NIE WIEDER STEUERERKLäRUNG! ÖKONOM SCHLäGT EINE KüHNE LöSUNG VOR

Ein Sprung ins Jahr 2030. Deutschland ist weiter gealtert. Die Babyboomer gehen in den verdienten Ruhestand. Besonders betroffen: Deutschlands Steuerverwaltung.

Die Zahl ist schockierend: 2030 muss die Steuerverwaltung mit einem Drittel weniger Personal auskommen, schätzt die Deutsche Steuergewerkschaft mit Blick auf den demografischen Wandel sowie die Einsparmaßnahmen von Bund und Ländern. Die Finanzämter sind schon heute mit unseren Steuererklärungen überlastet, genauso wie mit der Reform der Grundsteuer und mit Abrechnung der Corona-Hilfen – und kommen kaum noch zu Betriebsprüfungen. Ab 2023 wäre also jeder dritte Bürostuhl unbesetzt.

Zurück in die Gegenwart, Mai 2024. Ein Wahlkampfjahr. Drei Landtagswahlen in Ostdeutschland und eine EU-Wahl. Die deutsche Wirtschaft kriselt. Investitionsstau, Konsumflaute, Mini-Wachstum. Die Ampelregierung hat schlechte Umfragewerte und streitet wieder über jeden Cent im Bundeshaushalt. Sie will die lahme Wirtschaft zwar ankurbeln, wird sich aber nicht einig, wie. FDP-Finanzminister Christian Lindner trommelt für steuerfreie Überstunden und noch schärfere Sanktionen beim Bürgergeld; doch SPD und Grüne wehren sich. Es scheint nur einen gemeinsamen Nenner zu geben: Jeder in der Ampel will Bürokratie abbauen. Immerhin.

Es gibt eine pragmatische Lösung aus dieser Zwickmühle. Das Gesetz dafür wäre nur eine Zeile lang, würde sogar auf einen Bierdeckel passen. Und zwar: Den Arbeitnehmerpauschbetrag verdreifachen. Aktuell liegt die Pauschale bei 1230 Euro pro Jahr. Wenn man sie auf 3690 Euro anhebt, wären Millionen Arbeitnehmer von der lästigen Pflicht befreit, Belege für die Steuererklärung zu sammeln – und überhaupt eine Steuererklärung abzugeben. Die höhere Pauschale würde nämlich wie heute schon automatisch bei der Lohnabrechnung des Arbeitgebers berücksichtigt. 

Zur Erklärung: Der Arbeitnehmerpauschbetrag ist Teil der Werbungskosten, die bei der Steuererklärung vom Bruttolohn abgezogen werden und die Steuerlast reduzieren. Der Pauschbetrag von 1230 Euro pro Jahr wird – wie der Name sagt – pauschal abgezogen, ohne Nachweise. Nur wem höhere Kosten entstehen, etwa durch Arbeitsmaterial, Fahrtkosten zur Arbeitsstelle oder Bewerbungskosten, kann diese bei der Steuererklärung geltend machen, muss dafür allerdings Belege sammeln und die Kosten im Einzelfall nachweisen.

Nun ist es so: Nicht einmal jeder Zweite erhält überhaupt eine Erstattung durch die Steuererklärung. Und laut dem Statistischen Bundesamt liegt die durchschnittliche Erstattung bei 1095 Euro. 65 Prozent der Betroffenen erhielten weniger als 1000 Euro, nur in zwei Prozent aller Fälle erstattete das Finanzamt über 5000 Euro.

Würde man den Pauschbetrag verdreifachen, würde die Steuerlast für alle sinken, die nicht besonders hohe Werbungskosten haben. Das sind aber die wenigsten. Weniger Steuerlast hieße mehr Kaufkraft. Die Menschen hätten sofort spürbar mehr Netto vom Brutto, könnten das Geld in die Geschäfte tragen und so die Wirtschaft ankurbeln.

Außerdem wären Millionen Menschen von der lästigen Pflicht befreit, Belege für die Steuererklärung zu sammeln. Darüber würden nicht mal die Steuerberater traurig sein, denn die verdienen das meiste Geld ohnehin nicht mit Otto-Normal-Arbeitnehmern, sondern mit Firmenkunden. Je weniger Massengeschäft mit einfachen Steuererklärungen, desto mehr Kapazität gibt es für die komplexeren Steuerfälle.

Und die Finanzämter würden spürbar entlastet. Das ist ohnehin nötig, um der drohenden Personalnot 2030 zu begegnen, aber auch eine Chance für mehr Gerechtigkeit und Effizienz. Denn mal ehrlich: Ob Lieschen Müller bei der Steuererklärung 28 Euro zu viel für die Arbeitskleidung veranschlagt oder beim Arbeitsweg ein paar Kilometer gemogelt hat, ist gesamtwirtschaftlich bedeutungslos. Darum sollte sich in einer alternden Gesellschaft kein Finanzbeamter mehr scheren müssen. Wir haben keine Arbeitskraft mehr zu verschenken.

Dagegen gibt es wichtige Aufgaben bei den Finanzämtern, die heute zu kurz kommen: zum Beispiel Betriebsprüfungen. Weil es zu wenig Prüfer gibt, werden Betriebe im Schnitt nur alle 55 Jahre geprüft. Dabei haben die 12.949 Betriebsprüfer 2022 ein Mehrergebnis von 10,8 Milliarden Euro für den Staat erzielt. Pro Prüfer also 834.000 Euro. Damit finanziert sich jeder Prüfer gleich mehrfach selbst. Je weniger Finanzbeamte mit Lieschen Müllers Werbungskosten beschäftigt sind, desto mehr können Betriebe prüfen – und Steuern einnehmen.

Die Reform wäre ein Wahlkampfschlager für die Ampel, die im Umfrageloch hängt, und genau der Bürokratieabbau, den jeder will. Worauf warten Sie, Herr Finanzminister?

Der Autor des Textes ist Ökonom und Betriebswirt. Derzeit u.a. als YouTuber, Redner, Buchautor und wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Büro von Christian Görke (Linke) im Bundestag tätig. Sein neuestes Buch heißt „Teuer“, sein YouTube-Kanal und Newsletter „Geld für die Welt“.

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