CORRECTIV-RECHERCHE - HUNDERTTAUSENDE KUNDEN GETäUSCHT: 100 GAS-ANGEBOTE SIND NICHT KLIMANEUTRAL

Es ist ein Versprechen, das eigentlich zu gut klang, um wahr zu sein: Mit Gas heizen und trotzdem das Klima schützen. Eine umfassende Recherche unseres Partners Correctiv zeigt nun: Hunderttausenden Kunden wurden falsche Versprechen gemacht.

Mit Gas heizen und gleichzeitig das Klima retten: So lautet das Versprechen vieler deutscher Energieversorger an Verbraucherinnen und Verbraucher. Ein Versprechen, das nicht aufgeht. Das zeigt eine Auswertung der Kompensationsaktivitäten und CO2-Gutschriften von über 100 deutschen Gasversorgern und kommunalen Stadtwerken durch CORRECTIV für einen Zeitraum von 2011 bis 2024.

CO2-Kompensation von Gas-Tarifen: Gute Idee, die nicht aufgeht

Das Prinzip, das hinter den Angeboten steckt, nennt sich Kompensation. Die Idee: klimaschädliche Emissionen, die an einer Stelle entstehen, wie durchs Heizen, werden an einer anderen Stelle ausgeglichen – zum Beispiel durch den Schutz von Wäldern in Brasilien. Doch was sich nach grünen Regenwäldern und einem guten Gewissen für alle Beteiligten anhört, geht nicht auf: Kundinnen und Kundinnen deutscher Gasversorger werden seit Jahren massiv getäuscht und mit falschen Werbeversprechen in die Irre geführt. Das belegt nun erstmals eine neue Recherche von Correctiv.

Für die Recherche hat das Team Daten von zwei öffentlichen Registern, die CO2-Kompensationsprojekte verfolgen, verwendet: Verra und Gold Standard. Die Daten haben die Correctiv-Reporterinnen und -Reporter dann im engen Austausch mit Wissenschaftlerinnen des New Climate Institute, der ETH Zürich, der Berkeley University, dem Öko Institut in Berlin, der Deutschen Umwelthilfe (DUH) und anderen Expertinnen und Experten überprüft. Untersucht wurden die Kompensationsaktivitäten und CO2-Gutschriften von 150 deutschen Gasversorgern. Darunter die GASAG, ESWE und mehr als 90 Stadtwerke.

63 Prozent aller Gutschriften sind nicht plausibel

Das Ergebnis: 116 Gasversorger haben CO2-Gutschriften aus Klimaschutzprojekten genutzt, die laut wissenschaftlicher Einschätzung nicht plausibel nachweisen können, dass Emissionen tatsächlich reduziert oder eingespart wurden. Betroffen sind damit zwei Drittel von insgesamt 16 Millionen ausgewerteten Gutschriften.

Anders als von den Gasversorgern behauptet wurden mit sehr großer Wahrscheinlichkeit rund 10 Millionen Tonnen klimaschädliches CO2 nicht eingespart oder reduziert. Vermutlich liegt die Zahl dieser „Phantom-Gutschriften“, wie die Biologin und Kompensationsexpertin Jutta Kill sagt, weitaus höher. Denn auf dem Markt gebe es „kaum ein Kompensationsprojekt, das plausibel nachweisen kann, dass CO2-Emissionen dauerhaft reduziert oder eingespart wurden“, so Kill. Ähnlich äußern sich auch weitere Expertinnen und Experten gegenüber Correctiv.

Verbraucherschützer halten Vorgehen für „inakzeptabel“

Eine Täuschung, die vor allem dazu dient, eine sterbende Branche am Leben zu halten, sagt Monique Goyens, Direktorin des Europäischen Verbraucherverbands (BEUC) in Brüssel, gegenüber CORRECTIV. „Anstatt das Geschäftsmodell zu ändern, lassen die Gasversorger ihre Kundinnen und Kunden in dem Glauben, sie täten etwas Gutes.“ Dadurch werde ein wirklich nachhaltiger Lebensstil verhindert. „Das ist inakzeptabel.“

Nach CORRECTIV-Anfrage ziehen die ersten Unternehmen Konsequenzen. Mit den Rechercheergebnissen konfrontiert, kündigt der Energieriese Rhein Energie an, das Ökogas-Angebot zu pausieren, bis „konkrete Projektüberprüfungsverfahren“ vorliegen.  Sechs weitere Gasversorger haben die Klimaneutralitätsversprechen nach CORRECTIV-Anfrage kommentarlos von ihrer Webseite entfernt. Darunter die Stadtwerke Rheine, Neumarkt in der Oberpfalz und Rietberg-Langenberg.

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Verbraucherinnen und Verbraucher können in einer Datenbank von CORRECTIV nachschauen, ob ihr Gasversorger in den vergangenen Jahren ebenfalls fragwürdige CO2-Gutschriften genutzt hat.

Die ganze Recherche von unserem Partner Correctiv finden Sie hier.

2024-04-16T04:10:27Z dg43tfdfdgfd