ASTRAZENECA NIMMT CORONA-IMPFSTOFF VOM MARKT: DIESE FRAGEN SIND NOCH OFFEN

Der europäische Widerruf der Zulassung des Coronavirus-Impfstoffs von AstraZeneca, auch als Vaxzevria bekannt, sorgt in den sozialen Medien für Verwunderung. In den Leitmedien bekommt das Thema nur wenig Aufmerksamkeit. Dabei handelt es sich um eine fragwürdige Entscheidung. Am Dienstag wurde die Zulassung des Produkts Vaxzevria auf Wunsch des Herstellers von der EU-Kommission widerrufen.

Die Berliner Zeitung berichtete als eines der wenigen Medien. Die Entscheidung lässt viele Fragen unbeantwortet. De facto ist ein Produkt vom Markt genommen worden, das schon recht früh während der Pandemie für Aufregung sorgte, weil zum Teil lebensbedrohliche Nebenwirkungen bei Vaxzevria festgestellt wurden. 

Der Durchführungsbeschluss der EU-Kommission mit dem Antrag von AstraZeneca zur Widerrufung der Zulassung ihres Impfstoffs ist auf den 27. März datiert. Das Dokument dazu bekam die Öffentlichkeit aber erst Anfang Mai zu Gesicht. Vaxzevria wurde zu Beginn der Impfkampagne in den meisten EU-Staaten als „wirksam und sicher“ bewertet. Nun genießt das Produkt einen schlechten Ruf.

Auf Anfrage der Berliner Zeitung widerspricht der Hersteller der Behauptung, dass das Produkt wegen mangelnder Qualität vom Markt genommen wurde. Das Produkt sei einfach nicht mehr ausreichend oft bestellt worden. „Wir sind unglaublich stolz auf die Rolle, die Vaxzevria bei der Beendigung der globalen Pandemie gespielt hat“, sagt eine Sprecherin von AstraZeneca. Der Widerruf habe nur „kommerzielle Gründe“. 

Laut unabhängigen Schätzungen seien allein im ersten Jahr nach der Einführung über 6,5 Millionen Leben gerettet und weltweit über drei Milliarden Dosen Vaxzevria bereitgestellt worden, sagt AstraZeneca. Wie diese Zahl zu erklären ist, bleibt ein Geheimnis, so wie die Anzahl von schwerwiegenden Nebenwirkungen nach Verabreichung des Produkts – dafür gibt es keine mathematischen Schätzungen. 

„Angesichts der Menge an verfügbaren und wirksamen Impfstoffen gegen neue Varianten von Covid-19 gab es keine Nachfrage mehr nach dem Vaxzevria-Impfstoff“, heißt es weiter. Die Begründung für den Widerruf wirkt aber bei näherer Betrachtung wohlfeil. Wenn das Produkt so erfolgreich gewesen ist, warum wurde es dann kurz nach dem Start der Impfkampagne ausgesetzt und drei Jahre später vom Markt genommen? Dies ist nur eine der Fragen, die dringend eine Antwort erfordern. Wir haben die wichtigsten Fragen gesammelt.

In Deutschland wurde das Präparat 12.803.142 Mal verabreicht, bevor es von der Bundesregierung bereits im März 2021 auf Hinweis des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) ausgesetzt wurde. In EU-Mitgliedstaaten wurden rund 68,8 Millionen Vaxzevria-Impfdosen an über 18-Jährige verimpft. Bei wie vielen Personen traten Nebenwirkungen auf? Die Öffentlichkeit hat das Recht auf eine kritische Aufarbeitung und umfangreiche Studien, die diese Fragen beantworten können.

Auf der Plattform Eudravigilance wurden am Anfang der Impfkampagne bis zum 1. Dezember 2021 insgesamt 223.295 Fälle von vermuteten Nebenwirkungen mit Vaxzevria aus EU-/EWR-Ländern an EudraVigilance gemeldet – davon soll es in 1.303 Fällen zu tödlichen Verläufen gekommen sein. Dabei muss betont werden, dass gesundheitliche Probleme oder der Tod nach einer Impfung nicht automatisch implizieren, dass dies durch die Impfstoffe verursacht wurde.

Zu diskutieren wäre, wie etwaige Nebenwirkungen von den gesundheitlichen Behörden verfolgt wurden. Es gibt nämlich zwei Methoden. Erstens: die aktive Pharmakovigilanz. Diese beinhaltet proaktive Maßnahmen wie systematische Überwachung und Analyse von Daten, um unerwünschte Arzneimittelwirkungen zu identifizieren. Dabei werden aktive Methoden wie Umfragen oder Datenbankabfragen eingesetzt.

Im Gegensatz dazu bezieht sich die passive Pharmakovigilanz auf die passive Erfassung von Nebenwirkungen durch Berichte von Gesundheitsdienstleistern oder Patienten ohne gezielte Suchaktionen. Bei den Coronaimpfstoffen wurde diese zweite Methode zum Einsatz gebracht, obwohl bei der Einsetzung von brandneuen Präparaten während einer „Ausnahmezeit“ eher eine aktive Pharmakovigilanz angebrachter gewesen wäre, um die Gesundheit der Menschen zu schützen. 

