EZB: NOTENBANKER KRITISIEREN SCHNABELS TRANSPARENZ-OFFENSIVE

Hinter vorgehaltener Hand beurteilen viele Euro-Notenbanker Zinsprognosen skeptisch. Griechenlands Zentralbankchef Stournaras spricht im Handelsblatt jedoch von einer nützlichen Debatte.

Unter den Notenbankern im Euro-Raum gibt es Vorbehalte gegen eine Idee von Isabel Schnabel für mehr Transparenz. Das deutsche Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank (EZB) hatte vorgeschlagen, individuelle Zinsprognosen zu veröffentlichen. Griechenlands Notenbankchef Yannis Stournaras sagte dem Handelsblatt, dies könnte „das Konzept der einheitlichen Geldpolitik gefährden“.

Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters befürchten etliche nationale Notenbankchefs politischen Druck aus ihrem Heimatland, falls sie künftig Zinsprognosen abgeben sollen. Das sei aus Gesprächen mit 13 Euro-Hütern in Washington hervorgegangen. Sie warnen vor dem Verlust ihrer Unabhängigkeit und vor politischer Einflussnahme.

Insbesondere sei es dann vorstellbar, dass Politiker nachforschten, welche Prognose dem Notenbank-Gouverneur ihres Landes zuzuordnen sei. Dieser könnte womöglich zu Zinsprognosen aufgefordert werden, die mit den ökonomischen Zielen der jeweiligen Regierung übereinstimmen.

EZB-Direktorin Schnabel schwebt vor, dass die Notenbanker präziser als bisher der Öffentlichkeit darlegen, wie sich die Leitzinsen ihrer Auffassung nach entwickeln werden. Dies hatte die EZB-Direktorin vergangene Woche am Rande der Frühjahrstagung von Internationalem Währungsfonds und Weltbank in Washington vorgeschlagen. Formal beraten haben die Notenbanker darüber allerdings noch nicht, wie es übereinstimmend in Kreisen des EZB-Rats heißt.

Beobachter zeigten sich überrascht darüber, dass Schnabel einen solchen Vorstoß unabgestimmt in einer Rede lancierte. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie sich damit viele Freunde gemacht hat“, sagt ein Kenner der Szene. Bisher halten sich die Notenbanker bei den Aussichten für die Leitzinsen möglichst bedeckt. Sollte Schnabels Vorstoß umgesetzt werden, sei dies eine „ziemliche Revolution“, heißt es. Die US-Notenbank Fed veröffentlicht seit Jahren Zinsprognosen ihrer Entscheidungsträger in anonymisierter Form.

Griechenlands Zentralbankchef Stournaras sagte dem Handelsblatt, er sei grundsätzlich offen, Schnabels Vorschlag zu diskutieren. Stournaras nennt die Diskussion über Vor- und Nachteile möglicher Alternativen in der Kommunikation der EZB-Zinspolitik „nützlich“. Er macht aber auch einige Vorbehalte geltend.

Es sei schon schwierig genug, die Inflation vorherzusagen. Darum frage er sich, „warum es leichter sein sollte, die Leitzinsen vorherzusagen“, sagte Stournaras. „Warum sollten wir unseren Entscheidungen ein weiteres Element der Unsicherheit hinzufügen?“

Mehr Klarheit oder mehr Verwirrung?

Stournaras wendet zudem ein, Zinsprognosen könnten als neue Form der „Forward Guidance“ interpretiert werden. Dabei geht es in der Fachsprache der Notenbanker um eine längerfristige Absichtserklärung, was die Entwicklung des Zinskurses betrifft. Diese Praxis hat der EZB-Rat eigentlich verworfen, seit die Leitzinsen gestiegen sind. Stattdessen betonen die Währungshüter nun, von Sitzung zu Sitzung zu entscheiden.

Stournaras sagte dem Handelsblatt, Zinsprognosen könnten „ein nationales Element in die Interpretation unserer geldpolitischen Entscheidungen einbringen“, selbst wenn sie anonym veröffentlicht würden. Außerdem mahnt er, statt mehr Klarheit könnten Zinsprognosen zusätzliche Verwirrung an den Märkten stiften.

Warum sollten wir unseren Entscheidungen ein weiteres Element der Unsicherheit hinzufügen?

Der Notenbankchef eines anderen Euro-Landes, der namentlich nicht genannt werden wollte, sieht einen weiteren Nachteil: Nicht alle Notenbanken im Euro-Raum verfügten über große volkswirtschaftliche Abteilungen, die umfassende Konjunkturprognosen erstellen. Deren Vertreter könnten sich unwohl dabei fühlen, Zinsprognosen abzugeben.

Einige nationale Notenbank-Chefs sehen aber auch Vorteile in Schnabels Vorschlag oder zeigen sich bereit, diesen im EZB-Rat zu diskutieren. Einer der Insider sagte laut Reuters beispielsweise, die individuellen Prognosen der einzelnen Notenbanker könnten auch gebündelt werden. So könnte die Anonymität der Voraussagen besser gewahrt bleiben.

Es wird erwartet, dass sich die Euro-Währungshüter in informellen Beratungen näher mit dem Vorschlag befassen werden. Als eine Gelegenheit zum Austausch gilt die jährliche Klausurtagung der 26 Entscheidungsträger im EZB-Rat. Sie findet am 22. Mai in Irland statt. Eine Sprecherin der EZB wollte sich auf Anfrage nicht äußern.

Mitarbeit: Gerd Höhler

2024-04-23T07:56:03Z dg43tfdfdgfd