INFLATION: SCHNABELS BRISANTE IDEE – EZB ZIEHT LEHREN AUS PROGNOSE-FIASKO

Die Währungshüter unterschätzten die Wucht der Inflation. Nun arbeiten sie ihren folgenschweren Irrtum auf. Die Bank of England holt sich dafür sogar hochkarätigen Rat aus den USA.

Die Währungshüter in der Euro-Zone, den USA und in Großbritannien haben eine Gemeinsamkeit, die ihnen sehr unangenehm ist: Alle unterschätzten die Wucht des Inflationsschubs vor zwei Jahren. Sie konnten sich nicht vorstellen, dass die Teuerung dermaßen außer Kontrolle geraten würde. Umso radikaler mussten sie gegensteuern, indem sie die Leitzinsen drastisch anhoben.

Aus ihren folgenschweren Irrtümern ziehen die Europäische Zentralbank (EZB) und die Bank of England nun erste Lehren. Darunter ist ein Vorschlag, der für reichlich Diskussionen bei der EZB sorgen dürfte. Die britischen Kollegen haben sich sogar externen Rat geholt, um Fehler aufzuarbeiten.

Die Notenbanker dürften von schlechtem Gewissen getrieben sein, denn sie haben der Wirtschaft eine Menge zugemutet: Nie in der modernen Wirtschaftsgeschichte sind die Leitzinsen in so kurzer Zeit so stark gestiegen. Und das, nachdem Unternehmen, Banken und Finanzmärkte chronisch niedrige Zinsen gewohnt waren.

Mit ihrem Prognosefiasko waren die Währungshüter nicht allein, viele Ökonomen von Banken, Universitäten und Forschungsinstituten lagen ebenfalls daneben. Aber die Notenbanker trafen auf dieser Basis Entscheidungen, die sich im Nachhinein als falsch herausstellten. Deshalb wollen sie verhindern, dass sich so etwas wiederholt.

Isabel Schnabel, eine von zwei Deutschen im Führungsgremium der EZB, räumte am Rande der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) ein: Die Fehler bei Inflationsprognosen hätten „merklich“ zugenommen und erwiesen sich als „hartnäckig“. Besserung ist Schnabel zufolge nicht so bald in Sicht. Schließlich verändere sich die Wirtschaft stark und die allgemeine Unsicherheit sei hoch.

Zentrale Prognosen sind zwar leicht zu vermitteln, vermitteln aber einen falschen Eindruck von Präzision.

Schnabel macht deshalb zwei Vorschläge. Sie will abrücken vom Fokus auf eine einzelne Prognose zu Inflation und Konjunktur. Das vermittle „einen falschen Eindruck von Präzision“. Stattdessen sollten sie und ihre Kollegen deutlicher machen, dass die Inflation unterschiedlich verlaufen könne – je nachdem, wie gut oder schlecht die Wirtschaft läuft. Solche „alternativen Szenarien“ bekämen derzeit nicht die nötige Aufmerksamkeit.

Schnabels zweiter Vorschlag klingt nach einer Marginalie für Finanzmarkt-Feinschmecker, hat es aber in sich. Die Währungshüter sollten klarer machen, wohin sich die Zinssätze ihrer Ansicht nach in Zukunft bewegen werden, empfiehlt Schnabel.

Folgt die EZB dem Vorbild der Fed?

Konkret würde das bedeuten: Jedes der 26 Mitglieder im EZB-Rat müsste genau angeben, wie stark die Leitzinsen künftig fallen oder steigen dürften. Und diese Informationen würden veröffentlicht.

Analysten und Marktteilnehmern gäbe das nähere Hinweise, wie die Notenbanker ihre Zinspolitik einschätzen. Dafür gibt es ein prominentes Vorbild: Die US-Notenbank Fed handhabt es seit Langem so. Schnabel führt am Beispiel der Fed aber auch einen Nachteil an: So viel Transparenz könne die Marktpreise zu stark beeinflussen.

Die EZB dürfte Schnabels Ideen zwar kaum allzu überstürzt umsetzen. Die Deutsche sorgt mit ihren Vorschlägen aber einmal mehr für viel Gesprächsstoff. Analysten und Volkswirte von Banken und Universitäten schenken ihren Beiträgen großes Interesse.

Das Tagesgeschäft überlässt Schnabel bewusst Christine Lagarde: Die EZB-Chefin stimmte in Washington auf den Beginn der Zinswende in sechs Wochen ein – sofern „kein großer Schock“ dazwischenkomme.

Ex-Fed-Chef Bernanke berät Bank of England

Schnabels Rede ist so etwas wie die Antwort auf Empfehlungen des Wirtschaftsnobelpreisträgers Ben Bernanke für die Bank of England. Die Briten haben sich von dem früheren Präsidenten der amerikanischen Notenbank Rat geholt. Vor wenigen Tagen hat Bernanke, der die Fed einst durch die Weltfinanzkrise steuerte, den erwünschten Bericht abgeliefert.

Darin spart Bernanke nicht mit Kritik. Sein Bericht liest sich wie ein Verriss über die bisherigen Praktiken der britischen Währungshüter. Veraltete Software, fehlende Stresstests, mangelhafte Prognosemodelle: Die Notenbanker müssten ihre Herangehensweise komplett erneuern.

Ähnlich wie Schnabel empfiehlt Bernanke, mit verschiedenen Szenarien zu arbeiten und diese transparent zu machen. Außerdem solle die Bank of England Risiken klarer benennen. Informationen, die ohnehin kaum jemand versteht, sollte sie dafür ausmustern.

Von der Empfehlung, der US-Notenbank Fed nachzueifern und Zinsprojektionen zu veröffentlichen, sieht Bernanke hingegen ab. Somit geht er in einem wichtigen Punkt nicht so weit wie EZB-Direktorin Schnabel.

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