KOMMENTAR: DIE KIRCHE STEHT VOR SCHMERZHAFTEN VERäNDERUNGEN

Die evangelische Kirche wird von mehreren Seiten in die Zange genommen. Die Zahl der Austritte liegt mit 380.000 weiter auf dem Rekordniveau des Vorjahres. An den neuen Zahlen der EKD lässt sich aber auch ein demographisches Problem ablesen: Die evangelische Kirche hat im vergangenen Jahr rund 140.000 Mitglieder durch Taufe neu gewonnen und im gleichen Zeitraum 340.000 durch Tod verloren.

Die genannten Trends zeichnen sich seit mehreren Jahren ab, ihre Auswirkungen waren in der Kirche allerdings bisher kaum zu spüren. Aufgrund der guten Wirtschaftslage sprudelten die Erträge aus der Kirchensteuer munter weiter. Das hat die innerkirchliche Debatte über die eigenen Strukturen auf gefährliche Weise sediert.

Nun steht bei den Kirchensteuern erstmals seit vielen Jahren ein dickes Minus von mehr als fünf Prozent. Und mit der begonnenen Verrentung der Babyboomer dürfte der finanzielle Druck weiter zunehmen, zumal auf vielen kirchlichen Haushalten gewaltige Pensionslasten lasten. Zumindest auf einen erfreulichen Nebeneffekt können die Bischöfe nun aber hoffen: Die Mär von den „reichen Kirchen“, die das Geld des einzelnen Kirchensteuerzahler eigentlich gar nicht nötig hätten, dürfte ihre beste Zeit hinter sich haben. Bald dürfte es kaum noch Orte in Deutschland geben, in denen die Pfarrstelle, das Kirchengebäude oder der Kindergarten nicht zur Disposition stehen.

Der Verlust für die Gesellschaft dürfte immens sein

Wegen der Kleinteiligkeit der kirchlichen Strukturen wird sich dieser Rückzug beider großen Kirchen eher schleichend und ohne große Debatte vollziehen. Der Verlust für die Gesellschaft dürfte gleichwohl immens sein. Die beiden großen Kirchen und ihre Wohlfahrtsträger sind nach dem Staat die größten Institutionen in Deutschland und binden Hunderttausende Ehrenamtliche. Das Schrumpfen der Kirchen hat auch eine kulturelle Komponente, denn es unterspült die christlich-abendländische Säule der europäischen Identität.

Unklar ist, welche Form die Kirchen in Zukunft haben werden. Das Netz der klassischen Kirchengemeinden wird sich in seiner bisherigen Dichte und Ausstattung nicht aufrechterhalten lassen. Derzeit geht der Trend in die Richtung einer stärkeren Regionalisierung, die Angebote wie eine hochwertige Kirchenmusik oder eine arbeitsfähige Jugendarbeit gewährleisten soll, zugleich aber die Gefahr eines weiteren Kontaktverlustes birgt. Auf längere Sicht könnte auch hinterfragt werden, ob das Geld innerhalb der Kirchen weiterhin von oben nach unten verteilt wird. Sollte die Richtung der Finanzströme angetastet werden, würden die Leitungsebenen, die sich noch immer üppige Strukturen gönnen, massiv an Einfluss verlieren.

Sicher scheint, dass beide Kirchen vor einer langen Phase fortwährender und schmerzhafter Veränderungen stehen, die auch eine starke mentale Komponente hat. Für die Mitarbeiter der Kirchen geht es darum, nicht in Defätismus zu verfallen, sondern mit Beharrlichkeit die vorhandenen Möglichkeiten zu nutzen. Den Symbolbestand des Christentums – seine Lieder, seine Kirchen, seine Rituale – gibt es ja weiterhin. Auch das Verständnis der Kirchenmitgliedschaft wird sich ändern: hin zu einer aktiven Bereitschaft, zum Erhalt dieses Erbes beizutragen, obwohl die Mehrzahl der Bürger dies nicht tut.

2024-05-04T07:35:06Z dg43tfdfdgfd