GRüNER STROM: DER ERSTE WENDEPUNKT IST ERREICHT

Ein Bericht zeigt: Die CO₂-Emissionen aus der Stromproduktion waren 2023 erneut auf einem Rekordhoch. Doch in den Daten stecken gute Nachrichten für den Klimaschutz.

Erstmals stammen 30 Prozent der globalen Elektrizität aus erneuerbaren Energien. Das berichten Forschende des Think-Tanks Ember in einer neuen Studie. "Die Kernkraft hinzugezählt, erzeugte die Welt im Jahr 2023 beinahe 40 Prozent ihres Stroms kohlenstoffarm." Die Autorinnen und Autoren dieses Global Electricity Review 2024 haben für ihre Analyse Daten zur weltweiten Stromproduktion und zum Bau neuer Kraftwerke miteinander verrechnet. Das schnellste Wachstum haben sie im globalen Durchschnitt bei der Erzeugung von Solarstrom verzeichnet.

Aber nicht nur der Anteil des Grünstroms erreichte im vergangenen Jahr global gesehen einen neuen Höhepunkt. Das taten auch die Kohlendioxidemissionen aus der Stromerzeugung. Was erst einmal paradox klingt, erklärt sich so: Der Stromhunger der Menschheit steigt stetig, und noch hat das Wachstum der Erneuerbaren diese Steigerung nicht ganz stillen können – allerdings mit der Betonung auf "noch" und "nicht ganz".

Der vielleicht letzte Höhepunkt für CO₂-Emissionen

Denn es steckt ein dritter Befund in der Ember-Studie: Die erneute Emissionsspitze des Jahres 2023 könnte die letzte gewesen sein, zumindest im Bereich der Stromerzeugung. Ein Wendepunkt also. Schon im laufenden Jahr soll das Wachstum der Erneuerbaren das Wachstum des Stromhungers überflügeln, und damit den Anteil von Strom aus Kohle, Öl und Gas drücken. Nicolas Fulghum, einer der drei Leitautor:innen der Studie, erläutert gegenüber ZEIT ONLINE: "Wir erwarten, dass fossile Erzeugung – und damit auch die Emissionen im Stromsektor – 2024 abnehmen werden."

Nun ist das, so schön es klingt, noch eine Vorhersage. Und auch der Befund des Wendepunktes ("peak emissions in the power sector") kommt mit einer Einschränkung daher: "likely" – wahrscheinlich. Allerdings genießen die Analysen von Ember einen guten Ruf. Und die Prognose passt auch zu Berechnungen der Internationalen Energiebehörde IEA, die im vergangenen Herbst in Aussicht gestellt hatte, es könnten die "weltweiten energiebezogenen Kohlendioxidemissionen 2025 den Wendepunkt erreichen".

Im Stromsektor lassen sich vergleichsweise leicht Emissionen sparen

Nirgendwo werden mehr Treibhausgase freigesetzt als dort. "Energie ist kein kleines Stück der Torte, sondern mit rund 40 Prozent aller Emissionen der größte Sektor", sagt Glen Peters vom norwegischen Forschungsinstitut Cicero, der sowohl am IPCC-Bericht mitgeschrieben hat als auch zum Global Carbon Project gehört, das eine jährliche Kohlenstoffbilanz des Planeten errechnet. In diesem Carbon Budget bezifferten Peters und seine Kolleginnen, dass die Emissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger 2023 im Vergleich zum Vorjahr um etwa ein Prozent gestiegen sind. Ein Widerspruch zur Ember-Studie? Wohl nicht. Öl, Kohle und Gas werden ja nicht nur in Kraftwerken verbrannt. "Die Emissionen im Strombereich sind abgeflacht, während andere angestiegen sind."  

Klar ist, dass dem Energiesektor und besonders der Stromproduktion die Vorreiterrolle zukommt. "Das ist der einfachste Bereich", sagt Peters. "Da haben wir Sonne und Wind als billige Alternativen." Und da es für die Klimaschutzziele unerlässlich ist, auch andere Bereiche wie Transport oder Gebäude aus der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu befreien, müssen diese elektrifiziert werden. Dafür bedarf es künftig immer mehr grünen Stroms.  

Bereits im laufenden Jahr erwartet Ember ein Minus von zwei Prozentpunkten bei den CO₂-Emissionen der Stromproduktion. "Das wären 2024 rund 240 Millionen Tonnen weniger CO₂ als im Jahr 2023", rechnet Nicolas Fulghum vor. (Diese Menge, nur zum Vergleich, entspricht etwas mehr als einem Drittel aller jährlichen Emissionen der Bundesrepublik.) In den Folgejahren, so Fulghums Erwartung, werden die Erneuerbaren dann noch deutlicher wachsen und die Emissionen aus der Stromproduktion entsprechend stärker sinken.

Der Klimawandel erschwert die grüne Stromproduktion

Besondere Zuversicht in ihren Befund schöpfen Fulghum und seine Kolleginnen und Kollegen ausgerechnet aus einem bitteren Umstand. Schon im Jahr 2023 wären die Emissionen aus der Stromproduktion eigentlich gesunken, hätte nicht eine Auswirkung der Klimakrise just das verhindert: Ausgeprägte Dürren führten im vergangenen Jahr in vielen Teilen der Welt dazu, dass Wasserkraftwerke ihre Leistung in historischem Ausmaß drosseln mussten. Stattdessen wurde mehr Kohle verbrannt. "95 Prozent der zusätzlichen Kohleverstromung im Jahr 2023 fand in vier Ländern statt, die schwer von Dürren betroffen waren: China, Indien, Vietnam und Mexiko", sagt Fulghum. Bis heute ist Wasserkraft weltweit die wichtigste Quelle sauberen Stroms. "Unter normalen Bedingungen hätte der Ausbau der Erneuerbaren im Laufe des Jahres 2023 gereicht für einen Rückgang der fossilen Stromerzeugung um ein Prozent."

Und wie lange werden die Fachleute bei Ember in London und Jakarta nun Statistiken wälzen, bevor sie mehr als nur prognostizieren können, ob sich der Trend der Stromemissionen gedreht hat und nach unten zeigt? "Möglicherweise können wir das schon Ende des Sommers mit Gewissheit sagen, aber wenn es ans Eingemachte geht, könnte es auch Dezember werden", sagt Fulghum. Immerhin: "Das erste Quartal 2024 entspricht dem Trend, der nötig ist, damit die Vorhersage für das gesamte Jahr eintritt." Na dann, toi, toi, toi.

2024-05-07T23:27:53Z dg43tfdfdgfd