EUROPAWAHLKAMPF: WIE EXPERTEN DIE WIRTSCHAFTSPOLITIK DER AFD BEWERTEN

Die AfD steigt in den Europawahlkampf ein. Führende Wirtschaftsvertreter sorgen sich um den Standort Deutschland, denn das Wahlprogramm verheißt nichts Gutes.

Europapolitik, Fachkräftesicherung, Energiepolitik – für viele Bereiche sehen Vertreter der deutschen Wirtschaft ein Standortrisiko, sollte die AfD Regierungsverantwortung erlangen. Die Alternative für Deutschland gibt sich zwar gern als Wirtschaftspartei, doch schon das Europawahl-Programm der in weiten Teilen rechtsextremen Partei würde Deutschland nach Einschätzung von Experten „wirtschaftlich zurückwerfen“.

Wie groß ist die Gefahr für die deutsche Wirtschaft wirklich, die von der AfD ausgeht? Welche Chancen hätte die Partei, ihre Wirtschaftspolitik umzusetzen? Das sind die wichtigsten Fragen und Antworten.

Will die AfD aus der Europäischen Union austreten?

Ein EU-Austritt Deutschlands („Dexit“) analog zum Austritt Großbritanniens („Brexit“) ist für die AfD eine Option. Im Europawahlprogramm ist von einem „Dexit“ zwar nicht explizit die Rede. Doch eine Abkehr von den bestehenden Strukturen wird dort klar benannt. „Wir halten die EU für nicht reformierbar und sehen sie als gescheitertes Projekt“, heißt es in der Präambel zum Programm für die Europawahl 2024. Angestrebt wird stattdessen eine Neugründung der EU als „Bund europäischer Nationen“.

Falls das nicht gelingen sollte, käme aus Sicht der AfD ein Referendum über den EU-Austritt Deutschlands in Betracht. Die AfD-Vorsitzende Alice Weidel hatte diese Möglichkeit in einem Interview mit der „Financial Times“ ins Spiel gebracht.

Der Vorsitzende des Aufsichtsrats der Siemens Energy AG und Daimler Truck Holding AG, Joe Kaeser, warnt in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Ifo-Schnelldienst“: „Ein Rückzug in nationalstaatliches Denken und eine Abschottung würde zu einer erheblichen Kontraktion der deutschen Wirtschaft führen und Millionen von Arbeitsplätzen gefährden.“

Weidel hatte den EU-Abschied Großbritanniens als „Modell für Deutschland“ beschrieben. Für Kaeser ist das „nicht nur irrational, sondern auch gefährlich“.

Warum ist ein „Dexit“-Szenario gefährlich?

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) verweist auf die negativen wirtschaftlichen Folgen eines „Dexits“. Bei einem Austritt aus der EU und der Euro-Zone könnte Deutschland „rund zehn Prozent seiner Wirtschaftsleistung verlieren“, erklärte jüngst der Leiter des Berliner Büros des IW, Knut Bergmann.

„Das bedeutete einen Wohlstandsverlust von 400 bis 500 Milliarden Euro jährlich, wie die Übertragung einer Studie zu den tatsächlichen Brexit-Folgen zeigt“, sagte er. Deutschland als Exportland wäre stark getroffen. 2,2 Millionen Arbeitsplätze stünden auf dem Spiel.

Moritz Schularick, Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW), warnte, ein harter „Dexit“ wäre der wirtschaftliche GAU für Deutschland. Ein Land im Herzen Europas könne sich jede Form von Abkopplung von Europa schlicht nicht leisten, sagte Schularick.

Wie ist die AfD in der Energiepolitik aufgestellt?

Die AfD plädiert für eine „nachfragegerechte Energieversorgung“. Im Vordergrund steht für sie hierbei, Kohle- und Kernkraftwerke einzusetzen, um Unternehmen mit kostengünstiger Energie zu versorgen.

Siemens-Energy-Aufsichtsrat Kaeser hält das für einen Irrweg. „Wer die AfD wählt, steuert Deutschland beim Thema Energiepolitik in eine Sackgasse ohne Wendekreis“, sagte er. „Denn es gibt keine Alternative zum Gelingen der Energiewende.“

Kaeser sieht in der Energiewende sogar „das bedeutendste Investitionsprogramm seit der Industrialisierung“, das gleichzeitig „enorme Chancen“ für Wachstum und Beschäftigung biete. „Doch um diese Chancen zu nutzen, brauchen wir eine Politik, die den Kampf gegen den Klimawandel unterstützt, anstatt ihn zu behindern oder sogar zu leugnen“, sagte Kaeser.

Wie will die AfD den Fachkräftemangel eindämmen?

