WAHLKAMPF : FRANKREICHS UNTERNEHMER LASSEN SICH VON RECHTSPOPULISTEN UMGARNEN

Jahrelang schimpfte Marine Le Pen auf die Wirtschaftselite und machte sich damit im Volk beliebt. Ihr Nachfolger wirbt nun offensiv um das Vertrauen der Unternehmer. Und einige gehen darauf ein.

Die Europawahl könnte zum Triumph für Marine Le Pen werden: In Umfragen liegt ihre Partei mit mehr als 30 Prozent Zustimmung auf Platz eins.

Für die rechtspopulistische Politikerin wäre das allenfalls ein Zwischenschritt: Sie will Präsidentin Frankreichs werden, wenn 2027 gewählt wird und Amtsinhaber Emmanuel Macron nicht mehr antreten darf. Dazu ändert ihre Partei, der Rassemblement National (RN), gerade seine Wirtschaftspolitik.

Jahrelang hatte sich die Parteivorsitzende Le Pen als Kämpferin gegen Wirtschaftseliten und Großkapital inszeniert. Eine echte Wirtschaftspolitik hatte die Partei praktisch nicht. Stattdessen polarisierte sie mit migrationsfeindlichen Forderungen und dem Plan, im Rahmen eines „Frexits“ vom Euro zum Franc zurückzukehren.

Mittlerweile ist Le Pen Vorsitzende der RN-Fraktion in der Nationalversammlung, den Parteivorsitz übernahm Jordan Bardella. Er schlägt ganz andere Töne an. „Um zu gewinnen, muss man einen Teil der Eliten erreichen“, sagte Bardella der Tageszeitung „Le Monde“.

„Wir werden gewinnen, wenn es uns gelingt, Vertrauen zu schaffen. Wenn wir mit dem Frankreich sprechen, das Erfolg hat.“ In Wirtschaftsfragen will Bardella „vernünftig“ und „pragmatisch“ vorgehen. Er habe keine Absicht, Firmen in die Flucht zu schlagen.

Lieber Einfluss nehmen als abzuwarten

Die Unternehmen scheinen auf den neuen RN-Kurs einzugehen. Ihre Kontakte mit Vertretern der in Teilen rechtsextremen Partei nehmen zu. Mit 88 Sitzen stellt der RN in der Nationalversammlung seit 2022 die größte Fraktion. Schon deswegen kommen Unternehmer kaum an ihm vorbei.

Dabei gebe es nicht einmal ein Wirtschaftsprogramm, sagt Sylvain Bersinger, Chefökonom bei der französischen Wirtschaftsberatung Asterès. „Es scheint vor allem eine Kommunikationsstrategie zu sein.“ Der RN wolle sein „Image in Wirtschaftskreisen aufbessern“, während er bisher vor allem die Themen Immigration und Sicherheit bedient hat.

RN-Regionalvertreter träfen Unternehmer überall in Frankreich, berichten französische Medien. Le Pen und Bardella knüpften Kontakte zu den Chefs der großen Konzerne. In Wirtschaftskreisen heißt es, es sei besser, jetzt schon auf den RN Einfluss zu nehmen, um weitreichende Fehlentscheidungen in der Zukunft zu vermeiden.

Offiziell halten die großen Konzerne weiterhin Abstand. Die meisten ihrer Vorsitzenden gelten als pro-europäisch und globalisierungsfreundlich. Doch je näher das Wahljahr 2027 rückt, desto schwieriger werde es, nicht Stellung zu beziehen, sagte Unternehmens- und Politikberater Alain Minc in französischen Medien.

RN-Spitzenpolitiker betonen, dass sich Le Pen und Bardella regelmäßig mit Konzernchefs träfen, auch mit solchen von Unternehmen aus dem Börsenindex CAC 40. „Viele Mauern sind gefallen“, sagte RN-Vizepräsident Sébastien Chenu, der bereits mit den Chefs der großen Supermarktketten Leclerc und Système U für Gespräche zusammenkam.

Für Aufsehen sorgte ein Treffen von Le Pen und Henri Proglio, der bis 2014 Chef des Versorgers EDF war und Ex-Präsident Nicolas Sarkozy nahestand. Beim Essen in einem Restaurant in der Nähe des Elyséepalastes soll es um Energiefragen gegangen sein. Für die Rechtsextremen war es ein Triumph: Ein bekannter Wirtschaftsvertreter, der sich nicht mehr versteckt – auch wenn Proglio nicht mehr aktiv ist.

Frankreichs Medien interpretierten dieses Treffen als Zeichen dafür, dass sich etwas in der Beziehung zwischen RN und den Unternehmen verändert. Den Weg dazu soll auch die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni bereitet haben. Seit anderthalb Jahren regiert sie, ohne dass die Unternehmen darunter zu leiden hätten. Seitdem gilt es als realistischer, dass Unternehmer und Rechtsextreme zusammenarbeiten können.

Ehemaliger Frontex-Chef vermittelt

In den Regionen ist der RN offensichtlich schon weiter als in der Hauptstadt. RN-Abgeordnete treffen die Chefs lokaler Unternehmen und lassen sich auf öffentlichen Feiern blicken. „Sie verankern sich ganz methodisch, so wie es auch die alten Parteien gemacht haben“, sagte ein Macron-Vertrauter in der Tageszeitung „Les Echos“.

In der Tageszeitung „Figaro“ heißt es, oft würden gemeinsame Bekannte Treffen zwischen RN-Vertretern und Wirtschaftsgrößen organisieren. Namen werden dabei kaum genannt. Ein Vermittler in Paris soll Fabrice Leggeri sein, der bis 2022 Direktor der Europäischen Grenzschutzagentur Frontex war.

„Die Unternehmer sind pragmatisch“, sagt Ökonom Bersinger. „In Städten wie Perpignan, wo der RN den Bürgermeister stellt, sind Treffen für die ansässigen Unternehmen unvermeidlich.“ Perpignan ist mit 121.000 Einwohnern die größte Stadt, die von einem RN-Bürgermeister regiert wird.

Le Pens Rentenpläne könnten ein Problem werden

Noch ist nicht klar, ob der RN den Kurs halten kann, für den Parteichef Bardella steht. Denn die starke Frau in der Partei ist weiterhin Le Pen. Und sie wetterte noch 2022 gegen zu hohe Dividenden der Konzerne. Sie hetzte gegen die Unternehmer, die an den großen Eliteschulen ausgebildet wurden.

Im Wahlkampf 2017 betonte sie, „die Finanzwelt blockieren“ zu wollen, die sie als „Gegner des französischen Volkes“ sah. Macron symbolisiere die „Auswüchse“ der „Welt des Geldes“. Unternehmer erklärten damals, sie würden auswandern, sollte Le Pen an die Macht kommen.

Von einigen ihrer damaligen Versprechen ist Le Pen noch immer nicht abgerückt: Weiterhin will sie eine Steuer auf Kapitalerträge oder eine Vermögensteuer einführen, was bei Unternehmenschefs nicht gut ankommt. Noch größere Besorgnis löst in der Wirtschaft ihr zentrales Versprechen aus, das Rentenalter wieder auf 60 Jahre abzusenken.

Je näher die Wahl rückt, desto schwieriger wird es für die Partei sein, Le Pens Polemik und den wirtschaftsfreundlichen Kurs Bardellas miteinander zu vereinen.

Erstpublikation: 25.04.2024, 13:05 Uhr.

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