Laut eines Risikomanagementplans der EU vom vergangenen September hat AstraZeneca eine Studie zu einer auffälligen Nebenwirkung in Auftrag gegeben. Dabei handelt es sich um eine Nebenwirkung, die als Thrombose-mit-Thrombozytopenie-Syndrom (TTS) bekannt ist. Diese kann zu Blutgerinnseln in Gehirn- oder Bauchgefäßen führen sowie zu einer insgesamt verminderten Blutplättchenzahl.

Diesbezüglich sieht sich AstraZeneca derzeit mit einer Sammelklage vor dem High Court in London konfrontiert. Der Hersteller hat für Vaxzevria diese schädliche, zuvor nicht aufgeführte Nebenwirkung eingeräumt: „In sehr seltenen Fällen kann es (Vaxzevria, Anm. d. Red.) TTS verursachen“, zitiert der Telegraph aus den Gerichtsdokumenten. Diese Nebenwirkung sei laut Hersteller „sehr selten“.

Doch wie „selten“ trat die Nebenwirkung wirklich auf? Bislang bleibt die Frage offen. Könnte es sein, dass der Pharmakonzern nach dem Rückzug der Zulassung nicht mehr dazu verpflichtet ist, darüber zu berichten? Der Hersteller widerspricht – AstraZeneca werde weiterhin die Nebenwirkungen verfolgen. 

„Das muss das Unternehmen natürlich weiter auswerten und zur Kenntnis nehmen“, sagt Peter von Czettritz, Rechtsanwalt, der sich auf Themen des Pharmarechts fokussiert. Ihm zufolge besteht die Gefahr, dass sich AstraZeneca nicht mehr ganz aktiv um Aufklärung kümmern wird, nachdem das Produkt aus dem Verkehr gezogen wurde. Den Widerruf von pharmazeutischen Produkten bezeichnet der Anwalt als eher „selten“, aber im Falle von AstraZeneca könnten kommerzielle Gründe tatsächlich eine Rolle gespielt haben.

„Bei einer Zulassung eines Produkts, gerade bei zentralen Zulassungen, gilt eigentlich auch die Verpflichtung, das Produkt in Verkehr zu bringen und vorrätig zu halten“, sagt von Czettritz. Die Beibehaltung der Zulassung würde demnach nur Geld kosten, für ein Produkt, das nicht mehr nachgefragt ist. Aber wieso wurde das Produkt nicht mehr bestellt? Warum ist die Nachfrage dermaßen eingebrochen? Die Qualität des Produkts spielt augenscheinlich dabei eine Rolle.

Erst Ende Januar 2021 hatte die EU-Kommission einen Vertrag mit dem britisch-schwedischen Pharmakonzern abgeschlossen. Durch diesen Vertrag verpflichteten sich die Mitgliedstaaten, 300 Millionen Dosen des Impfstoffs von AstraZeneca zu erwerben, mit einer Option auf weitere 100 Millionen Dosen. Im Jahr 2021 erzielte das Unternehmen mit Vaxzevria einen Umsatz von über 1,9 Milliarden Euro.

Doch wie viele Vaxzevria-Impfdosen wurden der EU zugestellt und welchen Preis hat dafür die Kommission gezahlt? Denn bei einem Durchschnittspreis von drei Euro pro Impfdose wären es bei 400 Millionen etwa 1,2 Milliarden Euro an EU-Staatsgeldern. Der Coronaimpfstoff von AstraZeneca war nämlich wesentlich billiger als die Präparate der Konkurrenz. Eine Dosis von Pfizer-BioNTech kostete mehr als das Fünffache. „Wir haben unsere Verpflichtungen erfüllt“, sagt AstraZeneca. 

Gemäß der Vereinbarung hat sich AstraZeneca dazu verpflichtet, bis zum Ende des dritten Quartals 2021 60 Millionen Dosen des Impfstoffs zu liefern, bis zum Ende des vierten Quartals 2021 75 Millionen und bis zum Ende des ersten Quartals 2022 65 Millionen. Insgesamt sind das 200 Millionen Dosen. Wenn 68,8 Millionen davon verabreicht wurden, was ist dann mit den anderen 131,2 Millionen Impfdosen passiert?

Zumindest wurden diese Verträge nicht mithilfe von privaten SMS abgeschlossen, wie es die EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen bei den Pfizer-Impfstoffen getan haben soll. Europäische Behörden ermitteln dazu. Bis heute wurde der Gesprächsverlauf zwischen EU-Chefin von der Leyen und dem Pfizer-CEO Albert Bourla nicht offengelegt. Warum bekommen die europäischen Bürger hier keine Transparenz?

