GEHEIMDIENSTE: FIRMENROULETTE

Für den Verfassungsschutz steht mittlerweile fest, dass die Kooperation mit chinesischen Unternehmen für die deutsche Wirtschaft mehr eine Gefahr als eine Chance darstellt.

Firmenroulette

Was die Stunde für die deutsche Wirtschaft geschlagen hat? Die Verhaftung von gleich vier mutmaßlichen Spionen Chinas in Deutschland Anfang der Woche ist eigentlich schon Warnung genug. Doch was 200 deutsche Sicherheitsmanager aus großen Unternehmen am Mittwoch bei einer Konferenz des Verfassungsschutzes in Berlin zu hören bekommen, lässt die Gesichter im Saal noch länger werden. "Uns treibt die Sorge um den Standort um", warnt der Vizepräsident des Bundesamts für Verfassungsschutzes, Sinan Selen, vor den Methoden Chinas. "Es hängt von Ihrer Beratung ab, ob Ihre Unternehmen fortbestehen werden oder nicht", sagt er.

Die Rede könnte zu einem Wendepunkt in den Wirtschaftsbeziehungen der beiden Länder führen. Wohl noch nie hat der Inlandsgeheimdienst so klar davor gewarnt, dass China in den Augen der Behörde inzwischen mehr Gefahr als Chance für die deutsche Wirtschaft ist. "Wir haben eine Vielzahl von Fallbeispielen, in denen eine vielleicht höchst optimistische und zu positive Haltung hinsichtlich der Handelsbeziehungen zu China dazu geführt hat, dass sich diese Unternehmen praktisch aufgelöst haben", gibt Selen an diesem Morgen zu Protokoll.

"Für unsere Freunde haben wir Champagner, für unsere Feinde die Maschinenpistole."

Und die Gefahren durch Spionage, Verdrängung und das gezielte Schaffen von Abhängigkeiten werden nach Einschätzung des Inlandsgeheimdienstes in den nächsten Jahren möglicherweise noch größer. China verfolge aggressiv mit legitimen, aber auch illegalen Mitteln das Ziel, bis 2049 wichtigste wirtschaftliche, wissenschaftliche und militärische Macht der Erde zu werden. Mit Sorge sieht der Verfassungsschutz, dass sich die chinesische Wirtschaft selbst wandelt und immer stärker unter der Kontrolle des Staates steht. So würden Unternehmen, akademische Institutionen und Militär zunehmend verflochten. Chinas Vorgehen setze Fragezeichen beim Zugang zu Rohstoffen und Energie, sagt der Verfassungsschützer. Er erinnere sich gut an die Warnung eines chinesischen Diplomaten, der erklärt habe: "Für unsere Freunde haben wir Champagner, für unsere Feinde die Maschinenpistole."

Wie sehr sich die Fronten zwischen Europa und China gerade verhärten, macht auch eine aktuelle Razzia klar. Am Dienstag ließ die Kommission die Geschäftsräume eines Unternehmens durchsuchen, "das in der Herstellung und im Verkauf von Sicherheitsausrüstung in der Europäischen Union tätig ist", wie die Behörde mitteilte, ohne Namen oder Orte zu nennen. Es gebe Anhaltspunkte dafür, dass das Unternehmen ausländische Subventionen erhalten habe, die den Binnenmarkt verzerren könnten, sagt eine Sprecherin der Behörde. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung handelt es sich bei dem Unternehmen um den Konzern Nuctech, den in Europa nur wenige Menschen kennen dürften. Röntgengeräte, Sprengstoff- und Metalldetektoren der chinesischen Firma aber sind mittlerweile an Häfen und Flughäfen von Athen bis Amsterdam oder bei Events wie dem Weltwirtschaftsforum in Davos zu finden.

Der Nachrichtenagentur Reuters zufolge fanden die Durchsuchungen in den Niederlanden und in Polen statt. Der Sprecher der niederländischen Tochter von Nuctech, Robert Bos, sagte der SZ: "Ich kommentiere keine Gerüchte. Aber wenn eine Untersuchung laufen würde, würden wir selbstverständlich mit den Behörden kooperieren."

Die Europäische Kommission legt im Umgang mit China schon seit einer Weile eine härtere Gangart an den Tag. Es ist die vierte solche Untersuchung mit China-Bezug nach der Antisubventionsverordnung. Der Fall Nuctech zeigt beispielhaft, welche Risiken drohen. Denn längst wird chinesische Technik in Europa an sensibelsten Stellen eingesetzt. Wertvolle Daten etwa zu Fracht, Gepäckinhalt und Personenbewegungen könnten so abfließen. Chinesische Firmen sind dazu verpflichtet, mit den dortigen Sicherheitsbehörden zusammenzuarbeiten. Zwar betonen Firmen wie Nuctech, dass die gesammelten Daten Europa nicht verlassen und chinesische Geheimdienste somit keinen Zugriff darauf haben. Doch Behörden melden bei derartigen Beteuerungen immer größere Zweifel an.

