DIE PHILIPPINEN UND CHINA SIND IM SüDCHINESISCHEN MEER AUF KOLLISIONSKURS

Das philippinische Forschungsschiff BRP «Ventura» hatte den Auftrag, den Meeresboden in philippinischen Gewässern zu erforschen. Als es Mitte April jedoch nur gerade 35 Seemeilen – etwas mehr als 60 Kilometer – vor der eigenen Küste fuhr, stellte sich ihm ein Schiff der chinesischen Küstenwache in den Weg. Die Filipinos hatten das offenbar erwartet und die eigene Küstenwache zur Begleitung des Forschungsschiffs abkommandiert. Doch das Schiff der chinesischen Behörden ist so gross wie manch ein Kriegsschiff und deutlich stärker bewaffnet als die philippinische Küstenwache.

China setzt routinemässig Wasserwerfer ein

«Die Chinesen haben die Filipinos da abgefangen, wo man die Nine-Dash-Line vermutet», sagt Ray Powell. Der Veteran der US Navy leitet an der Stanford University das Projekt Sea-Light, bei dem die chinesischen Aktivitäten im Südchinesischen Meer beobachtet und öffentlich gemacht werden. Mit der Nine-Dash-Line umreisst China seine Ansprüche im Südchinesischen Meer. «Exakte Koordinaten der Linie gibt es nicht», sagt Powell. Doch mit der Aktion habe China seinen Anspruch wieder einmal deutlich unterstrichen.

Was die Philippinen vorhatten, macht praktisch jedes Land mit Meeranstoss. Bis zu 200 Seemeilen – rund 360 Kilometer – weit erstreckt sich die exklusive Wirtschaftszone eines Landes. Darin verfügt der Anrainerstaat über alle Ressourcen wie Fische, Öl, Gas oder Mineralien. Nach internationalem Seerecht hat der Anrainerstaat das alleinige Recht, diese Ressourcen zu erforschen und zu nutzen.

Chinas Anspruch im Südchinesischen Meer geht weit über das hinaus, was das moderne Seerecht den Ländern zuspricht. Die Nine-Dash-Line (sie heisst so, weil sie ursprünglich von Hand mit neun Strichen auf einer Karte eingezeichnet wurde) umfasst mehr als 80 Prozent des Südchinesischen Meers. 2016 entschied ein von den Philippinen angerufenes Schiedsgericht, dass dieser Anspruch rechtlich nicht haltbar ist. Peking spricht dem Gericht die Zuständigkeit ab und ignoriert den Schiedsspruch.

Der Zwischenfall mit dem Forschungsschiff – Positionsdaten zeigen, dass die chinesische Küstenwache dieses bis heute verfolgt – ist nur ein Beispiel von vielen, wie Peking den Spielraum der Philippinen in deren eigener Wirtschaftszone immer mehr einengt. Im August letzten Jahres setzte China Wasserwerfer gegen philippinische Schiffe ein. Was damals weltweit für Schlagzeilen sorgte, ereignet sich mittlerweile monatlich, wenn die Philippinen Nachschub für Soldaten auf einem entfernten Aussenposten liefern. Das wird ausserhalb der Philippinen kaum mehr wahrgenommen.

Ort der Zusammenstösse ist das Second Thomas Shoal oder Ayungin Shoal, wie es in den Philippinen genannt wird. 1999 setzte die philippinische Marine dort das Landungsschiff BRP «Sierra Madre» auf Grund. So schuf Manila eine temporäre Präsenz auf dem umstrittenen Atoll – eine Handvoll Marineinfanteristen hält seither dort Stellung. Doch das alte Schiff droht auseinanderzufallen. China wirft Manila vor, Baumaterialien herbeischaffen zu wollen, um eine permanente Basis zu bauen.

Hat Duterte Peking Versprechungen gemacht?

Pekings Diplomaten und offizielle Medien werden nicht müde, zu verkünden, dass die Philippinen damit das Versprechen brächen, dies nicht zu tun. Nun deutet das Umfeld des früheren Präsidenten Rodrigo Duterte an, dass dieser offenbar ein Gentlemen’s Agreement mit Peking geschlossen hatte. Dieses war rein mündlich, es sind bisher weder Dokumente noch Aktennotizen aufgetaucht.

Dennoch: In Manila ist die Entrüstung gross. Der derzeitige Präsident Ferdinand Marcos gibt an, nichts davon gewusst zu haben. Und falls es ein solches Abkommen gegeben habe, dann hebe er es auf, liess er verlauten. Parlamentarier sprechen von Landesverrat und wollen eine Untersuchung gegen Duterte.

«China versteht offensichtlich nicht, wie die Politik in den Philippinen läuft», sagt Aries Arugay, Politologe am ISEAS-Yusof Ishak Institute in Singapur. «Eine neue Regierung fühlt sich nicht an Versprechen seiner Vorgänger gebunden, wenn diese nicht in einem Vertrag festgeschrieben und publik gemacht worden sind.»

Manila sucht diplomatische und militärische Unterstützung

Der Experte Arugay hält den Schaden, der Dutertes Eingeständnis verursacht, für überschaubar: «Was zählt, ist der Schiedsgerichtsentscheid von 2016, nicht irgendwelche angebliche Absprachen.» Laut einer Zusammenstellung des Center for Strategic and International Studies haben sich mittlerweile 25 Länder explizit für die Umsetzung des Entscheides ausgesprochen, 17 weitere haben dieses positiv zur Kenntnis genommen. Sie alle stützen die Position der Philippinen, während sich nur 7 Länder mehr oder weniger explizit hinter Chinas Position stellen.

Manila weiss, dass es bei einem direkten Kräftemessen mit der Supermacht China keine Chance hat. Darum bindet es sich an gleichgesinnte Länder. So hat die philippinische Marine vor wenigen Tagen gemeinsam mit australischen, amerikanischen und japanischen Kollegen Manöver in der Westphilippinischen See durchgeführt.

Das derzeitige, jährlich stattfindende bilaterale Manöver mit den USA namens «Balikatan» umfasst 17 000 Soldaten, zusätzlich nehmen Truppen aus Australien und Frankreich teil.

Das alles wird Peking wenig beeindrucken. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die chinesische Küstenwache erneut philippinische Schiffe bedrängt. Über die Jahre hat es die Volksrepublik perfektioniert, den Druck auf die Anrainerstaaten des Südchinesischen Meeres, insbesondere die Philippinen, stetig aufrechtzuerhalten, ohne dass die Schwelle zum bewaffneten Konflikt überschritten wird.

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