CUM-EX-CHEFERMITTLERIN WIRFT HIN – STEUERDIEBSTäHLE SEIEN „LäNGST NICHT GESTOPPT“

Ihre Ermittlungen zu Cum-Ex hatten zu ersten Urteilen geführt und auch Olaf Scholz (SPD) in die Enge gedrängt: Staatsanwältin Anne Brorhilker. Jetzt hat sie überraschend gekündigt. „Ich bin überhaupt nicht zufrieden damit, wie in Deutschland Finanzkriminalität verfolgt wird“, sagt sie.

Die Chefermittlerin zu den Cum-Ex-Steuerdeals, Anne Brorhilker, hat gekündigt und übt scharfe Kritik an der Politik. Brorhilker habe um ihre Entlassung aus dem Beamtenverhältnis gebeten, sagte ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Köln am Montag auf Anfrage. Zuvor hatte der WDR berichtet.

Damit verlässt Deutschlands wohl wichtigste Cum-Ex-Ermittlerin die Justiz. Die 50-jährige Oberstaatsanwältin leitet die einzige Hauptabteilung für Cum-Ex-Ermittlungen in Deutschland, die bei der Staatsanwaltschaft Köln eigens dafür aufgebaut wurde. Brorhilker galt als zurückhaltend, äußerte sich nur selten in den Medien. Sie und ihre Kollegen ermitteln derzeit gegen mehr als 1700 Beschuldigte.

Durch den Cum-Ex-Betrug, der seine Hochphase von 2006 bis 2011 hatte, wurde der deutsche Staat schätzungsweise um einen zweistelligen Milliardenbetrag geprellt. Der Cum-Ex-Betrug gilt als größter Steuerskandal der Bundesrepublik. Dabei geht es darum, dass Banker, Berater und Aktienhändler sich Steuern vom Staat erstatten lassen haben, die nie irgendjemand gezahlt hatte. Erst mit einer zum Januar 2012 greifenden Gesetzesänderung sollte den Deals ein Riegel vorgeschoben werden.

Steuerdiebstähle seien längst nicht gestoppt

Im Interview mit dem WDR sagte Brorhilker nun zu ihrer Entscheidung: „Ich war immer mit Leib und Seele Staatsanwältin, gerade im Bereich von Wirtschaftskriminalität, aber ich bin überhaupt nicht zufrieden damit, wie in Deutschland Finanzkriminalität verfolgt wird.“

Die Politik, so Brorhilkers Befund, habe elf Jahre nach Bekanntwerden der ersten Cum-Ex-Fälle aber noch immer nicht hinreichend reagiert. Steuerdiebstähle seien längst nicht gestoppt, es gebe Cum-Ex-Nachfolgemodelle, wie bei einem Hase-und-Igel-Spiel. Grund seien fehlende Kontrollen, was bei Banken und auf den Aktienmärkten geschehe. Um das Problem zu lösen, spricht sich die Strafverfolgerin für mehr Personal in der Strafverfolgung und für eine zentrale bundesweite Behörde zur Bekämpfung von Finanzkriminalität aus, die auch Steuervergehen verfolge.

Erfahrung seit 2012 in Cum-Ex-Fällen geht verloren

Für die Ermittlungen dürfte Brorhilkers Ausscheiden indes ein Rückschlag bedeuten. Die Strafverfolgerin ermittelt seit 2012 Cum-Ex-Fälle. Gemeinsam mit ihrem Team gelang es ihr, Kronzeugen zu gewinnen, die über die verborgenen Geschäfte erstmals auspackten. Ihre Anklage führte 2019 zum ersten rechtskräftigen Urteil. Später brachten die Ermittler den einst in die Schweiz geflohenen „Mr. Cum-Ex“ Hanno Berger in Deutschland vor Gericht.

Der Steueranwalt wurde vor dem Landgericht Bonn zu acht Jahren Gefängnis rechtskräftig verurteilt. Öffentliche Aufmerksamkeit erfuhren Brorhilkers Ermittlungen auch, weil sie bis in die hohe Politik führten. Die Erkenntnisse um die Hamburger Privatbank MM Warburg brachten schließlich auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Erklärungsnot gegen den aber kein Anfangsverdacht besteht.

Brorhilker kündigte an, sich künftig bei der Nichtregierungsorganisation „Finanzwende“ in Berlin für Ideen im Kampf gegen Finanzkriminalität einsetzen zu wollen.

Milliardengewinne noch aus Cum-Ex-Geschäften bei Banken

Der Cum-Ex-Skandal ist längst noch nicht aufgeklärt. Milliardengewinne mit Cum-Ex-Geschäften sollen noch immer bei vielen betroffenen Banken liegen. Die Rolle namhafter beteiligter Geldhäuser ist strafrechtlich noch nicht aufgearbeitet, ebenso wenig wie die der Landesbanken wie die frühere WestLB und die HSH Nordbank.

Die Gefahr, dass die Ermittlung mit ihrem Ausscheiden ins Stocken geraten könnte, sieht Brorhilker nicht. „Wir haben mittlerweile ein großes Team, es sind über 30 Staatsanwälte, die engagiert an diesen Themen arbeiten. Ich finde, meine Kollegen machen eine hervorragende Arbeit. Wenn man sie weiterhin unterstützt, wird das auch weiterhin gut laufen.“

In der Vergangenheit hatte es auch immer wieder Konflikte zwischen der Staatsanwältin und der NRW-Justiz gegeben. Im vergangenen Herbst hatte unter anderem der WDR berichtet, dass Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) plante, Brorhilkers Abteilung aufzuspalten und ihr einen weiteren Hauptabteilungsleiter zur Seite zu stellen. Erst nach einem öffentlichen Aufschrei nahm Limbach von den Plänen wieder Abstand.

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