Der Vorfall mit dem AstraZeneca-Corona-Impfstoff spiegelt die vertrackten politischen Entscheidungsverläufe während der Pandemie. Insbesondere offenbart dieses Ereignis grobe Ungereimtheiten, die die europäischen Gesundheitsbehörden zu verantworten haben. Denn nachdem Vaxzevria grünes Licht für das Impfen aller über 18-Jährigen erhalten hatte, wurde das Produkt nach umstrittenen Todfällen erst gestoppt, dann nur an über 60-Jährigen verabreicht und zuletzt vollkommen ausgesetzt. 

Eins der ersten Länder, wo sich schwere Nebenwirkungen nach einer Vaxzevria-Impfung ereigneten, war Italien. Dort starb die 19-jährige Camilla Canepa, die nach der Verabreichung des Präparats an einer Thrombose ihr Leben verlor. Auch dort kam es nach langem Hin und Her zur vollkommenen Aussetzung des AstraZeneca-Impfstoffes. 

Die genaue Anzahl von Menschen, die schwere Nebenwirkungen oder gar den Tod nach der Verabreichung der Corona-Impfstoffe erlitten haben, ist nicht bekannt. Denn bei einer passiven Pharmakovigilanz, also bei einer spontanen Meldung der Nebenwirkungen, kommt es oft zu einer Unterbewertung der Fälle.

Fakt ist: Das Produkt hat alle Zulassungen erhalten, die für die Vermarktung notwendig waren. Als Erstes eine Notfallzulassung der Europäischen Arzneimittel-Agentur (Ema) am 29. Januar 2021. Die Erneuerung erfolgte im November 2022. Ende Oktober desselben Jahres erhielt das Produkt eine Zulassung zur Standardvermarktung. Erst danach wurden die oben diskutierten schweren Nebenwirkungen festgestellt. Diese hätten jedoch eigentlich bereits vor der Vermarktung bekannt sein müssen. 

Der Rückzug der Zulassung seitens AstraZeneca wirft zwangsläufig Fragen auf. Genügt die Erklärung des Herstellers, dass es sich beim Widerruf nur um „kommerzielle Gründe“ handelt? Wird die EU jemals dafür sorgen, dass die Bürger alle Zusammenhänge erfahren? Wer wird sich auf europäischer Ebene um die Corona-Aufarbeitung kümmern? Gerade mit Blick auf die EU-Wahlen wäre Transparenz jetzt die richtige Strategie, um die Bürger von der Demokratiefähigkeit der EU zu überzeugen und ihr Vertrauen zurückzugewinnen.

Der AstraZeneca-Vorfall bestätigt, dass die Coronavirus-Impfungen in der EU zum Einsatz kamen, ohne dass die Folgen der Impfung den Verantwortlichen exakt klar waren. Wurde der hippokratische Grundsatz „primum non nocere“, also dass das Allerwichtigste sei, den Patienten nicht zu schaden, bei den Impfkampagnen in der EU nicht berücksichtigt?

Vaxzevria wurde als „sicher und wirksam“ bewertet, von den gesundheitlichen Behörden Europas zertifiziert und ohne Bedenken an alle über 18-Jährigen verabreicht. Das Produkt erhielt alle Zulassungen, die es für die Vermarktung benötigte. Erst danach ereigneten sich lebensgefährliche Nebenwirkungen, auch über die Wirksamkeit des Präparats wurde mehrfach diskutiert. Medienberichte aus dem Januar 2021 besagen, dass die Wirksamkeit des Impfstoffs bei über 65-Jährigen nur 6,3 Prozent beträgt.

Nun stellt sich die Frage, ob bei den anderen Impfstoffen, zum Beispiel bei denen von Pfizer-BioNTech, Risiken zu Nebenwirkungen ebenso stiefmütterlich behandelt wurden? Obwohl es sich dabei um zwei verschiedene Impftechnologien handelt (Vaxzevria war ein Vektorimpfstoff, Pfizer ist ein mRNA-Impfstoff), sollte weiterhin das Ausmaß an Nebenwirkungen kritisch geprüft werden.

Gemäß Eudravigilance wurden vom 17. Februar bis zum 14. Juni 2021 in EU-/EWR-Ländern insgesamt 729.496 unerwünschte Ereignisse im Zusammenhang mit den anfänglich am häufigsten verwendeten drei Impfstoffen gemeldet. Von diesen waren 3.420 thrombotisch, wobei sie hauptsächlich bei Oxford-AstraZeneca auftraten (n=1.988; 58,1 Prozent), gefolgt von Pfizer (n=1.096; 32,0 Prozent) und Moderna (n=336; 9,8 Prozent). Diese Daten deuteten bereits im November 2021 darauf hin, dass unter anderen Thrombosen nicht ausschließlich bei Vaxzevria auftreten.

Wie wurden all diese Produkte auf den Markt gebracht? Waren die Studien und die Risikobewertungen ausreichend? Es braucht dringend eine Aufarbeitung der Corona-Zeit, um all diese Fragen abschließend zu klären – auch um in Zukunft mit Pandemien richtig umgehen zu können. Die Rechtfertigung, dass die Politik schnell handeln musste, darf als Ausrede nicht gelten. 

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