Die Zuwanderung von Spezialisten lehnt die AfD ab. „Migranten haben die Fachkräftelücke in der Vergangenheit nicht geschlossen und werden sie auch in Zukunft nicht schließen“, behauptet die Fraktion in einem Parlamentsantrag. Die Strategie der AfD zielt stattdessen auf eine „aktivierende Familienpolitik“ ab, die eine ausgeglichene Geburtenbilanz zum Ziel hat. Frauen sollen quasi mehr Kinder bekommen, damit Deutschland weniger Zuwanderung braucht.

Die Experten vom IW-Institut sehen in der Verweigerung von Fachkräftesicherung durch qualifizierte Migration ein Risiko für den Standort Deutschland. Schon die AfD selbst wirkt abschreckend auf Zuwanderer, wie eine Befragung großer Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände durch das IW ergab.

Demnach stimmt fast jeder zweite Befragte der Aussage zu, das Erstarken der AfD führe auf betrieblicher Ebene zu „Schwierigkeiten, in AfD-Hochburgen Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen“. Nur 13 Prozent verneinen diese Aussage.

Wie sieht die Steuerpolitik der AfD aus?

Die AfD verspricht für den Fall, dass sie im Bund regieren sollte, höhere Nettolöhne, „indem wir die Steuerlast senken“. Die Erbschaftsteuer will sie komplett abschaffen. Gleiches gilt für den Solidaritätszuschlag, den seit 2021 nur noch Spitzenverdiener und Kapitalgesellschaften zahlen müssen. Außerdem lehnt die AfD die Besteuerung großer Vermögen ab.

Damit vertritt sie teilweise ähnliche Positionen wie Union und FDP. In der Kombination gehen die Steuersenkungsvorschläge der AfD allerdings deutlich weiter mit entsprechenden Auswirkungen auf den staatlichen Haushalt.

Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) attestiert der AfD eine neoliberale Wirtschaftspolitik und den Willen, den Sozialstaat zu beschneiden. Bemerkenswert sei, „dass die AfD sich noch stärker und umfassender für eine marktorientierte Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik ausspricht als die FDP – obwohl die beiden Parteien recht unterschiedliche Wählerklientelen haben“.

Verschreckt die AfD Investoren?

Der Deutschlandchef des US-Vermögensverwalters Blackrock, Dirk Schmitz, hält das angesichts der hohen Zustimmungswerte für die AfD für möglich. „Deutschland hat sehr viel Gutes zu bieten, aber die politischen Umfragewerte der vergangenen Monate werden von internationalen Investoren mit Besorgnis gesehen und die Landtagswahlen in diesem Jahr werden eng verfolgt“, sagte er dem Handelsblatt.

Ähnlich äußerte sich der Vorstandschef der Deutschen Bank, Christian Sewing. Internationale Investoren „hinterfragen auch, ob sie langfristig auf die demokratischen Werte und Strukturen vertrauen können, die ein wichtiges Kalkül für ihr Engagement in Deutschland sind“.

Tommy Krieger, Wissenschaftler beim Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), gibt indes zu bedenken, dass es „keine belastbaren empirischen Belege“ dafür gebe, dass Unternehmen ihre Standortentscheidungen aufgrund eines zunehmenden Rechtspopulismus ändern.

Das bedeute jedoch nicht, betont der Ökonom, „dass keine wirtschaftlichen Schäden zu erwarten sind, wenn rechtspopulistische Bewegungen Regierungsverantwortung übernehmen“.

Sind rechtspopulistische Regierungen generell ein Wachstumsrisiko?

Eine Studie des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW) legt das nahe. Länder mit rechtspopulistischen Regierungen weisen demnach mittelfristig ein geringeres Wirtschaftswachstum auf. Als Gründe nennen die Autoren unter anderem wirtschaftlichen Zerfall, die Erosion von Institutionen und eine abnehmende makroökonomische Stabilität.

Die IfW-Expertise zeigt allerdings auch, dass bei linkspopulistischen Regierungen die Wohlstandsverluste im Durchschnitt stärker ins Gewicht fallen als bei einer rechtspopulistischen Regierung.

Hat die AfD überhaupt Chancen, irgendwann das Land zu regieren?

Eine AfD-geführte Bundesregierung ist derzeit ausgeschlossen. Die Partei konnte ihre Umfragewerte zwar auf aktuell 16 bis 18 Prozent steigern (Bundestagswahlergebnis 2021: 10,3 Prozent).

Da die anderen Parteien eine Koalition mit der AfD ausschließen, bräuchte sie allerdings eine absolute Mehrheit, also 50 Prozent der Stimmen.

2024-04-20T10:20:33Z dg43tfdfdgfd