherche über das Potsdamer „Geheimtreffen“ geht derweil weiter.

Die Rechercheplattform „Correctiv“ kann sich freuen: Bereits vor vier Wochen hatte das Landgericht Hamburg zwei Eilanträge gegen die „Geheimplan gegen Deutschland“-Recherche größtenteils zurückgewiesen.

Diese Beschlüsse hat nun das Oberlandesgericht Hamburg als nächsthöhere Instanz bestätigt. Bislang bleibt es also dabei, dass „Correctiv“ lediglich einen Satz aus dem Ursprungsartikel löschen muss.

Zur Erinnerung: Am 10. Januar enthüllte „Correctiv“ ein „Geheimtreffen“ in einem Potsdamer Hotel, bei dem Rechte angeblich die „Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland“, darunter deutsche Staatsbürger, geplant hatten.

Gerichtsverfahren als Bühne für Kampf um Deutungshoheit

Wie WELT berichtet hatte, fühlte sich der Staatsrechtler Ulrich Vosgerau, der an dem Potsdamer Treffen teilgenommen und dort auch einen Vortrag zum Briefwahlrecht gehalten hatte, in dem „Correctiv“-Artikel falsch wiedergegeben und zog vor das Landgericht Hamburg. Außerdem klagte ein Unternehmer, der in dem Text als „AfD-Großspender“ bezeichnet wurde, gegen seine namentliche Erwähnung.

Aufgrund der politischen Tragweite der Recherche – Hunderttausende Menschen gingen auf die Straße – übten sich beide Seiten in „Litigation-PR“, sprich das Gerichtsverfahren wurde zum Anlass genommen, um auf Social Media und in der Presse einen Kampf um die Deutungshoheit auszufechten.

Obwohl die juristischen Anträge von Vosgerau und dem Unternehmer nur auf die Änderung einiger weniger ihre Personen betreffenden Passagen abzielten, nutzten die Teilnehmer des Potsdamer Treffens die Bühne, die sich ihnen nunmehr bot, um auch den Rest der Berichterstattung in Zweifel zu ziehen. Hierzu reichten sie bei Gericht eidesstattliche Versicherungen ein, die zeigen sollten, dass „Correctiv“ falsch über das in Potsdam Gesprochene berichtet hatte.

Die Journalisten konterten mit eigenen eidesstattlichen Versicherungen und engagierten die PR-Agentur „MSL“. Diesen Schritt begründete „Correctiv“ gegenüber WELT damit, dass man zum ersten Mal „einem solchen konzertierten Angriff über teilweise renommierte Medien, die sich instrumentalisieren ließen“ ausgesetzt gewesen sei. Genauere Angaben zur Dauer und Kosten des Mandats wollte „Correctiv“ nicht machen, lediglich dass man hierfür Spenden von Unterstützern und keine staatlichen Förderungen verwendet habe.

Gericht betont öffentliches Interesse an „Correctiv“-Recherche

Auf das Tohuwabohu ließ sich das Landgericht Hamburg jedoch gar nicht erst ein, sondern entschied nüchtern: Ja, „Correctiv“ durfte den Unternehmer erwähnen. Aber eine von den drei Passagen, die Vosgerau angegriffen hatte, ging zu weit.

Gegen diese Beschlüsse legten beide Kläger sofortige Beschwerde zum Oberlandesgericht Hamburg ein. Dieses musste nun also wieder über die Identifizierung des Unternehmers entscheiden und ob Vosgerau nicht doch auch ein Unterlassungsanspruch hinsichtlich der anderen beiden Passagen zusteht.

Das OLG stärkte der ersten Instanz jedoch den Rücken. Die 9- bzw. 10-seitigen Beschlüsse vom 26. März liegen WELT vor. Aus Sicht der Richter hatte „Correctiv“ richtigerweise berichtet, dass der Unternehmer auf einer Unterstützer-Liste des „Masterplans“ stand und durch seine Spende an eine Wahlprüfungsbeschwerde Vosgeraus zumindest einen Teil des „Masterplans“ finanziell gefördert hatte.

„Correctiv“ habe dagegen nicht – wie von dem Unternehmer behauptet – den falschen Eindruck erweckt, dieser habe an den in Potsdam anwesenden rechtsextremen Kopf der „Identitären Bewegung“, Martin Sellner, gespendet. Da er in den Jahren 2014 bis 2016 insgesamt über 150.000 Euro an die AfD gespendet hatte, durften ihn die Journalisten daher als „AfD-Großspender“ bezeichnen.

Die namentliche Erwähnung des Mannes hielten die Richter ebenfalls für zulässig: Es bestehe ein „äußerst gewichtiges öffentliches Interesse daran, wer außer den Teilnehmern die dort diskutierten Maßnahmen unterstützt hat oder unterstützen will“. Auch eine „Prangerwirkung“ vermochte das Gericht nicht zu erkennen, da dem Unternehmer in dem „Correctiv“-Artikel nur eine „Nebenrolle“ zugekommen wäre.

