LEBEN IN EINER LANGEN WARTESCHLEIFE: VERURTEILTE AMTSRICHTERIN ZEICHNET IHREN WEG NACH

Landgericht Hagen

Leben in einer langen Warteschleife: Verurteilte Amtsrichterin zeichnet ihren Weg nach

Was ist das rechte Strafmaß? Trivial ist die Frage nicht beim zweiten Prozess gegen die Richterin des Amtsgerichts Lüdenscheid (40), der am Montag begann und bei dem am 6. Mai bereits ein Urteil erwartet wird.

Lüdenscheid – Nur zwei Verhandlungstage. Plädoyers sowie Urteilsverkündung und -begründung warten noch. Das war es dann schon wieder.

Jörg Weber-Schmitz, der nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH), den Fall ans Landgericht in Hagen zurückzuverweisen, neu verhandeln darf, kommt die Aufgabe zu, zu urteilen, ohne noch viel ermitteln zu müssen. Die Fakten sind bekannt. Eine neue Beweisaufnahme gibt es nicht. An Fakten und Schuld der Richterin, die Verfahren verschleppt und Urkunden gefälscht hat, gibt es auch für den BGH bekanntlich keine Zweifel.

Weber-Schmitz also ging es am Montag pragmatisch an, erkundigte sich bei der Angeklagten, was seit dem Urteilsspruch geschehen sei. Auch das hat Weber-Schmitz im Grunde gewusst, es ist öffentlich ja begleitet worden. Dass sie des Amtes enthoben worden ist zum Beispiel. Dass das restliche Disziplinarverfahren erst abgeschlossen sein wird, wenn ein strafrechtliches Urteil rechtskräftig sein wird. Die Richterin hatte Beschwerde dagegen eingelegt, dass sie nurmehr 70 Prozent ihrer Bezüge erhält. Seit August 2020 ist sie krankgeschrieben. Die Beschwerde hat keinen Erfolg gehabt.

Leben in einer langen Warteschleife: Verurteilte Amtsrichterin zeichnet ihren Weg nach

Ob sie sich andere Jobs gesucht habe, sich beruflich neu orientiert habe, wollte Weber-Schmitz wissen. „Es ist schwer, sich auf einen anderen Job zu bewerben, so lange das Verfahren nicht abgeschlossen ist“, stellte die Gevelsbergerin fest, auch Minijobs habe sie nicht angenommen. Sie habe auf die BGH-Entscheidung gewartet – und nun wartet sie darauf, was das Gericht diesmal entscheiden wird. In den Staatsdienst wird es nicht zurückgehen, das ist klar, aber nach einer Karenzzeit ist wohl eine Arbeit als Anwältin denkbar.

Neben diesen Ausführungen und dem Verweis auf die weiter laufende Psychotherapie brachte der Montag keine wirklich neuen Erkenntnisse. Verminderte Schuldfähigkeit, womöglich durch hirn-organische Ursachen für die Arbeitsstörung? Die Verteidigung hatte hierauf gehofft, doch Gutachter Dr. Grünherz blieb bei seinem Standpunkt. Ob das Gericht zu anderen Schlüssen kommt?

Somit hat Weber-Schmitz die Fakten aus dem ersten Prozess: Rechtsbeugung, Urkundenfälschung, Verwahrungsbruch sowie Urkundenunterdrückung. Er hat eine laut Gutachter schuldfähige Angeklagte. Und die BGH-Einschätzung, dass die Rechtsbeugung in Teilen nicht als „aktiv“, sondern „durch Unterlassung“ zu werten ist. Nicht viel Neues.

Das Gericht und die Richterin: Bonus oder Malus?

Drei Jahre und zehn Monate Freiheitsstrafe standen am Ende des ersten Prozesses. „Den Urteilsspruch von drei Jahren und zehn Monaten fand ich schon am Tag der Urteilsverkündung völlig drüber. Ich habe bundesweit in vergleichbaren Verfahren nirgendwo eine Entscheidung gefunden, die ähnlich hart ausgefallen ist wie die in Hagen“, hat Verteidiger Torsten Giesecke vor dem zweiten Prozess gesagt. Aber zwischen drei Jahren/zehn Monaten und den zwei Jahren, die für eine Bewährungsstrafe nötig wären, ist viel Platz. Öffentlich wird viel spekuliert, und immer schwingt diese Skepsis mit. Geht man mit einer Richterin im Staatsdienst, wegen deren Verfehlungen ein Mensch länger in Haft bleiben musste und Eltern ihr Kind länger als nötig nicht sehen durften, am Ende womöglich gnädiger um?

Diese Sorge um einen Bonus kann in diesem Kontext schnell umschlagen. Das erste Urteil war kein gnädiges. Und es gibt eben auch dieses Andererseits: Die Richterin verliert ihr Amt und alle Pensionsansprüche, es ist eine Zäsur, die ihr komplettes Leben auf den Kopf stellt. Seit 2020 verharrt sie in diesem belastenden Schwebezustand. Ist da eine Gefängnisstrafe, wie Giesecke es ausdrückt, „völlig drüber“?

Es gibt Kriminalpodcasts, in denen Sprecher nun im zweiten Prozess von einer Bewährungsstrafe ausgehen. Giesecke würde es freuen, aber auf dem Tisch liegen zehn Einzeltaten, Mindeststrafe ein Jahr: 10 x 1 = 2. In der Mathematik ist das unmöglich, aber das Landgericht ist keine Schule und Weber-Schmitz kein Mathematiker. Was ist das richtige Maß? Jörg Weber-Schmitz ist nicht zu beneiden.

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