STRAFEN BEIM BüRGERGELD – JOBCENTER-MITARBEITER SEHEN GEFäHRLICHEN TREND

Strafen beim Bürgergeld – Jobcenter-Mitarbeiter sehen gefährlichen Trend

Die Regeln rund ums Bürgergeld sorgen nicht nur bei der CDU und der FDP für Kritik. Laut einer Studie sind auch viele Jobcenter-Mitarbeiter unzufrieden.

Dortmund – Kaum ein Thema polarisiert im politischen Diskurs aktuell so sehr wie das Bürgergeld. Das Herzensprojekt der SPD steht nicht nur beim Ampel-Koalitionspartner FDP in der Kritik – die Liberalen wollen unter anderem massive Leistungskürzungen für sogenannte „Totalverweigerer“. Auch beim Großteil der Jobcenter-Mitarbeiter ist das Bürgergeld in seiner jetzigen Form offenbar reformbedürftig. Laut einer Studie machen sie sich vor allem mit Blick auf eine Entwicklung Sorgen.

Strafen beim Bürgergeld – Jobcenter-Mitarbeiter sehen gefährlichen Trend

Schließlich sei der Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und der Ruhr-Universität Bochum (RUB) zufolge ein Großteil der Mitarbeiter in Jobcentern mit der aktuellen Bürgergeld-Regelung unzufrieden. Bei den 1894 Befragten aus sieben Jobcentern in Nordrhein-Westfalen überwiege die „Skepsis und Ablehnung“, sagt Sozialwissenschaftler Jürgen Schupp gegenüber der ARD. Er hatte die Antworten aus dem Januar und Februar dieses Jahres mit ausgewertet.

Ganze 60 Prozent der Befragten hielten den Bürgergeld-Regelsatz, der am 1. Januar 2024 um 12 Prozent auf 563 Euro für Alleinstehende angehoben worden war, für zu hoch. Außerdem würden die Mitarbeiter „nur wenige Verbesserungen“, erkennen, sagt Schupp.

Mehrzahl von Jobcenter-Mitarbeitern stellt geringere Motivation bei Bürgergeld-Empfängern fest

Im Gegenteil: Mit Blick auf die möglichen Sanktionen gegen Bürgergeld-Bezieher stellten viele Jobcenter-Mitarbeiter einen besorgniserregenden Trend fest, heißt es in der Studie. In den Ergebnissen schlägt sich das folgendermaßen nieder:

  • 59 Prozent der Befragten beobachten, dass Bürgergeldbezieher inzwischen schlechter erreichbar seien
  • 59 Prozent der Befragten stellen eine geringere Motivation bei Bürgergeld-Beziehern fest
  • 63 Prozent der Befragten sagten, dass ihre Kunden weniger machen würden
  • 63 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass sich die Anreize verschlechtert hätten, eine neue Stelle aufzunehmen

FDP und CDU kritisieren Bürgergeld-Regelungen: „Warnsignal, dass wir ernst nehmen müssen“

Diese Beobachtungen sind zweifelsohne Wasser auf den Mühlen der FDP und der Union, die mit vergleichbaren Forderungen versucht, die Liberalen aus der Ampel-Koalition zu locken. Beide wollen einen härteren Kurs gegen Bürgergeld-Empfänger fahren.

Die Kritik der Jobcenter-Mitarbeiter sei „ein Warnsignal, dass wir ernst nehmen müssen“, sagt Pascal Kober, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion gegenüber der ARD. „Sich aus parteipolitischen Interessen heraus der Lebensrealität in den Jobcentern zu verschließen“ sei „fahrlässig“. Ein klarer Seitenhieb gegen das von der SPD geführte Bundesarbeitsministerium, das sich bislang noch nicht zu den Studienergebnissen geäußert hat (mehr Politik-News bei RUHR24).

73 Prozent der befragten Jobcenter-Mitarbeiter beklagen mildere Strafen für Bürgergeld-Empfänger

Auch dem CDU-Sprecher für Arbeit und Soziales, Stephan Stracke, sind die aktuellen Bürgergeld-Regularien ein Dorn im Auge. Sie hätten dazu geführt, dass „die Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Jobverweigerern massiv aufgeweicht“ worden seien.

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Ganze 73 Prozent der befragten Jobcenter-Mitarbeiter sehen das laut der Studie ebenfalls kritisch: Mildere Strafen für Bürgergeld-Empfänger, von denen manche Anspruch auf 202 Euro mehr im Monat haben, bei versäumten Terminen oder Fristen lehnen sie ab.

Jobcenter-Mitarbeiter befürworten laut DIW-Studie höhere Bürgergeldsätze für Kinder

Auf der anderen Seite haben die Befragten aus den sieben NRW-Jobcentern auch Positives über die neue Bürgergeld-Regelung zu berichten.

  • 55 Prozent der Befragten befürworten die höheren Regelsätze für Kinder
  • 78 Prozent der Befragten freut es, dass es für Langzeitarbeitslose inzwischen verbesserte Coaching-Angebote gibt
  • 47 Prozent der Befragten finden gut, dass es eine sogenannte Bagatellgrenze beim Bürgergeld gibt

Die Bagatellgrenze beim Bürgergeld

Seit der Einführung der Bagatellgrenze mit dem Bürgergeld-Gesetz werden Überzahlungen unter 50 Euro pro Bedarfsgemeinschaft nicht mehr zurückgefordert. Hintergrund der Regelung ist der hohe Verwaltungsaufwand für solche Aufhebungs- und Erstattungsverfahren. Bei geringen Rückforderungen können die Kosten für den Verwaltungsaufwand die Höhe der Erstattungsforderung übersteigen. Deshalb wurde zur Verwaltungsvereinfachung die sogenannte Bagatellgrenze eingeführt. Ihr Zweck ist es, Bürokratie abzubauen und die Jobcenter zu entlasten.

Quelle: Bürgergeld-Glossar der Servicestelle SGB II des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales

Experte warnt beim Bürgergeld vor „wohlbekannte Klischees und Stereotypen“ und mahnt zur Geduld

Nichtsdestoweniger warnen die Initiatoren der Studie davor, den parteipolitischen Bürgergeld-Kurs ausschließlich auf die veröffentlichten Ergebnisse zu stützen. Die Studienergebnisse seien laut Schupp schließlich nicht repräsentativ. Die Politik solle auf ausführlichere Forschungsresultate warten, anstatt „wohlbekannte Klischees und Stereotypen“ zu befeuern. Im Herbst sollen neue Erkenntnisse vorliegen, sagte er gegenüber der ARD.

Bis dahin sei es laut Schupp wichtig, die Debatte zu versachlichen und die Kommunikation zu verbessern. Ob sich die Politik daran halten wird, darf bezweifelt werden. Bis zum Herbst 2024 wird die hitzige Debatte um das Bürgergeld wohl kaum abreißen. Das hängt wohl auch damit zusammen, dass am 1. September in Sachsen und Thüringen und am 22. September in Brandenburg neue Landtage gewählt werden.

2024-04-29T06:11:36Z dg43tfdfdgfd