DOCUMENTA: EIN KODEX ZU WENIG?

Documenta

Documenta: Ein Kodex zu wenig?

Der Documenta-Aufsichtsrat beschließt einen Code of Conduct - aber nicht für die Künstlerische Leitung.

Fast zwei Jahre nach der Eröffnung der documenta fifteen hat die Documenta gGmbH jetzt Beschlüsse für ihre Neuorganisation gefasst. Am Dienstagnachmittag tagte der Aufsichtsrat in Kassel, und am Ende gaben sich die Beteiligten zufrieden. Allerdings: Das Resultat dürfte zu erneuten Diskussionen führen. Von den fünf Empfehlungen, die die Unternehmensberatung Metrum in ihrer Organisationsentwicklung erarbeitet hatte, wurden drei vom Aufsichtsrat übernommen. Die streitbarste Entscheidung: Während für die Documenta gGmbH demnächst ein Code of Conduct erarbeitet werden soll, wird es einen solchen Kodex für die zukünftige Künstlerische Leitung nicht geben.

In Berlin dürfte das für Irritation sorgen, denn Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne), die seit dem Dilemma der letzten Documenta einen größeren Einfluss des Bundes bei der Kasseler Ausstellung forderte, setzt sich seit einiger Zeit für die selbstverantwortete Einführung solcher Verhaltenskodizes in der Kulturszene ein. Sie gelten als eine mögliche Lösung, um das Recht der Kunstfreiheit auf der einen Seite zu sichern und auf der anderen Seite antisemitische oder andere Hassbotschaften in Kunst und Kultur auszuschließen. Roth betonte gegenüber der FR, dass „die Sensibilisierung aller Akteurinnen und Akteure sichergestellt“ werden müsse, um sicherzugehen, dass öffentliche Gelder nicht dazu missbraucht würden, antisemitische, rassistische und andere menschenverachtende Kunst- und Kulturprojekte zu finanzieren.

Bei der documenta fifteen war die Künstlerische Leitung, das indonesische Kuratorenkollektiv Ruangrupa, alles andere als einsichtig oder kooperativ gewesen, nachdem antisemitische Werke auf der Weltkunstausstellung aufgetaucht waren. Mit einem Code of Conduct, wie er von Metrum empfohlen worden war, hätte auch die Künstlerische Leitung sich eindeutig gegen Antisemitismus, Rassismus und sonstige Formen der Diskriminierung positionieren sollen.

Eine solche Selbstbekenntnis könnte man als selbstverständlich und wenig problematisch erachten. Tatsächlich aber hatte es Diskussionen um eine derartige Verpflichtung gegeben. Kritiker:innen hatten darin einen möglichen Eingriff in die freiheitliche künstlerischer Gestaltung des Kurators oder der Kuratorin, und damit einen Angriff auf das Fundament der Documenta gesehen. Die Initiative „Stand With Documenta“, unterstützt vom ehemaligen hessischen Ministerpräsidenten und Kasseler Oberbürgermeister Hans Eichel, hatte vor politischer Einflussnahme gewarnt und sich mit einer Petition auch gegen diese Codes of Conduct gewandt. Und auch der Documenta-Experte Harald Kimpel hatte sich in der FR kritisch geäußert: „Man ist auf dem Weg, staatlich abgesegnete, politisch korrekte Kunst zu akzeptieren und andere Instanzen darüber entscheiden zu lassen, was man in Kassel der Welt zumuten will.“

Ein Kompromiss scheint im Aufsichtsrat lange verhandelt worden zu sein: Ganz ohne Commitment geht es dann doch nicht. Statt einen Verhaltenskodex zu unterschreiben, soll die Künstlerische Leitung nun kurz nach ihrer Berufung bei einer öffentlichen Veranstaltung ihr künstlerisches Konzept vorstellen und darlegen, „welches Verständnis sie von der Achtung der Menschenwürde hat und wie deren Wahrung auf der von ihr kuratierten Ausstellung sichergestellt werden soll“, wie es in der Mitteilung der Documenta gGmbH heißt. Hessens Kunstminister und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzende Timon Gremmels (SPD) sieht darin eine „praktikable Balance“ zwischen der Wahrung der Kunstfreiheit und der Menschenwürde.

Weitere Neuerungen wurden beschlossen: Im Aufsichtsrat – der entgegen der Empfehlung nicht verkleinert wird – sind nun neben jeweils fünf Mitgliedern vom Land Hessen und der Stadt Kassel auch zwei Sitze für den Bund reserviert. Diese „Stärkung des Aufsichtsrats“ begrüßte Kulturstaatsministerin Claudia Roth gegenüber der FR: „Wir stehen dem Angebot aufgeschlossen gegenüber, dass der Bund nun direkt zwei Sitze mit Stimmrecht wahrnehmen könnte.“

Ein vom Aufsichtsrat ernannter wissenschaftlicher Beirat mit sechs Mitgliedern soll zudem installiert werden, der den Aufsichtsrat und die Geschäftsführung berät.

Die Findungskommission, die die Künstlerische Leitung benennt, war ein weiterer Problemfall. Im vergangenen November hatte sie sich nach Antisemitismusvorwürfen gegen ein Mitglied aufgelöst. Seitdem standen die Vorbereitungen für die 16. Documenta still. Jetzt soll die Findungskommission nicht mehr von ehemaligen Leiterinnen und Leitern der Documenta ernannt werden, sondern nach Vorschlag der Geschäftsführung vom Aufsichtsrat.

Auch soll die Trennung zwischen Geschäftsführung und Künstlerischer Leitung schärfer und die Zuständigkeiten klarer voneinander abgegrenzt werden.

Claudia Roth sprach gegenüber der FR von „ersten wichtigen Schritten im Reformprozess“. Doch es gibt anscheinend Redebedarf: Roth werde mit den Kollegen von Stadt und Land nun Gespräche zu den Beschlüssen führen sowie zur „Frage der Entwicklung und Einführung sowie des möglichen Geltungsbereiches eines Codes of Conduct durch die Documenta“.

Nach aktuellen Plänen soll bis Ende des Jahres eine Künstlerische Leitung gefunden sein. Eine Berufung der Findungskommission steht demnach kurz bevor.

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