MODE UND MOTOREN: DIE BOXENGASSE IN DER FORMEL 1 WIRD ZUM LAUFSTEG

Mal kommt er im Kilt, mal in einem Einteiler mit Tigerstreifen, mal mit Pluderhosen im Blümchendekor. Wenn es um den Modefaktor geht, ist der mit seinem Mercedes-Rennwagen strauchelnde Rekordweltmeister Lewis Hamilton immer noch ganz vorn.

Scharen von Paparazzi finden sich deshalb an jedem Renntag schon sehr früh vor dem Drehkreuz zum Fahrerlager ein, um nicht zu verpassen, was der Brite trägt. In einer Welt, die lange von praktischen Overalls und meist spiessigen Teamuniformen geprägt war, fiel Hamilton schon immer aus dem Rahmen. Auch vor dem Grossen Preis von Miami am Sonntag wird er der Rolle als Trendsetter mehr als gerecht, trägt zum Auftakt ein besticktes Tank-Top gepaart mit einer eleganten grauen Wollstoffhose.

Alles Haute-Couture-Teile aus der kommenden Herbstkollektion von Gucci, so wird die Boxengasse zum Laufsteg. Denn Hamilton ist längst nicht mehr allein, wenn es um ausgeprägtes Stilbewusstsein geht. Erst recht nicht beim Rennen in Miami, einem ausgewiesenen Party-Grand-Prix.

Ferrari stellt erste Modekollektion vor

In der ersten grossen Garage hinter dem zum Fahrerlager umfunktionierten Hard Rock Stadium findet sich eine Bar direkt an der Piste, für die Zugangsberechtigung werden sechsstellige Dollarbeträge aufgerufen. Hippe Kleidung ist Pflicht, ebenso wie die dröhnenden Bässe. Die VIP reissen sich um die Tickets, die Formel 1 ist seit der Netflix-Erfolgsserie «Drive to Survive» quer durch alle Alters- und Bevölkerungsschichten und vor allem bei Frauen stark in Mode. Wenn dann Tom Brady oder Brad Pitt als Gäste eingeladen sind, fragen sich jene, die sich den Zugang leisten können, was sie am besten anziehen sollen. Entweder, um aufzufallen oder zumindest nicht abzufallen in all dem Glamour.

Lewis Hamilton reist mit eigenem Stylisten und Fotografen und einer Vielzahl von Koffern an. Seine zum Teil gewagten Outfits sollen Botschaft sein, um für mehr Aufgeschlossenheit im Rennzirkel zu sorgen. Häufig ist er Gast bei den Modewochen in Paris, Mailand oder New York, für Tommy Hilfiger durfte er schon eine eigene Kollektion gestalten. Bei der berühmten Met-Gala hat er aus eigener Tasche einen Tisch für benachteiligte Nachwuchsdesignerinnen bezahlt. Momentan ziert er den Titel des Magazins «Gentlemen’s Quarterly». Dort erzählt er, wie gern er zwischen den Welten pendelt, die Rennsportwelt sei manchmal eng wie eine Schneekugel.

Die Königsklasse des Motorsports schafft es auch in die aktuelle Mode-Bibel «Vogue», dort posieren die Rennfahrer Charles Leclerc und Carlos Sainz, die bisher höchstens durch das Design ihrer Helme aufgefallen sind, in schicken Sachen. Mindestens ein Accessoire ist dabei Rot, schliesslich handelt es sich um die erste echte Modekollektion von Ferrari. «Die Formel 1 bedeutet nicht mehr nur Sport, sondern auch Lifestyle. Wir erleben eine bedeutende Veränderung, definitiv eine positive», sagt das Aushilfsmodel Sainz. Ferraris Kreativdirektor Rocco Iannone verstärkt das noch: «Formel-1-Rennen sind der neue rote Teppich.» Im Miami International Autodrome allerdings ist dieser giftgrün wie in einem Pop-up-Store.

Der Spanier gehört zu jenen Piloten, in deren Privatleben die Mode eine entscheidende Rolle spielt – eingebracht von den Frauen des Hauses. Sainz ist mit dem angesagten schottischen Model Rebecca Donaldson zusammen. Leclercs Freundin Charlotte Siné ist ebenfalls aus der Branche, auch Weltmeister Max Verstappens Lebensgefährtin Kelly Piquet. Nicht anders sieht es bei Pierre Gasly, Lando Norris, Esteban Ocon oder dem Mercedes-Ersatzpiloten Mick Schumacher aus. Die Modenschau am Rennwochenende ist regelmässig auf den einschlägigen Instagram-Accounts der Models zu finden, wo ein Sammelkonto namens WagsF1 die ganze Influencer-Herrlichkeit einfängt. Über Hamiltons Kleiderschrank gibt es ebenfalls eine eigene Seite.

Luxus war angesichts der enormen Summen in der Königsklasse schon immer ein Thema, schillernde Persönlichkeiten und attraktive Austragungsorte haben das Image noch verstärkt. Das renommierte Magazin «Harper’s Bazaar» analysiert in dieser Woche, dass sich die Modeindustrie gerade jetzt im Formel-1-Fieber befinde. Vor einigen Jahrzehnten waren zwar Supermodels wie Naomi Campbell, Heidi Klum oder Eva Herzigova auch regelmässig zu Gast, was aber mehr dem Playboy und Teamchef Flavio Briatore geschuldet war. Parallel dazu entstand ein kurzfristiger, eher schmuddeliger und vom Boulevard inszenierter Hype um angebliche Boxenluder. «Heute dagegen bringen wir die Formel 1 einem Publikum näher, das uns bisher nicht gefolgt ist», sagt der Serienchef Stefano Domenicali zufrieden.

Die zunehmende Zahl von Frauen im Renngeschäft tut ein Übriges, die Formel 1 betreibt eine eigene Akademie, um endlich eine Fahrerin in die oberste Liga zu bringen. Auch das natürlich nicht uneigennützig, es geht um dieselbe Zielgruppe, die Streamingdienste und Modebranche bereits entdeckt und an sich gebunden haben. In Miami stand das amerikanische Topmodel Kendall Jenner demonstrativ am Kommandostand der Frauenserie F1 Academy. Die Wirkung dürfte enorm sein bei 249 Millionen Followern in den sozialen Netzwerken.

Louis Vuitton bringt Rennjacken auf den Markt

Plötzlich finden sich Interpretationen von Formel-1-Motiven («Fast is not enough») auch bei der Teenagermode der Modehauskette H&M. Das Fachmagazin «Instyle» verkündet dazu passend, dass es sich beim sogenannten Racing-Look um «den» Modetrend 2024 handle. Hosenanzüge, geschneidert wie die feuerfesten Overalls, Windjacken in bunten Farbkombinationen und mit grossen Startnummern, die schwarz-weissen Karos der Zielflagge als angesagte Applikationen bei vielen grossen Labels.

Louis Vuitton hat nicht nur einen Reisekoffer für die Siegertrophäe beim Grossen Preis von Monaco gestaltet, sondern auch psychedelische Rennjacken aus Patchwork-Leder auf den Markt gebracht. Allein das Influencer-Marketing mit der Formel 1 soll dem Luxuskonzern über sechs Millionen Dollar eingespielt haben. Kein Wunder, dass die deutsche Modefirma Boss in den Motorsport zurückgekehrt ist. Auch der Weltkonzern Adidas ist interessiert, ein ganzes Team zu kaufen und so für seine Lifestyle-Produkte zu werben. Athleisure-Mode, auf die Spitze getrieben.

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