AUDI SETZT ZUR AUFHOLJAGD GEGENüBER BMW UND MERCEDES AN: DER NEUE CHEF UND VIELE NEUE MODELLE SOLLEN DIE KRISE BEENDEN

Vor gut zehn Jahren strotzten Audi und ihr damaliger Chef Rupert Stadler vor Kraft: Die Marke mit den vier Ringen verkaufte einige Jahre in Folge weltweit mehr Fahrzeuge als Mercedes-Benz. Damals erfüllte Audi den Werbeslogan «Vorsprung durch Technik», der den Käufern einen Innovationsvorsprung versprach.

Dann flog im Herbst 2015 der Diesel-Skandal auf, als dessen Keimzelle die Volkswagen-Konzernmarke gilt; Stadler musste gehen und sass wenig später auf der Anklagebank. Auch die 2020er Jahre blieben mit vielen Chef- und Vorstandswechseln sowie IT-Problemen turbulent. Doch jetzt wollen der neue CEO Gernot Döllner und der Finanzchef Jürgen Rittersberger wieder durchstarten.

Mehr als 20 neue Audi-Modelle bis Ende 2025

Der Startschuss für die Aufholjagd fiel Mitte März im Rahmen der Bilanzpressekonferenz in Ingolstadt, als Döllner und Rittersberger das neue Elektro-Flaggschiff Q6 e-tron präsentierten. Dabei handelt es sich um eine neue Baureihe, die allerdings mit mehr als zwei Jahren Verspätung auf den Markt kommt. Im Sommer folgt mit dem A6 e-tron ein weiteres Schlüsselmodell.

Bis Ende 2025 will Audi den bestehenden Produktstau auflösen und über 20 neue Modelle mit reinem Elektroantrieb oder Verbrennungsmotor lancieren. Durch massive Software- und Elektronikprobleme mussten zuvor immer wieder die Produktionsanläufe neuer Modelle verschoben werden, was Döllners Vorgänger Markus Duesmann Mitte des Jahres 2023 den Job kostete. Mit Döllner sendete der VW-Konzernchef Oliver Blume dann einen Vertrauten nach Ingolstadt.

Mit einer Reichweite von gut 600 Kilometern und einer Schnellladung von 10 auf 80 Prozent Kapazität in 21 Minuten unter Idealbedingungen spielt das Fahrzeug zwar in der oberen Liga der heutigen rein batterieelektrischen Fahrzeuge mit. Beobachter bezweifeln aber, dass diese Leistungen schon reichen, um das Versprechen «Vorsprung durch Technik» mit neuem Leben zu füllen.

Es stand einst für Innovationen wie die aus dem Rally-Sport kommende Quattro-Technik, die (Turbo-)Direkteinspritzung beim Ottomotor (TFSI) oder das Laserlicht. Die Markengruppe Audi, zu der auch Bentley, Lamborghini und Ducati gehören, zählt zusammen mit Porsche traditionell nicht nur zu den Innovatoren, sondern vor allem auch zu den Gewinnbringern im VW-Konzern, der diese Gelder dringend braucht.

Die «grösste Modelloffensive in der Audi-Geschichte», so der frühere Porsche-Manager Döllner, soll der Marke Frische und Rückenwind geben. Dazu hat Döllner Audi einen Fahrplan für die Modelloffensive verordnet, «der zu leisten ist und dem Qualitätsanspruch gerecht wird».

Das sagt wohl auch einiges über den Zeitplan seines Vorgängers aus. Dieser stand wegen der Probleme bei den Produktionsanläufen vor allem deshalb unter Druck, weil die Software nicht tauglich war, die der Volkswagen-Konzern für alle Marken in der Tochtergesellschaft Cariad entwickelt und über die Duesmann zeitweise die Aufsicht hatte. Während mehrerer Quartale hatten Machtkämpfe und schlechtes Zusammenspiel von Cariad vor allem mit den Konzernmarken Audi und Porsche für negative Schlagzeilen gesorgt.

Audi will mit chinesischem Partner SAIC Autos bauen

Der Abgang des einstigen «Heilsbringers» Duesmann, wie der Manager intern spöttisch genannt wurde, war auch insofern eine Enttäuschung, als der frühere VW-Konzernchef Herbert Diess so grosse Hoffnungen in Duesmann gesetzt hatte. Schliesslich warb er ihn von seinem eigenen früheren Arbeitgeber BMW ab.

