EIN WALLISER WINZER WILL MIT PHOTOVOLTAIKMODULEN GEGEN FROSTSCHäDEN KäMPFEN – DOCH ES GIBT EIN PROBLEM

Ein automatisiertes Frühwarnsystem hält den Walliser Winzer Olivier Mounir nachts wach. Er schläft, wenn überhaupt, am Tag. So wie viele andere Winzer und Obstbauern derzeit auch. Der Frühlingsfrost bedroht ihre Ernte, noch bevor die Pflanzen Früchte tragen.

Wenn die Temperaturen in diesen Nächten unter –0,5 Grad sinken, klingelt Mounirs Natel, und eine digitalisierte Stimme weist ihn auf den Temperaturabfall hin. Mal um Mitternacht, mal um ein Uhr, dann wieder um halb zwei.

Diese Anrufe erhalten die Winzer in der Walliser Weinbaugemeinde Salgesch immer dann, wenn im Frühling Frost und dadurch Ernteausfälle drohen. Besonders gravierend war das im Jahr 2017. Damals betrugen die Schäden der Walliser Winzer insgesamt 50 Millionen Franken. Der Kanton musste Unterstützungs- und Entschädigungsgelder sprechen. Derzeit heisst es in Salgesch, es gebe Parzellen, in denen 70 bis 80 Prozent der Reben Frostschaden aufweisen.

Seit Tagen stehen Mounir und seine Mitarbeiter also nachts im Weinberg und versuchen, die Triebe ihrer Reben vor dem Gefrieren zu schützen. Sie messen laufend die Temperatur, stellen grosse Gasgebläse bereit und zünden grosse Blechkübel an, sogenannte Paraffinkerzen. Damit wärmen sie ihre Pflanzen auf, bevor diese erfrieren.

Mounir sagt: «Momentan fühle ich mich wie ein Trainer, der einen Spieler verschleisst und den nächsten von der Ersatzbank holen muss.» Dabei hätte er eine Idee, wie er seine Reben einfacher, ökologischer und energietechnisch lukrativer schützen könnte. Doch bis anhin blockiert die Gesetzgebung Mounirs Plan.

Das Weindorf Salgesch wetteifert um Wein und Ideen

Olivier Mounir ist 47 Jahre alt. Seine Ehefrau Sandra und er sind studierte Betriebswirte und übernahmen 2007 gemeinsam die Kellerei Cave du Rhodan in Salgesch. Seither führen sie den Familienbetrieb in dritter Generation. Direkt nach der Übernahme liess sich Mounir zum Winzermeister ausbilden.

Gemeinsam entwickelten die Mounirs ihren Betrieb in den vergangenen Jahren weiter. Sie stellten die Produktion auf 14 Hektaren auf biologischen Anbau um. 2022 wurde ihr Weingut am Grand Prix du Vin Suisse zum Weingut des Jahres gekürt.

Die Cave du Rhodan von Familie Mounir steht symbolhaft für das Weindorf Salgesch. Mehr als vierzig Kellereien gibt es in der Winzergemeinde. Praktisch alle sind Familienbetriebe, die nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurden. Heute produzieren einige von ihnen Weine, die weltweit zu den besten gehören. Die Winzer im Dorf wetteifern stets um den besten Wein und die kreativste Idee.

Doch in diesen Tagen haben sie dafür keine Musse, viel eher beschäftigt sie die Kälteperiode. Am Montag erreichte diese ihren Tiefpunkt. Mounir stand mit zwei Mitarbeitern von 1 Uhr bis 7 Uhr morgens zwischen seinen Rebstöcken und überwachte seine Paraffinkerzen. In Salgesch sagen sie, dass in dieser Nacht überall Lichter gebrannt hätten. Das Weindorf glich einer leuchtenden Kleinstadt.

Mounir findet, das könnte man besser lösen. Mit Photovoltaikanlagen.

Schützen und Energie produzieren

2019 traf Mounir bei einem Apéro auf einen Unternehmer, der faltbare Photovoltaikanlagen produziert. In Beerenkulturen finden sie bereits vereinzelt Anwendung. Dort schützen diese Anlagen die Früchte der Pflanzen vor Kälte oder Hitze. Man nennt die Methode «Agri-Photovoltaik», ihr Ziel ist es, auf landwirtschaftlichen Flächen erneuerbaren Strom zu produzieren und gleichzeitig Nutzpflanzen anzubauen. Laut Mounir liesse sich «Agri-PV» auch auf den Weinbau übertragen. Parzellen in der Ebene, die nahe an einer Strasse mit Anschluss ans Stromnetz liegen, seien ideal geeignet. Und gerade diese Parzellen in der Ebene sind anfällig für Frostschäden.

