BüRGERGELD: JOBCENTER-BESCHäFTIGTE üBEN KRITIK

Eine deutliche Mehrheit der Jobcenter-Beschäftigten hadert laut einer DIW-Umfrage mit dem Bürgergeld. Leistungen seien zu hoch, Sanktionen zu lasch.

Am 1. Januar 2023 löste das Bürgergeld Hartz IV ab. Das Versprechen der großen Sozialreform für die mehr als fünf Millionen Grundsicherungsempfänger: Eine neue Kultur, die weniger von Sanktionen geprägt ist und Menschen eher in Arbeit bringt, die zu ihnen passt – statt sie einfach in irgendeinen Job zu vermitteln.

Legt man eine aktuelle Befragung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung sowie der Universitäten Bochum und Duisburg-Essen zugrunde, hat sich die Kultur tatsächlich gewandelt – jedoch zum Schlechteren. Gerade mal jeder fünfte Beschäftigte in den Jobcentern sieht demnach im Bürgergeld eine Verbesserung.

DER SPIEGEL fasst die wichtigsten News des Tages für Sie zusammen: Was heute wirklich wichtig war - und was es bedeutet. Ihr tägliches Newsletter-Update um 18 Uhr. Jetzt kostenfrei abonnieren.

Viele der rund 1900 im Januar und Februar in sieben Jobcentern in Nordrhein-Westfalen befragten Beschäftigten kritisieren dagegen das neue Bürgergeld. Rund 60 Prozent der Befragten bezweifeln etwa, dass die neuen Regeln die Leistungsberechtigten ausreichend motivieren, sich eine neue Stelle zu suchen. 62 Prozent der Teilnehmer, die im Bereich der Arbeitsmarktintegration arbeiten, halten zudem die Erhöhung der Regelsätze für zu hoch. Unter Teilnehmern aus dem Bereich der Leistungsgewährung gaben dies sogar 78 Prozent an.

Bilanz des Bürgergelds weiter offen

In folgenden Bereichen gibt in der Umfrage jeweils eine deutliche Mehrheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an, die Situation habe sich seit Einführung des Bürgergelds verschlechtert:

  • Anspruchshaltung der Kundinnen und Kunden (56 Prozent),

  • Erreichbarkeit von Leistungsbeziehern (55 Prozent),

  • Motivation der Leistungsberechtigten (59 Prozent),

  • Mitwirkung von Kundinnen und Kunden (62 Prozent),

  • Anreiz zu einer neuen Arbeit (63 Prozent) sowie

  • Abstand des Regelsatzes zu niedrigen Löhnen (64 Prozent).

Überwiegend positiv beurteilt werde indes unter anderem die Möglichkeit, Langzeitarbeitslose besser zu coachen. Den höheren Regelsatz für Kinder finden viele Beschäftigte ebenfalls gut.

Repräsentativ ist die Studie nicht, sie gibt jedoch Hinweise auf die Stimmung wieder, wie in den Jobcentern über das neue Bürgergeld gedacht wird. Dass das Bild so verheerend ausfällt, kann allerdings auch damit zusammenhängen, dass sich die wirtschaftliche Lage in Deutschland insgesamt verschlechtert hat – und sich die Stimmung gegen die Bezieher von Bürgergeld im Zuge der jüngsten Erhöhungen der Regelsätze aufgeladen hat. Eine Rolle können auch sozialpolitische Einstellungen der Mitarbeiter spielen, die regelmäßig mit Bürgergeldempfängern zu tun haben.

Aus der Studie lasse sich zudem nicht ablesen, »dass das Bürgergeld nicht seine Aufgabe erfüllt, nämlich die Erwerbsintegration von Leistungsberechtigten zu verbessern«, sagt Studienautor Jürgen Schupp. »Ob das gelingt, muss die weitergehende und langfristige Forschung zeigen.« Beispiel: Trotz des von den Mitarbeitern kritisierten höheren Regelsatzes haben laut Ifo-Institut Menschen mit Job immer noch deutlich mehr in der Tasche als Bürgergeldempfänger.

Inzwischen stärkere Sanktionen beschlossen

Besonders kritisch sehen die Jobcenter-Beschäftigten die neue Sanktionspraxis. 55 Prozent gaben an, der neue Kurs solle »auf gar keinen Fall« beibehalten werden. Weitere 18 Prozent stimmten für »eher nicht«. Allerdings wurden Ende März – also nach dem Befragungszeitraum – mit dem sogenannten »Zweiten Haushaltsfinanzierungsgesetz« weitere Verschärfungen beschlossen, wonach ein Jobcenter einem Totalverweigerer das Bürgergeld für maximal zwei Monate komplett streichen kann, wenn die Aufnahme einer zumutbaren Arbeit abgelehnt wird. Auch die höheren Freibeträge beim Schonvermögen stoßen bei den Beschäftigten der Jobcenter mehrheitlich auf Kritik.

Für umfassende Schlussfolgerungen über die Wirksamkeit der Bürgergeldreform arbeitet das Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit, das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), an einem auf mehrere Jahre angelegten Evaluationsprogramm. Erste Befunde werden im Herbst erwartet. Die IAB-Ergebnisse sollten abgewartet werden, empfiehlt Schupp, ehe weitere Reformen oder gar neue Konzepte angegangen werden.

Die Stimmung gegen Bürgergeldempfänger dürfe nicht aus politischem Kalkül weiter angeheizt werden, mahnt Schupp, der die Studie zusammen mit Fabian Beckmann von der Universität Duisburg-Essen, Rolf G. Heinze von der Universität Bochum sowie mit Dominik Schad, Kreisdirektor in Recklinghausen, erstellt hat. »Gefragt ist jetzt eine politische Kommunikation, die die Debatte versachlicht.«

Vor wenigen Wochen hat die CDU allerdings bereits ein neues Bürgergeldkonzept vorgelegt. Der von ihr verfolgte Plan einer »Neuen Grundsicherung« sieht noch striktere Sanktionen vor. Auch die FDP fordert in ihrem jüngsten Wirtschaftspapier schärfere Bürgergeldregeln.

2024-04-24T14:28:05Z dg43tfdfdgfd