Diess rechnete jedoch nicht damit, dass BMW auf Vertragserfüllung und eine Wettbewerbssperre pochte. Dadurch blieb nach dem Abgang des intern immer noch geschätzten Rupert Stadler im Rahmen des Diesel-Skandals der auf ihn folgende Interims-Chef Bram Schot viel länger als geplant im Amt. Aus heutiger Sicht haben diese Episoden Audi über Jahre hinweg gelähmt.

Der Duesmann-Nachfolger Döllner will nun mithilfe neuer Produkte und Technologien vor allem in den wichtigen Märkten China und Nordamerika stärker vorankommen. In China hat die Marke im vergangenen Jahr 733 000 Fahrzeuge (+13 Prozent) verkauft, fast so viele wie in Europa mit 755 000 (+19). In den USA kam Audi hingegen nur auf 235 000 (+21) Einheiten. Wenngleich das für die Vereinigten Staaten ein Rekordjahr war, hinkt Audi dort im Vergleich mit anderen Regionen seit Jahrzehnten stark hinterher.

Derzeit wird intern darüber diskutiert, ob Audi Modelle in den USA produzieren wird. Der Entscheid steht aber noch aus. Den Absatz reiner E-Autos steigerte Audi 2023 zwar um gut 50 Prozent. Doch mit 178 000 Einheiten machten diese nicht einmal 10 Prozent aller Verkäufe aus.

Neben Europa und Nordamerika ist das Reich der Mitte ein weiterer Kernmarkt. Dort erzielte das Unternehmen im vergangenen Jahr zwar ein gutes Wachstum, es war aber bei den Auslieferungen an Kunden das schwächste in den drei grossen Märkten. Um bei den elektrischen Fahrzeugen neue Kunden- und Marktsegmente zu erschliessen und die Auslieferungen in China weiter zu steigern, hat Audi 2023 eine Absichtserklärung für eine Erweiterung der Kooperation mit SAIC unterzeichnet. Die Vereinbarung umfasst auch eine geplante, künftige gemeinsame Entwicklung neuer lokaler Plattformen für die nächste Generation von intelligenten, voll vernetzten Elektrofahrzeugen.

Was für manche Beobachter eine Peinlichkeit ist, sieht der Finanzchef Rittersberger als «guten und vernünftigen Weg», wie er im Gespräch mit der NZZ in Ingolstadt sagt. «Wir wollen mit unserem Partner SAIC Autos in China für China entwickeln und bauen», erklärt der 51-Jährige. «China ist am Ende ein spezieller Markt mit anderen Kundenerwartungen und Anforderungen an die Fahrzeuge als vielleicht in Europa und den USA.»

Mehr Unternehmertum innerhalb der Markengruppe

Einst war Audi die erste und die erfolgreichste Oberklassenmarke in China, doch diesen Nimbus hat das Unternehmen verloren. Es könnte sogar noch schlimmer kommen – und zwar für alle westlichen Premium-Anbieter. Die Marke Volkswagen wird in China in der Unter- und Mittelklasse derzeit bei den vollelektrischen Fahrzeugen von heimischen Anbietern wie BYD und vielen anderen überrollt, weil Elektroautos vor allem in diesen Segmenten verkauft werden. Ähnliches darf Audi in der Oberklasse nicht passieren, dabei sollen die neuen vollelektrischen Fahrzeuge helfen.

Die elektrisch betriebenen Modelle Q6 e-tron und A6 e-tron kommen aber erst im Lauf dieses Jahres in die Verkaufsräume, so dass 2024 ein Übergangsjahr werden dürfte, wie Rittersberger einräumt. Dazu trage auch das herausfordernde Umfeld mit intensivem Wettbewerb bei den rein batterieelektrischen Fahrzeugen bei. Zudem bleibe die Versorgungssituation angespannt. Negative Effekte aus Rohstoffsicherungen hatten im vergangenen Jahr zu einem Dämpfer beim Gewinn der Markengruppe Audi gesorgt, so dass der Konzern nur auf ein operatives Ergebnis von 6,3 Milliarden Euro (–17 Prozent) und eine Umsatzrendite von 9 Prozent gekommen ist. Damit lag man bei der Marge hinter den deutschen Konkurrenten BMW und Mercedes.

Der VW-Konzernchef Oliver Blume hat der Markengruppe Audi ein Renditeziel von 12 Prozent verordnet. Blume gibt nicht nur Margenziele vor, sondern setzt auch auf mehr Selbstverantwortung und Unternehmertum bei den einzelnen Konzernmarken. Diese Eigenschaften will Döllner im kleineren Massstab auch bei Audi fördern. Die Leiter der verschiedenen Baureihen, etwa für den A8 oder A6, sollen mehr Verantwortung bekommen, und die Entwicklung soll dadurch effizienter werden.

