EU-SONDERGIPFEL: SCHOLZ KOMMT MACRON BEI DER KAPITALMARKTUNION ENTGEGEN

Um Europa wettbewerbsfähiger zu machen, wollen die Regierungschefs die Kapitalmarktunion wiederbeleben. Um die Details gibt es jedoch heftigen Streit.

Nach jahrelangem Stillstand wollen die EU-Regierungschefs die Kapitalmarktunion wieder vorantreiben. In der Abschlusserklärung eines Sondergipfels am Donnerstag fordern sie, ohne Verzögerung „eine wirklich integrierte europäische Kapitalmarktunion zu schaffen“.

Ziel ist es, gemeinsame Regeln für die 27 nationalen Kapitalmärkte zu finden, damit Anleger leichter in allen europäischen Ländern investieren können. Das soll dazu führen, dass mehr privates Kapital für den grünen und digitalen Umbau der Wirtschaft bereitsteht.

Dabei ist das Thema weiterhin umstritten: Die Debatte dauerte deutlich länger als erwartet, die Regierungschefs verhandelten stundenlang über einzelne Formulierungen.

Konkret schlagen sie unter anderem vor:

- Eine Vereinheitlichung des Insolvenzrechts in den 27 Ländern, um grenzüberschreitende Investitionen zu erleichtern.

- Die Verbriefung von Krediten, damit Banken mehr Spielraum in ihren Bilanzen bekommen, neue Kredite zu vergeben.

- Eine effizientere Finanzaufsicht. Die Kommission soll eine zentrale EU-Aufsicht für große systemrelevante Finanzdienstleister prüfen, damit diese nicht immer mit 27 nationalen Aufsichten zu tun haben.

- Ein europäisches Anlageprodukt für Kleinanleger.

Bundeskanzler Olaf Scholz sagte nach dem Gipfel, die Erklärung sei „ein großer Fortschritt“. In der Vergangenheit hätten sich Beschlüsse zur Kapitalmarktunion häufig so gelesen, als sollten sie nie umgesetzt werden. Das sei jetzt anders.

Blockade bei den Finanzministern

Gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron habe er die Initiative ergriffen, sagte der Kanzler. Die Kapitalmarktunion müsse auf der Prioritätenliste ganz vorne stehen, denn die unterschiedlichen Kapitalmärkte seien die „wesentliche Ursache“, warum die Wachstumsdynamik in Europa nicht so groß sei wie in den USA. Beim nächsten EU-Gipfel im Juni werde man die Debatte daher fortsetzen.

Grundlage für die lange Diskussion am Donnerstag bildete ein Bericht des EU-Sonderbeauftragten Enrico Letta. Dieser hatte im Auftrag der EU-Kommission am Mittwoch Empfehlungen für eine Reform des Europäischen Binnenmarkts vorgelegt.

Die Kapitalmarktunion ist aus Lettas Sicht zentral, um die EU im Konkurrenzkampf mit den USA und China wettbewerbsfähiger zu machen. Ihm zufolge gebe es 33 Billionen Euro an privaten Spareinlagen in der EU, die über einen Maßnahmenkatalog mobilisiert werden könnten. Das Geld müsse produktiv eingesetzt werden statt nur auf dem Bankkonto zu lagern.

Die Details der Kapitalmarktunion werden im Kreis der Finanzminister seit Monaten ergebnislos diskutiert. Deshalb hatten die Regierungschefs das Projekt im März zur Chefsache erhoben – sehr zum Unmut einiger Finanzminister.

Auch in der Bundesregierung setzen Kanzleramt und Finanzministerium unterschiedliche Akzente, etwa in der Frage einer stärker zentralisierten Finanzmarktaufsicht. Scholz ist offener für die Idee, die vor allem von Frankreich gefordert wird. Der Kanzler sagte am Donnerstag, eine stärkere Harmonisierung in diesem Bereich bedeute eine „Entbürokratisierung“ für Unternehmen.

Finanzminister Christian Lindner hingegen sieht das anders. Der FDP-Chef vertritt die Position der deutschen Finanzbranche, die lieber weiter von der Bafin reguliert werden möchte statt von der europäischen Marktaufsicht (ESMA) in Paris.

Im Rat der Finanzminister ist Deutschland daher eher im Lager der Länder, die eine Kapitalmarktunion nur schrittweise herbeiführen wollen. Dazu zählen auch etliche kleinere Mitgliedstaaten. Sie sehen die Zentralisierung skeptisch.

Streit um Insolvenz- und Steuerrecht

Schnelle Fortschritte erwarten Beobachter daher nicht. Viele Forderungen, etwa ein einheitliches Insolvenzrecht, werden seit Jahren ohne Annäherung diskutiert. Das Problem sei, dass jede Regierung denke, sie habe das beste Insolvenzrecht, sagt ein EU-Diplomat.

Ähnlich groß war der Widerstand gegen eine Angleichung im Steuerrecht. Der neue irische Ministerpräsident Simon Harris und die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas betonten, sie wollten keine einheitliche Unternehmensbesteuerung. Beide Länder nutzen niedrige Steuern seit Langem als Wettbewerbsvorteil. Deshalb wurde die Passage zum Steuerrecht aus der Abschlusserklärung gestrichen.

Der belgische Ratspräsident Alexander de Croo sagte, jetzt komme es darauf an, wie die Staaten mit dem Letta-Bericht weiterverfahren. Die ungarische Regierung habe signalisiert, das Thema Wettbewerbsfähigkeit weiterzuverfolgen, wenn sie im Juli die Ratspräsidentschaft übernimmt.

Maria Demertzis vom Brüsseler Thinktank Bruegel nannte Lettas Vorschläge „vernünftig“. Nun müssten die Regierungen aber einen politischen Konsens zur Kapitalmarktunion erreichen. Wenn der Letta-Bericht dazu beitragen sollte, „wäre es ein großer Erfolg“.

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