KONJUNKTUR: HABECK RECHNET WIEDER MIT ETWAS MEHR WACHSTUM – UND HAT NEUE PLäNE

Die Wachstumsaussichten sind etwas besser, doch der Vizekanzler sorgt sich weiter um die Wirtschaft. Für das Wachstumspaket der Regierung hat er nun neue Vorschläge.

Interessiert der Wirtschaftsminister sich nicht für die Wirtschaft? Im politischen Berlin kam diese Woche das alte Klischee über Robert Habeck wieder auf. Die FDP hatte ihr Zwölf-Punkte-Papier für mehr Wirtschaftswachstum inklusive umfangreicher Sozialkürzungen beschlossen – und damit einen beispiellosen Streit mit der SPD ausgelöst. Bloß die Grünen schwiegen auffällig, allen voran Habeck.

Der Wirtschaftsminister, so ist aus seinem Umfeld zu hören, entschied sich bewusst dafür. Die Bürgerinnen und Bürger brauchten nicht noch mehr Streit, sondern Lösungen. Am Mittwoch nun deutete Habeck an, welche das sein könnten. Denn die Wirtschaft hat Reformen weiter dringend nötig, wie Habeck bei der Vorstellung der neuen Konjunkturprognose der Bundesregierung klarmachte.

Die Wachstumsaussichten fallen zwar etwas besser aus: Die deutsche Wirtschaft werde demnach im laufenden Jahr um 0,3 Prozent wachsen, nicht wie im Februar noch prognostiziert um 0,2 Prozent. Fast alle Konjunkturzahlen zeigen seit ein paar Wochen wieder nach oben.

Der Ifo-Geschäftsklimaindex ist drei Monate infolge gestiegen und liegt aktuell so hoch wie seit fast einem Jahr nicht mehr, wie das Institut am Mittwoch mitteilte. Selbst die Industrieproduktion erholt sich langsam. 2025 könnte die deutsche Wirtschaft dann wieder um ein Prozent wachsen, so die Regierungsprognose.

Doch das ist bloß die kurze Frist, machte Habeck klar: „Trotz dieser Hoffnungssignale machen mir die strukturellen Probleme des Standorts weiterhin Sorge.“ Das müsse man so hart formulieren. Denn in der mittleren Frist beträgt das Wachstumspotenzial – also das, was die deutsche Wirtschaft aus sich heraus leisten kann – weiterhin bloß 0,6 Prozent jährlich. „Wenn wir mittel- und langfristig wieder höheres Wachstum erreichen wollen, brauchen wir daher strukturelle Veränderungen“, sagte Habeck.

Scholz, Habeck und Lindner haben erste Papiere übereinandergelegt

Mit Finanzminister Christian Lindner (FDP) ist er dabei einig, auch wenn er sicher den Großteil der zwölf Vorschläge der Liberalen nicht teilt. Auf Fragen, wie er das FDP-Papier finde, grinste er am Mittwoch nur und kritisierte die Vorschläge bloß indirekt. Seine Partei habe sich entschlossen, dass Regierung und Partei nicht zu trennen seien, und die Grünen stellten sich am Ende auch immer hinter Kompromisse in der Regierung.

Und auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) arbeitet am Reformprozess mit. Die drei Regierungsspitzen haben vereinbart, parallel zu den Haushaltsverhandlungen bis Juni ein Wachstumspaket mit strukturellen Reformen für die deutsche Wirtschaft vorzulegen.

Kanzleramt, Finanz- und Wirtschaftsministerium haben bereits untereinander die Papiere mit ihren Vorschlägen ausgetauscht. Habeck machte am Mittwoch deutlich, welche Punkte aus seiner Sicht unverzichtbar sind: „Wir müssen neue wirtschaftliche Dynamik ermöglichen, Innovationen stärken, unnötige Bürokratie abbauen und den Arbeitskräftemangel entschlossen angehen.“ Zu Lindners Ankündigung, das Potenzialwachstum verdoppeln zu wollen, sagte Habeck: „Es kann von mir aus auch mehr sein.“

Alte und neue Ideen aus dem Wirtschaftsministerium

Arbeitsmarkt: „Wir brauchen mehr Hände und Köpfe“, erklärte Habeck bei der Vorstellung der Prognose. Der Minister hat es dabei vor allem auf die Rentnerinnen und Rentner abgesehen. Er weiß, dass grundlegende Rentenreformen mit der SPD und auch mit vielen aus der eigenen Partei nicht zu machen sind.

Deshalb will Habeck kleinere Maßnahmen umsetzen, um ältere Leute zum längeren Arbeiten zu bewegen. Eine Idee laut den Regierungskreisen: Arbeitslosen- und Rentenversicherungsbeiträge, die Arbeitgeberinnen und -geber für beschäftigte Rentner abführen müssen, könnten den Ruheständlern selbst als Lohnbestandteil ausgezahlt werden.

Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte auch das seinerzeit zwar blockiert. Doch der Druck auf die Regierung ist inzwischen so hoch, dass es diesmal anders ausgehen könnte. Im regierungsinternen „Dialogprozess Rente und Arbeit“, der vor allem mit Vertretern aus Wirtschafts- und Arbeitsministerium besetzt ist, werden solche Schritte bereits durchgerechnet.

Auch an die abschlagsfreie Frührente will Habeck ran. Nicht so wie die FDP, die die sogenannte „Rente mit 63“ gleich abschaffen will. Aber Habeck will Anreize schaffen, damit weniger ältere Menschen diesen Weg wählen.

Habeck will mehr Investitionen

Investitionen: Der Wirtschaftsminister trug im Rahmen der Konjunkturprognose die weiterhin schwache Entwicklung der Investitionen vor. Die Gesamtinvestitionen der Wirtschaft, die „Bruttoanlageinvestitionen“, gehen demnach 2024 um 0,8 Prozent zurück. 2025 könnten sie zwar wieder um 1,7 Prozent wachsen.

Die Investitionslücke, die sich in den vergangenen Jahren in Deutschland aufgebaut hat, schließt sich damit aber nicht. „Die größte strukturelle Herausforderung ist, die Investitionszurückhaltung zu überwinden“, sagte Habeck.

Aus dem Wirtschaftsministerium ist zu hören, man wolle einen neuen Anlauf für die Investitionsprämie machen. Diese würde ausgezahlt, wenn Unternehmen in Anschaffungen investieren, die ihnen auf dem Weg zur Klimaneutralität helfen. Die Prämie hatten die Grünen schon in das „Wachstumschancengesetz“ einbringen wollen. Sie waren aber am Widerstand der Länder gescheitert, weil diese den Aufwand bei der Umsetzung nicht tragen wollten.

Habeck deutete an, dass er das für besser als die von der FDP geforderten breiten Steuersenkungen hält: Das sei nicht zielgenau, „es verläppert quasi“. Gespart werde in Deutschland schließlich genug, es müsse dann unterstützt werden, wenn es wirklich um Investitionen geht. Das sei auch günstiger – für breite Steuersenkungen hingegen gebe der Haushalt wohl nicht genug Spielraum her.

Deutschland könnte zudem mehr internationales Kapital anlocken, wenn Investoren schneller Flächen fänden. Die bundeseigene Standort-Agentur GTAI sammelt zwar Informationen zu verfügbarem Bauland. Aber im Wirtschaftsministerium ist die Idee entstanden, ein einheitliches Kataster mit Flächen anzulegen, für die bereits vorab allgemeine Baugenehmigungen erteilt und seismologische Tests durchgeführt werden könnten.

Habeck: „Bürokratie pragmatisch und schnell beseitigen“

Bürokratie: Der Wirtschaftsminister unternimmt auch einen neuen Anlauf beim Bürokratieabbau. „Wir sollten mit Praxischecks in allen Bereichen Bürokratie aufspüren und pragmatisch und schnell beseitigen“, sagte er. Die „Praxischecks“ wurden in seinem Ministerium entwickelt. Dabei werden bei bestimmten Prozessen in der Wirtschaft bürokratische Hindernisse gesetzesübergreifend gesucht und abgebaut.

Habeck hat mehrere von ihnen bereits initiiert. Im vergangenen Jahr hatte die Koalition beschlossen, die Checks generell in der Regierung einzusetzen. Allerdings passiert das bislang so gut wie gar nicht. Allein das Landwirtschaftsministerium von Parteifreund Cem Özdemir hat auch einen „Praxischeck“ angefangen.

Bereits in den nächsten Wochen will der Vizekanzler zudem sein „Vergabetransformationspaket“ vorstellen. Mit dem Gesetz soll die öffentliche Beschaffung kleineren Unternehmen geöffnet und digitalisiert werden. Das Wirtschaftsministerium hat bereits einen ersten Gesetzentwurf fertiggestellt, der kürzlich in die Abstimmung mit den anderen Ministerien gegangen ist, heißt es von Beteiligten.

Energie: Habeck verwies am Mittwoch darauf, dass die Energiepreise deutlich zurückgegangen seien. Er erklärte aber auch, dass das nicht reicht. Öffentlich vorgeschlagen hat er bereits eine Lösung für die Netzentgelte, die zuletzt rasant gestiegen waren. Mit einem „Amortisationskonto“ könnten die Kosten für den verschleppten Netzausbau gestreckt werden.

Darüber hinaus ist aus dem Ministerium zu hören, dass ein Windkraft-Garantieprogramm diskutiert wird. Viele Produzenten von Windkraftanlagen kämpfen derzeit mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Die Nachfrage nach ihren Komponenten ist so hoch, dass viele Banken ihnen für ihre Projekte die üblichen Garantien nicht mehr geben wollen.

Bei Siemens Energy war zuletzt der Bund eingesprungen – mit ihm im Rücken waren auch die Banken bereit, Garantien auszugeben. Das könnte Vorbild für die Windbranche insgesamt sein.

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