Zur Erreichung der Renditeziele soll laut Rittersberger in erster Linie die Modelloffensive, die Höherpositionierung der Marke und eine Verbesserung des Produktemix helfen. Selbstverständlich dreht das Management jedoch an zahlreichen Stellschrauben. «Wir suchen stets nach Marktchancen, es gibt sicher noch einige Märkte, in denen wir Potenzial haben», sagt Rittersberger, der seine Karriere ab 2002 im VW-Konzern machte, allerdings vorwiegend bei den Marken VW und Porsche.

Anhaltende personelle Turbulenzen in Ingolstadt

Sehr wichtig ist für die Zielerreichung ferner, dass die Batteriekosten langfristig sinken. Sie sind bei elektrischen Fahrzeugen der grösste Hebel, um die Produktionskosten zu drücken. Im Jahr 2019 hatte Audi sich darüber hinaus vorgenommen, bis 2033 die Produktionskosten zu halbieren. «Der Anspruch steht», sagt Rittersberger. Dabei spielen die Auslastung und Belegung der Werke sowie die Digitalisierung eine grosse Rolle. «Unsere Werke müssen deutlich effizienter werden.» Zudem denkt er an Verbesserungen im Ersatzteilgeschäft sowie an datengetriebene Geschäftsmodelle.

Um das vorgegebene Renditeziel zu erreichen, muss sich Audi auch deshalb erheblich strecken, weil der Anteil der reinen Elektrofahrzeuge an den gesamten Verkäufen in den kommenden Jahren steigen dürfte. «Ehrlicherweise ist die Marge bei Elektroautos noch nicht ganz so hoch wie bei Modellen mit Verbrennungsmotor», sagt Rittersberger.

«Die Fahrzeuge leisten allerdings einen positiven Ergebnisbeitrag, und mit zunehmenden Skaleneffekten sowie mit technischen Fortschritten wird auch der Gewinn der Elektroautos steigen.» Dabei helfen soll die Einheitsbatteriezelle des Konzerns, welche die Kosten pro Batteriezelle deutlich reduzieren wird. Volkswagen will künftig rund 50 Prozent aller Batterien aus der eigenen Zellfertigung der PowerCo beziehen.

Bis Elektroautos beim Gewinn auf Augenhöhe mit Verbrennern sind, dürfte es aber noch dauern. «Der Q6 e-tron startet mit soliden Margen auf unserer neuen elektrischen Performance-Plattform PPE. Ich denke, dass wir noch in diesem Jahrzehnt die Margen-Parität sehen werden», sagt Rittersberger. Das derzeitige Tief beim Verkauf von Elektrofahrzeugen in Europa, das sich in der nachlassenden Wachstumsdynamik zeigt, lässt ihn dabei nicht bange werden.

Transformationen finden generell in Wellenbewegungen statt, und natürlich hat auch der Wegfall der Subventionen vor allem in Deutschland nicht geholfen, sondern zur Verunsicherung der Kunden geführt. Der Finanzchef fordert daher ein klares Bekenntnis der Politik zur Elektromobilität. Audi selbst will im Jahr 2026 den letzten grossen Launch von Verbrennungsfahrzeugen bringen, die bis 2033 phasenweise auslaufen. «Wir sind aber flexibel. Am Ende entscheiden die Rahmenbedingungen und die Kunden über die Abkehr vom Verbrennungsmotor in den einzelnen Märkten».

Für Audi dürfte in den kommenden Monaten neben den operativen Herausforderungen jedoch auch sehr wichtig sein, wieder Kontinuität und Ruhe ins Unternehmen zu bringen. Döllner ist seit 2015 der vierte Konzernchef, in der gleichen Zeit gab es mehr als ein halbes Dutzend Entwicklungsvorstände. Kritiker haben Audi trotz Milliardengewinnen nicht zuletzt aufgrund der personellen Querelen zeitweise als Sanierungsfall angesehen. Diesen Makel muss Audi loswerden. Jüngst hat Döllner jedoch den Chefdesigner Marc Lichte abgesetzt und den Entwicklungsvorstand Oliver Hoffmann von seinen Aufgaben entbunden und diese Funktion selbst übernommen. Die personellen Umwälzungen setzen sich also vorerst auch im Jahr 2024 fort.

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