ITALIEN: WARUM MELONI PLöTZLICH IHRE VERBUNDENHEIT MIT CHINA BESCHWöRT

Ende 2023 verkündete Roms rechte Regierungschefin den Ausstieg aus dem Seidenstraßenprojekt. Doch nun gibt es ein neues Abkommen – auch, weil Italiens Luxusindustrie auf China angewiesen ist.

Die Bilder aus Venedig sind an Symbolkraft kaum mehr zu überbieten: Italiens Außenminister Antonio Tajani empfängt seinen Gast aus China direkt am Canale Grande, dem größten Kanal in der Lagunenstadt, im Hintergrund schippern hölzerne Jachten vorbei. Handelsminister Wang Wentao ist zum 700. Todestag von Marco Polo gekommen, den sie hier in Venedig groß feiern.

Polo entstammt einer alten Handelsfamilie, wurde für seine Reiseberichte aus China weltberühmt. Der Kaufmann war „ein Vorreiter der mit Tourismus und Wissen verbundenen Diplomatie“, erklärt Tajani, er sei ein Protagonist des „Dialogs zwischen Italien und China“ gewesen.

Der historische Bezug soll zeigen: China und Italien haben eine lange gemeinsame Geschichte. Es ist eine Geschichte, mit der sich gut eine diplomatische Kehrtwende anmoderieren lässt. Vor Kurzem war das chinesisch-italienische Verhältnis an einem Tiefpunkt angelangt, nun soll eine neue Ära der wirtschaftlichen Zusammenarbeit beginnen.

Dabei hatte die rechte Ministerpräsidentin Giorgia Meloni noch Ende vergangenen Jahres den Austritt aus der Seidenstraßen-Initiative (BRI) verkündet.

Italien war das einzige der G7-Länder, das 2019 dem Mega-Infrastrukturprojekt beigetreten war. Damals begingen Melonis linker Vorvorgänger Giuseppe Conte und Chinas Präsident Xi Jinping einen pompösen Festakt in Rom, mit rotem Teppich und Ehrenwache. Italien sollte der Brückenkopf des Vorhabens in Europa werden. Doch die „Neue Seidenstraße“ hatte für Rom offenbar nie die erhofften Effekte. Zudem war der Druck der westlichen Partner groß, allen voran der USA, das Projekt aufzukündigen, um die Abhängigkeit vom Reich der Mitte zu verringern.

China soll ein wichtiger Handelspartner bleiben

Das Derisiking gegenüber China treibt derzeit ganz Europa um. In welchem Dilemma der alte Kontinent steckt, zeigte auch die jüngste Chinareise von Bundeskanzler Olaf Scholz. Einerseits will man sich aus Abhängigkeiten in den Lieferketten befreien und sich vor chinesischen Überkapazitäten schützen, die per Staatsfinanzierung nach Europa geschwemmt werden, etwa bei der E-Mobilität. Andererseits braucht man das Reich der Mitte als einen der weltgrößten Absatzmärkte – und als politischen Verhandler in den globalen Krisenherden wie dem Ukraine- und dem Gazakrieg.

Italien versucht statt der Seidenstraße nun also den „Marco-Polo-Weg“. Auch wenn es kein offizielles Abkommen gibt: Die italienische Regierung will, dass Peking der wichtigste Handelspartner in Asien bleibt, dass die italienischen Exporte weiter ansteigen – das machte Außenminister Tajani in Venedig klar. „Wir sehen in chinesischen Städten, welche Wertschätzung dort für das ,Made in Italy‘ herrscht“, erklärte der Chefdiplomat.

Wie wichtig Italien der Kontakt zu China ist, zeigt auch ein Blick in Melonis Reisekalender: Sie will noch in diesem Jahr, vermutlich im Anschluss an die Europawahl, nach Peking aufbrechen. Auch Italiens Präsident Sergio Mattarella plant einen Staatsbesuch in China.

Das Handelsvolumen zwischen Italien und China lag zuletzt bei rund 67 Milliarden Euro. Nach Deutschland ist China damit das Land, aus dem Italien am meisten importiert. Güter im Wert von 19,2 Milliarden Euro hat Italien nach China exportiert – neuer Rekord und Platz neun auf der Rangliste für das „Made in Italy“. Die ersten Plätze belegen Deutschland, die USA und Frankreich, in den Top Ten sind sonst nur Staaten in Europa. Ob Mode, Wein oder Luxusautos: Immer mehr Chinesen kaufen italienische Produkte.

Laut Handelsminister Wang sei es wichtig, den Technologie- und Erfahrungsaustausch stärker als bisher zu fördern, etwa in den Bereichen Digitalisierung, Luft- und Raumfahrt, bei Künstlicher Intelligenz und erneuerbaren Energien. Wang sagte, dass Peking sich auch gegenüber italienischen Investitionen aufgeschlossen zeigen müsse, die Transformation könne „große Chancen“ für Unternehmen aus beiden Ländern mit sich bringen.

Italien hat mehrmals Einstiege chinesischer Unternehmen verhindert

Die Zahl der italienischen Investments in China ist im vergangenen Jahr auf 13 Milliarden Euro gestiegen, die größten Treiber sind der Halbleiterhersteller STMicroelectronics und der Autobauer Stellantis. Die chinesischen Investments in Italien sind hingegen gefallen auf 4,9 Milliarden Euro.

Das Thema ist in Rom schon länger umstritten: Immer wieder haben italienische Regierungen in den vergangenen Jahren ihr „goldenes Veto“ benutzt, um Einstiege von chinesischen Investoren in heimische Unternehmen zu verhindern, vor allem bei kritischer Infrastruktur, aber auch bei dem Lkw-Bauer Iveco oder dem Reifenhersteller Pirelli. Außenminister Tajani erklärte, dass Italien gegenüber chinesischen Investments offen sei, wenn sie Produktion nicht verlagerten, „sondern Wachstum erzeugen“.

Tajani selbst bewegt sich beim Thema China immer wieder auf schmalem Grat: Auf der Insel Capri, wo er in diesen Tagen seine G7-Kollegen als Gastgeber empfängt, unterschrieb er am Mittwoch einen Pakt gegen Desinformation mit US-Außenminister Antony Blinken. In der Absichtserklärung geht es darum, irreführende Propaganda und Deep Fakes aus sozialen Netzwerken wie Telegram oder Tiktok zu verbannen. Die Attacken im Netz kommen vor allem aus zwei Staaten: Russland – und China.

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