Zum anderen zeigt der Fall, wie chinesische Konzerne mittels günstiger Produktionsbedingungen europäische Konkurrenten systematisch unterbieten können. Firmen in strategischen Bereichen wie etwa Elektroautos, Sicherheitstechnik oder Medizintechnik werden am Anfang großzügig mit Subventionen, Risikokapital von staatsnahen Fonds oder Bevorzugung bei Regierungsaufträgen gefördert, bis sich einige Firmen als global wettbewerbsfähig herausstellen. Die sogenannten nationalen Champions werden dann beim Aufbau von Produktionskapazitäten unterstützt, etwa durch Steuerbefreiungen, günstige Kredite und kostenlose Flächen. So können sie ihre Produkte andernorts billiger anbieten als die einheimische Industrie. Die Abhängigkeit von Chinas Anbietern wächst.

China soll technologisch vom Westen unabhängig werden

Genau das ist Machthaber Xi Jinpings Ziel. China soll technologisch vom Westen unabhängig werden, die Welt gleichzeitig aber wirtschaftlich abhängig von chinesischen Importen. Ausgerechnet die Sicherheitstechnik ist ein Bereich, in dem Chinas Industriepolitik voll aufgegangen ist. Mit Firmen wie Nuctech oder Hikvision kontrolliert China mittlerweile weite Teile des europäischen Markts für Sicherheitsscanner sowie Sicherheitskameras. Die Staatsnähe von Nuctech gehörte zur Gründungsidee. Nuctech wurde 1997 von einem Sohn des früheren chinesischen Staats- und Parteichefs Hu Jintao gegründet. Noch immer ist die Firma ein Staatskonzern.

Da, wo China mit eigenen Innovationen nicht schnell genug aufholen kann, bei Verbrennungsmotoren etwa, setzt das Land systematisch Hacker und Spione ein, um an die Firmengeheimnisse im Ausland zu kommen. So berichtete der Spiegel zuletzt über einen großen chinesischen Hackerangriff auf Volkswagen vor zehn Jahren.

Auch China verschärft unterdessen den Ton. Die chinesische Regierung hält die Dumping-Anschuldigungen gegen Nuctech für schlecht getarnten Protektionismus. "Wir fordern die europäische Seite auf, ihr Bekenntnis zur Marktöffnung und zu den Grundsätzen des fairen Wettbewerbs aufrechtzuerhalten, die Regeln der Welthandelsorganisation einzuhalten und nicht länger verschiedene Vorwände zu nutzen, um chinesische Unternehmen ungerechtfertigt zu unterdrücken und zu beschränken", sagte der chinesische Außenamtssprecher Wang Wenbin.

Glaubt man Experten wie dem chinesischen Politikprofessor Cui Hongjian, den das chinesische Propagandablatt Global Times zitiert, dann sind Enthüllungen wie die Festnahme der mutmaßlichen Spione in Deutschland nur ein Versuch von China-Kritikern, die sich langsam wieder verbessernden Beziehungen zwischen Peking und diversen europäischen Hauptstädten zu torpedieren. Möglich sei aber auch, dass Sicherheitsbehörden und Diplomaten sich nicht absprechen und deshalb die gewünschte Normalisierung der Beziehungen unabsichtlich untergraben. Diese Argumentation ist insofern interessant, als sie von manchen China-Beobachtern im Westen immer dann ins Feld geführt wird, wenn chinesische Behörden westliche Firmen durchsuchen. Die Razzien bei diversen Beratungsfirmen hatten vergangenes Jahr Verunsicherung bei westlichen Investoren ausgelöst.

Europa zieht die Daumenschrauben derweil weiter an. Am Mittwoch kündigte die EU-Kommission auch eine Untersuchung zu öffentlichen Ausschreibungen für Medizintechnik in China an. Sie prüfe, ob die Volksrepublik europäischen Firmen fairen Zugang zu ihrem Markt gewähre, hieß es in einer Mitteilung. Die Kommission reagiere damit auf "Maßnahmen und Praktiken auf dem chinesischen Beschaffungsmarkt für Medizinprodukte, die europäische Unternehmen und Produkte ungerecht diskriminieren". Dem zugrunde liegen Hinweise darauf, dass China seinen Medizinprodukte-Markt schrittweise für europäische und ausländische Unternehmen sowie für in der EU hergestellte Produkte schließt.

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