Reben an Hanglagen sind besser vor der Kälte geschützt als solche im Talgrund, wo sich die Kälte manchmal staut und die Temperatur weiter sinken kann. Gerade für Weinproduzenten, die grosse Parzellen im Talgrund bewirtschaften, sind die derzeitigen Temperaturen also besonders dramatisch.

Ein weiterer Faktor, der Frostschäden begünstigt, sind gewisse Eigenschaften einzelner Traubensorten. Cornalin oder Petite Arvine treiben zum Beispiel besonders früh aus. Warme Tage im Frühjahr beschleunigen das Spriessen der Pflanzen weiter. Kommt es dann, so wie jetzt, zu einem Wintereinbruch mit Minusgraden in der Nacht, sind diese Pflanzen besonders gefährdet durch Frostschäden.

Im Fall von Olivier Mounir sind hauptsächlich zwei Parzellen im Talgrund betroffen. Sie machen lediglich 8 Prozent seiner Anbaufläche aus. Doch diese 8 Prozent verlangen ihm und seinen Mitarbeitern gerade enorm viel ab. Er muss ständig abwägen, welche Massnahmen er ergreift. Das kostet ausserdem Geld.

Wenn Mounir allerdings von seiner Idee mit den Photovoltaikanlagen erzählt, klingt alles simpel.

Dafür werden inmitten einer Parzelle Stelzen eingeschlagen, die 1,4 Meter tief in den Boden reichen. Auf diesen Stelzen werden die faltbaren Photovoltaikmodule montiert. Im Winter werden sie ausgefahren und produzieren Strom. Im Frühjahr könnten sie das Spriessen der Pflanzen hinauszögern. Und bei Kälteeinbrüchen könnten sie die Knospen der Reben vor Frost schützen. Im Sommer könnte man die Module so verstellen, dass die Pflanzen die nötige Sonneneinstrahlung erhalten.

Oft können bereits kleine Faktoren Frostschäden verhindern oder begünstigen. Ein bewölkter Himmel oder leichte Luftströme dämpfen die Kälte ab. Mounir sagt, die Photovoltaikmodule könnten wie eine künstliche Wolke funktionieren und ihre Abwärme könnte die Temperatur darunter entscheidend erhöhen. Sie könnten die Paraffinkerzen mancherorts überflüssig machen.

Zunächst erhielt Mounir viel Zuspruch für diese Idee. Er sprach bei Unternehmern vor und unterschrieb mit der schweizerischen Bundesanstalt für landwirtschaftliche Forschung Agroscope eine Forschungspartnerschaft. 2023 holte er beim Kanton eine Vormeinung zum Projekt ein. Das Feedback war positiv. Dann kam die Absage.

Der Absender war die Dienststelle für Umwelt. Ihre Begründung lautete: Mounirs vorgesehene Weinbergparzelle befinde sich in einer Gewässerschutzzone der Stufe S2. Bauten sind darin nicht erlaubt. Mounir sagt: «So wie der Kanton das Gewässerschutzgesetz auslegt, werden die Stelzen der Photovoltaikanlage wie das Fundament eines Einfamilienhauses bewertet.»

Mounir argumentierte damals, es handle sich lediglich um eine Erweiterung seiner Anlage, keinen neuen Bau. Das half nichts. Mounir sagt: Solche Projekte seien für Dienststellen fordernd, weil sie in keine Raster passten. Allerdings fehlt aus seiner Sicht manchmal die Fähigkeit, Innovationen zu fördern, schliesslich hätte er das Risiko des Projekts getragen.

Vorerst hat Mounir dieses Projekt zurückgestellt. Er sagt, er müsse seine Energie auf die derzeitigen Temperaturen und sein Hauptziel verwenden: schönen Wein zu produzieren.

Den Tiefpunkt der momentanen Kälteperiode haben Mounir und die Salgescher Winzer vermutlich überstanden. Doch angesichts der klimatischen Veränderungen könnten sich Wetterumschläge und Temperatureinbrüche in Zukunft häufen. Vielleicht kommt die Dienststelle für Umwelt schon bald auf die Idee von Olivier Mounir zurück. Er hofft es.

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