ZENSUR IM INTERNET: GEFäHRLICHE NARRATIVE

Vor knapp sechs Jahren hatten ein paar Menschen mit scheinbar allerbesten Absichten eine sehr gute Idee: Wenn man die vielen und sich immer weiter vermehrenden Websites, die Verschwörungsgeschichten, Fälschungen, komplett erfundene und mit bösartigen Absichten verfasste Meldungen verbreiten, schon nicht verbieten konnte; wenn man zugleich zur Kenntnis nahm, dass, weil krasse, böse Behauptungen viele Klicks provozieren, mit diesem Müll auch noch sehr gute Geschäfte gemacht werden: Dann könnte man doch versuchen, genau diese Websites vom Nachschub mit Werbung und damit vom steten Fluss der Einnahmen abzuschneiden.

Anders als beim Geschäft mit bedrucktem Papier, wo eine Agentur oder der Kunde selbst bestimmen können, in welchem Medium sie werben mögen und in welchem eben nicht, ist dieser Markt im Internet komplett digitalisiert, algorithmengesteuert, von der Zahl der Klicks befeuert und damit so undurchdringlich, dass kein Kunde die Übersicht haben kann, wo überall die Werbung für die eigenen Produkte aufscheint.

Und so gründeten die Aktivisten ­Clare Melford und Daniel Rogers im Jahr 2018 in London den „Global Dis­information Index“ (GDI), eine Non-Profit-Organisation, die versprach, das Internet zu durchsuchen und mithilfe einer KI und des eigenen Urteilsvermögens aus den Ergebnissen dieser Suche gewissermaßen ein Rating des Falschen und Bösen zu erstellen und immer wieder zu aktualisieren. Und diese Ratings weiterzugeben an jene Agenturen, die für die Verteilung der Werbegelder im Internet zuständig sind. Kein Geld mehr für Trolle, Lügner, Denunzianten, das war und ist das Versprechen des GDI.

Weit und breit keine Verschwörung

Dass die Organisation diese Begriffe ziemlich großzügig definierte, hätte einem schon früher auffallen können. Immer wieder trat Clare Melford auf Panels und Kongressen auf und sprach dort von gefährlichen Narrativen. Und in den Vereinigten Staaten protestieren schon seit einiger Zeit gewisse Websites gegen diese Ratings, nur dass das eben Websites sind, die als rechts und reaktionär und auf jeden Fall ressentimentgesteuert gelten, weshalb nur ihresgleichen die Klagen ernst nahm.

Bis den Redakteuren des britischen Online-Magazins „UnHerd“ auffiel, dass sie, trotz vieler Nutzer und Abonnenten, kaum Werbung akquirieren konnten. „UnHerd“ ist ein intelligentes Medium, dessen verbissener Kampf gegen alles, was für woke und sogenannte Cancel Culture gehalten wird, einem allerdings auf den Wecker gehen kann. Aber mit Fälschungen und Verschwörungen hat „UnHerd“ nichts zu tun.

Freddie Sayers, der Chefredakteur, fragte also nach bei den Agenturen, fand heraus, dass „UnHerd“ von GDI ein sehr schlechtes Rating bekommen hatte, beschwerte sich darüber, wurde zurechtgewiesen – und über die Ergebnisse seiner Recherchen hat er am Dienstag im englischen Oberhaus und am Mittwoch auf der Website von „Unherd“ berichtet.

Links, lesbisch - und ein Feind

Am Rating werde sich nichts ändern, solange „UnHerd“ weiter „anti-LGBTQI+-Narrative“ verbreite, schrieb ihm GDI. Die Begründung dafür war, unter anderem, der Umstand, dass Kathleen Stock für „UnHerd“ schreibt. Kathleen Stock, daran muss vielleicht noch einmal erinnert werden, ist links, lesbisch, Feministin und eine allseits anerkannte Philosophin und Autorin, die nur den Fehler gemacht hat, darauf zu bestehen, dass das Verhältnis zwischen körperlicher und seelischer Bedingung ein wenig komplizierter sei, als Trans-Aktivisten sich das eingestehen wollen. Was ihr so viel Hass bescherte, dass sie 2021 ihre Professur niederlegte.

Wer Kathleen Stock in eine Reihe mit Putins Trollen und rechtsextremen Radikallügnern stellt, will nicht Fakten prüfen, sondern Haltungen, die ihm nicht passen, stumm schalten. Dazu passen auch die miserablen Ratings für die Websites der amerikanischen Rechten und Trump-Fans, die tatsächlich sehr unsympathische Meinungen zum Beispiel über den Krieg der Russen gegen die Ukraine und die amerikanische Rolle in diesem Konflikt haben mögen. Zensieren darf man sie nicht.

Man könnte die Sache auf sich beruhen lassen – schon weil Freddie Sayers’ Bericht wohl dazu führen wird, dass die Agenturen sich an den Ratings des GDI nicht weiter orientieren werden. Zu einem politischen Problem wird der GDI deshalb, weil, wie man auf dessen Internetseite sehen kann, zu den Unterstützern auch die Europäische Union und das deutsche Auswärtige Amt gehören – was nicht besonders hilfreich ist in dieser Zeit, da so viele Deutsche glauben wollen, eine irgendwie linksgrüne Elite schränke die Meinungsfreiheit ein. Vom Auswärtigen Amt gab es bis zum Redaktionsschluss keine Stellungnahme.

2024-04-19T16:17:24Z dg43tfdfdgfd