KIRCHENREFORM: REDET DER PAPST DIFFUS?

Und dann platzt ihm doch der Kragen: „Kann man jetzt aus dogmatischer Sicht Frauen weihen oder nicht? Sie weichen aus!“ Hubert Wolf, der Münsteraner Kirchenhistoriker, bekannt als öffentlichkeitswirksamer Zuspitzer seiner Zunft, möchte Georg Essen, den die Regularien abwägenden Berliner Dogmatiker, aus dieser Frage nicht mehr entlassen. Der lässt sich aber nicht aus der Ruhe bringen, gibt zu verstehen, dass isolierte Ja/Nein-Antworten der zum differenzierten Verständnis notwendigen Kontexte entbehren. Keineswegs weiche er aus, „nur sind die Zusammenhänge nun einmal komplex“, so Essen in dem lebhaften Streitgespräch, das für die neue Ausgabe der theologischen Zeitschrift „Herder Korrespondenz Spezial“ geführt wurde.

Allein schon diese Aussage, für komplexe theologische Zusammenhänge Gehör zu verlangen, kommt einem Sondervotum innerhalb der medial befeuerten, auf schnelle Reformeffekte setzenden kirchenpolitischen Diskurse gleich. Selten macht Theologie so interessant von sich reden wie bei diesem von Stefan Orth dramaturgisch effektvoll moderierten Disput, bei dem es mit der Paradoxie des Dogmas geradewegs ins Zentrum aller innerkirchlichen Reformdiskussionen geht. Die Paradoxie hat damit zu tun, dass es sich, wie Essen das formuliert, beim Dogma um eine Lehraussage handelt, „die ihren historischen Ursprung zwar nicht abstreifen kann, aber gleichwohl einen Wahrheitsanspruch erhebt, der zeitübergreifend gültig ist“.

Warum theologisch nicht einfach tabula rasa machen?

Deshalb sei es nicht ohne Belang, so Essen weiter, wenn das römische Lehramt den Ausschluss von Frauen vom Amtspriestertum „mit einem sehr hohen Geltungsgrad“ versah, „auf den wir nun einmal dogmenhermeneutisch zu reagieren haben“. Aber warum dies überhaupt? Warum lässt sich theologisch nicht einfach tabula rasa machen, etwa durch Dichtmachen oder Umbenennung von Dogmen, wie man es von Straßen her kennt? Warum stattdessen eine aufwendige, historischen Rücksichten gehorchende Dogmenhermeneutik der Kontinuität betreiben? Statt kurzum einen Bruch mit der Tradition zu vollziehen, wenn historische Umbruchserfahrungen dafür sprechen? Essen ist nicht grundsätzlich gegen diese Ansicht, er räumt ein: „Umbrüche können Innovationen auch dann legitimieren, wenn sie einen Bruch mit der Tradition darstellen.“ Allerdings müssten auch Brüche regelgeleitet vonstatten gehen, orientiert an den Gehalten der lehramtlich gültigen dogmatischen und rechtlichen Vorgaben.

Mit Hausordnung lässt sich freilich keine Revolution durchführen. Wolf zeigt sich wegen des angeblich „zu engen Kirchenbegriffs“ des Dogmatikers beunruhigt, weil hier „Kirche zumindest implizit von den Päpsten und vom römischen Lehramt her gedacht“ werde, lenkt dann aber bedingt ein: „Trotzdem bin ich ein dezidierter Anhänger der Kirchlichkeit katholischer Theologie und Kirchengeschichte, weil wir sonst Religionsgeschichte treiben würden oder ihr Systematiker (an Georg Essen gerichtet, d. Red.) vielleicht Religionsphilosophie.“ Sowieso seien Theologen, historisch gesehen, die eigentlichen Inhaber des Lehramtes, so Wolf, ohne für diese flotte These die ihm eben noch wichtige Kirchlichkeit aufzuzeigen. „Wir als Theologen haben uns im 19. Jahrhundert das Lehramt von den Hirten stehlen lassen.“

Das klingt Essen zu willkürlich. Man müsse darauf bestehen, sagt er, „dass der Glaubensbegriff – auch wenn er darauf gewiss nicht verengt werden kann – stets auch dogmatisch und rechtlich ausgelegt werden muss. Das betrifft, als dessen blinder Fleck, leider auch das Pontifikat von Papst Franziskus, der rhetorisch innovativ auftritt, aber offenbar nicht ernsthaft bereit ist, seinen Worten folgend Glaubenslehre und Kirchenrecht zu ändern.“

So stelle sich die Frage: Was eigentlich umfasst der Begriff der Synodalität inhaltsbestimmt und was ist sein dogmatischer und rechtlicher Geltungssinn? „Die hier entstandene diffuse und, so hat es den Anschein, bewusst herbeigeführte Vagheit verführt, weil Synodalität nicht präzise normiert wird, zu Kirchenträumereien; anschließende Enttäuschungen inbegriffen.“ Die Funktion der Dogmatik bestehe an dieser Stelle darin, auf in sich schlüssigen Begründungen zu beharren, „und, wie Juristen sagen würden, die geltende Rechtslage zu beachten“. Ein Ausweis effektiver Kirchenreform: Der Theologe Essen ist an der Humboldt-Universität auch Mitglied der Juristischen Fakultät.

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