NEONAZI-ANGRIFF AUF JOURNALISTEN: BGH RüGT LANDESGERICHTSURTEIL

Fretterode

Neonazi-Angriff auf Journalisten: BGH rügt Landesgerichtsurteil

Zwei Rechtsextremisten attackierten im April 2018 zwei Göttinger Journalisten. Der Bundesgerichtshof hat nun das gefällte Urteil des Landgerichts Mühlhausen aufgehoben - und stark kritisiert.

Fretterode/Göttingen – Vor rund sechs Wochen hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe entschieden, dass der Prozess um eine Gewaltattacke von zwei jungen Männern aus dem Umfeld des Neonazis Thorsten Heise auf zwei Göttinger Journalisten neu aufgerollt werden muss. Der 2. Strafsenat des BGH hob das im September 2022 gefällte Urteil des Landgerichts Mühlhausen auf und wies den Fall zu neuer Verhandlung an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurück. Jetzt liegt auch das schriftliche Urteil vor, und dieses fällt ungewöhnlich harsch aus. Der BGH rügt nicht nur einzelne Rechtsfehler, sondern hält insbesondere in einem Punkt die Beweiswürdigung für „durchgehend rechtsfehlerhaft“.

Sachbeschädigung und gefährliche Körperverletzung

Das Landgericht Mühlhausen hatte die beiden Angeklagten jeweils wegen gemeinschaftlicher Sachbeschädigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Der heute 30 Jahre alte Gianluca B., der seit Langem der Neonazi-Szene angehört und 2016 als NPD-Kandidat für den Northeimer Kreistag kandidierte, erhielt eine Freiheitsstrafe von einem Jahr, ausgesetzt zur Bewährung.

Dem heute 24 Jahre alten Nordulf H., der zur Tatzeit noch Heranwachsender war, wurden 200 gemeinnützige Arbeitsstunden auferlegt. Der Sohn des vielfach vorbestraften Neonazi-Führers Thorsten Heise hatte ebenfalls Revision gegen das Urteil eingelegt. Diese wurde vom BGH allerdings als unbegründet verworfen. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und eines Nebenklägers hatten dagegen Erfolg.

Die beiden Angeklagten sollen im April 2018 zwei freiberufliche Journalisten verfolgt und schwer verletzt haben, die in der Nähe von Heises Anwesen in Fretterode im thüringischen Eichsfeld fotografiert und gefilmt hatten. Diese hatten zuvor einen Tipp bekommen, dass sich an diesem Tag dort Neonazis treffen wollten, um eine Demonstration am 1. Mai 2018 in Erfurt vorzubereiten.

Angriff mit Schraubenschlüssel

Als Nordulf H. die Journalisten bemerkte, soll er mit einem etwa 50 Zentimeter langen Schraubenschlüssel auf deren Pkw losgestürmt sein und sie anschließend gemeinsam mit Gianluca B. verfolgt haben. Laut Urteil sollen die Angeklagten zeitweise so dicht aufgefahren sein, dass die Fahrzeuge Stoßstange an Stoßstange fuhren. Am Ortseingang von Hohengandern kam es zu einer Kollision. Der Pkw der Journalisten rutschte in den Graben und ließ sich nicht weiterbewegen.

Die Angeklagten sollen dann maskiert aus ihrem Pkw gesprungen und mit Reizgas, einem Baseballschläger, einem Schraubenschlüssel und einem Messer auf die Journalisten losgegangen sein. Einer der beiden Nebenkläger erlitt durch einen Schlag mit dem Schraubenschlüssel eine fünf Zentimeter lange stark blutende Wunde an der Stirn und ein Schädeltrauma. Der andere Journalist erlitt eine Stichverletzung am Oberschenkel. Nordulf H. soll noch Reizgas versprüht haben, danach seien die beiden Angeklagten weggefahren. Anschließend stellten die Journalisten fest, dass ihre mitgeführte Spiegelreflexkamera fehlte.

Sowohl für die Staatsanwaltschaft als auch für die Nebenkläger stand fest, dass die Angeklagten die Kamera geraubt hatten. Das Landgericht sah dies dagegen nicht als erwiesen an. Nach Ansicht des BGH ist die Beweiswürdigung der Kammer jedoch gleich in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft. Das Urteil vermittele kein klares Bild davon, was die Beteiligten im Zusammenhang ausgesagt haben. So sei zwar angegeben, dass Nordulf H. bestritten habe, etwas „gestohlen“ zu haben. Es bleibe jedoch offen, welche Angaben Gianluca B. zu dem angeklagten Raubgeschehen gemacht habe.

Die Angaben der Nebenkläger würden ebenfalls nur selektiv dargestellt. Auch die Auffassung des Gerichts, dass sich diese in einem „ganz wesentlichen Punkt“ widersprochen hätten, weise Rechtsfehler auf. Es liege nahe, dass sich der vermeintliche Widerspruch durch eine sorgfältige Inhaltsanalyse der beiden Aussagen aufgelöst hätte. Das Gericht verkenne zudem, dass ein Widerspruch zwischen zwei Zeugenaussagen nicht bedeuten müsse, dass beide die Unwahrheit sagen. Die Kammer hätte jede der beiden Aussagen für sich genommen auf Konstanz, Detailliertheit und Plausibilität prüfen müssen.

Verbleib der Kamera ungeklärt

Schließlich fehle es an einer sorgfältigen Gesamtwürdigung sämtlicher Indizien einschließlich eines möglichen Raubmotivs, rügt der BGH. Außerdem sei die zentrale Frage nach dem Verbleib der Kamera gänzlich unerörtert geblieben. Auch anderen Aspekten hat das Gericht nach Ansicht des Strafsenats zu wenig Beachtung geschenkt. So müsse sich die Kammer in dem neu anzusetzenden Prozess eingehender mit dem Reizgasangriff des Angeklagten Nordulf H. befassen und auch die mittäterschaftliche Zurechnung der festgestellten Verletzungshandlungen näher in den Blick nehmen.

2024-05-04T04:32:28Z dg43tfdfdgfd