OLG Hamburg: „Correctiv“ durfte Aussagen verkürzen

Außerdem stellten die Richter klar, dass Journalisten nicht verpflichtet seien, jede ihnen vorliegende Information zu veröffentlichen, sondern eine Auswahl treffen dürften, solange der Sachverhalt durch das Weglassen bestimmter Informationen nicht in negativer Weise für den Betroffenen „entstellt“ werde.

Nach diesem Maßstab sei es zulässig gewesen, dass die „Correctiv“-Autoren in ihrem Artikel die Antworten Vosgeraus auf ihre schriftliche Anfrage, wie er zu den in Potsdam getroffenen „Remigrations“-Aussagen stehe, verkürzt wiedergegeben haben.

In dem „Correctiv“-Text heißt es zu Vosgerau: „An die Sache mit der Ausbürgerungsidee von Staatsbürgern in Sellners Vortrag will er sich nicht erinnern können.“ Vosgerau hatte „Correctiv“ jedoch darüber hinaus geschrieben, seiner Erinnerung nach sei in Potsdam „von niemandem“ gesagt worden, es sollten Personen, die die deutsche Staatsbürgerschaft haben, „irgendwie repatriiert oder ausgebürgert“ werden und dies sei „ja rechtlich normalerweise auch gar nicht möglich“.

Das OLG war jedoch der Ansicht, auch die weggelassenen Informationen hätten Vosgerau nicht weiter „entlasten“ können. Schließlich habe Vosgerau in seiner Antwort gerade nicht erklärt, Sellner hätte gar nicht über „Remigration“ gesprochen, oder dass er selbst aus ethischen oder rechtlichen Gründen gegen einen Versuch sei, auch deutsche Staatsangehörige langfristig zum Verlassen des Landes zu bewegen oder zu drängen. Dass die Teilnehmer des Treffens selbst davon ausgingen, dass es sich bei ihrem „Masterplan“ um ein „Zukunftsprojekt“ handle, das aktuell rechtlich noch gar nicht umsetzbar sei, hat „Correctiv“ laut Gericht in dem Artikel schon deutlich genug gemacht.

Vosgerau hatte sich auch gegen den – aus seiner Sicht durch den Artikel vermittelten – Eindruck gewehrt, er hätte pauschal allen jungen türkischen Wählerinnen abgesprochen, sich eine unabhängige Meinung bei der Briefwahl bilden zu können. Doch auch hier gingen die Richter nicht mit. „Correctiv“ habe im Kontext der Wiedergabe seines Vortrags nur von „jungen Wählerinnen türkischer Herkunft“ ohne Verwendung eines bestimmten Artikels geschrieben. Dafür sei für den Leser erkennbar, dass Vosgerau in Potsdam keine allgemeingültige Aussage, sondern nur eine Aussage „über Teile der benannten Gruppe“ getroffen habe.

Manipulative Methoden oder falsche Narrative?

Kaum waren die beiden Beschlüsse den Klageparteien zugestellt, ging das öffentliche Gezanke weiter. Kläger-Anwalt Carsten Brennecke erklärte, auch wenn die massive Verkürzung der Zitate seines Mandanten nicht verboten wurde, habe das Gerichtsverfahren einen wichtigen Effekt gehabt: „Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit wurde darauf gelegt, mit welchen manipulativen Methoden das ‚System Correctiv‘ bei seiner Berichterstattung arbeitet.“

Indes bezeichnete „Correctiv“-Geschäftsführer David Schraven Brennecke auf „LinkedIn“ als „Verlierer-Anwalt“ und sein Chefredakteur Justus von Daniels warnte davor, „falschen Narrativen auf den Leim zu gehen“. Bei „Correctiv“ nimmt man Brennecke übel, dass er verbreitet habe, ihre Recherche hätte nur auf Werturteilen basiert und „Correctiv“ hätte inzwischen selbst zugegeben, dass in Potsdam gar nicht über die Ausweisung deutscher Staatsbürger nach rassistischen Kriterien gesprochen worden sei.

Tatsächlich wies auch das OLG noch einmal explizit darauf hin, dass „Correctiv“ vor Gericht lediglich klargestellt hatte, die Potsdamer Runde hätte nicht darüber diskutiert, wie man „aktuell“ deutsche Staatsbürger ausweisen könne. Das Bewusstsein, das die rechtlichen Hürden dafür im Moment noch zu hoch seien, sei aber eben Ausgangspunkt für die weiteren Überlegungen gewesen.

„Correctiv“-Anwalt Feldmann erklärte WELT, das Ergebnis des Gerichts sei „klar und eindeutig“: Sämtliche Versuche, „die Berichterstattung von ‚Correctiv‘ durch juristische Verfahren zu diskreditieren“, seien gescheitert.

Nach mehr als sechs Wochen juristischem Tauziehen musste „Correctiv“ also bisher lediglich einen Satz dazu, wie Vosgerau die Erfolgswahrscheinlichkeit von Musterschreiben bei einer Wahlprüfungsbeschwerde einschätzt, löschen. Doch auch das könnte noch fallen, wenn „Correctiv“ gegen den entsprechenden Teil des erstinstanzlichen Beschlusses noch Widerspruch einlegt. Hierfür gibt es keine Frist. Das letzte Wort ist also weiterhin nicht gesprochen.

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