„KATASTROPHALER ZUSTAND“: CHEFARZT DES BERLINER MAßREGELVOLLZUGS WIRFT HIN

Der Ärztliche Leiter des Berliner Maßregelvollzugs, Sven Reiners, hat laut einem Medienbericht die Kündigung eingereicht. In diesem Zusammenhang ist die Rede von einem katastrophalen Zustand des Maßregelvollzugs. Das berichtet der RBB am Freitag. 

Der RBB zitiert online aus einem Schreiben Reiners an die Geschäftsleitung und Gesundheitssenatorin Ina Czyborra (SPD). Das Schreiben sei dem Sender aus Verwaltungskreisen zugespielt worden. Darin begründe der Mediziner seine Kündigung mit einem „katastrophalen Zustand ohne konkrete Perspektive“ in der von Überbelegung und Personalmangel betroffenen Einrichtung für psychisch kranke Straftäter. Reiners hatte seit 2011 im Krankenhaus des Maßregelvollzugs in Berlin-Reinickendorf gearbeitet und die ärztliche Leitung vor drei Jahren übernommen.

„Die Entwicklungen der letzten Jahre, insbesondere aber die letzten zwölf Monate, haben zu Zuständen geführt, die ich in keinerlei Hinsicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren kann“, schreibt Reiners zu seiner Entscheidung. Die Unterbringung einzelner Patienten sei menschenunwürdig. Junge Ärzte in Ausbildung unter diesen Umständen dort arbeiten zu lassen, sei nicht zu verantworten.

Derzeit würden Straftäter abgewiesen, die eigentlich im Maßregelvollzug untergebracht und therapiert werden müssten, sagte Reiners dem RBB. Die abgewiesenen Straftäter würden stattdessen im Regelvollzug untergebracht, also in einem normalen Gefängnis. Zu befürchten seien Ausbruchsversuche von psychisch kranken, gefährlichen Straftätern aus dem überfüllten Maßregelvollzug, sagte Reiners weiter.

Reiners kritisierte die Rolle der Gesundheitsverwaltung. Seiner Überzeugung nach sei eine kurzfristige Entlastung auf dem Gelände der Anstalt möglich gewesen. Er habe den Eindruck, die Politik wolle aber lieber bis zur nächsten Wahl warten. Die zwischenzeitlich getroffene Kompromisslösung, bei der psychisch kranke Straftäter nicht im Maßregelvollzug, sondern in Haft untergebracht werden, sei rechtswidrig. Er könne nicht mehr Teil dieses schweren Organisationsversagens sein, sagte Reiners dem rbb.

Personalmangel, Überfüllung und Gewalt kennzeichnen das Berliner Krankenhaus des Maßregelvollzugs (KMV), das einen Standort in Reinickendorf mit 17 Stationen hat und einen Standort in Buch mit drei Stationen. Waren dort im Jahr 2019 noch 682 Patienten untergebracht, so waren es laut einer internen Aufstellung Ende 2023 bereits 843, wie der KURIER im Februar berichtete.

In einem Interview der Berliner Zeitung hatte Reiners im April 2023 erläutert, welche Patienten im Maßregelvollzug behandelt werden. „Es gibt zwei große Gruppen: Patienten mit schizophrener Psychose, die in der Regel ein Körperverletzungsdelikt begangen haben. Denen etwa durch Stimmen etwas eingegeben wurde oder die durch wahnhafte Verkennungen ihnen unbekannte Personen angegriffen haben. Und es gibt Suchtmittel missbrauchende oder von Suchtmitteln abhängige Rechtsbrecher, die Beschaffungskriminalität oder Betäubungsmittelstraftaten verübt haben. Wie überall in der Psychiatrie sind die Patienten eher jung. Der Altersdurchschnitt liegt etwa bei 35 Jahren.“

Auf die Frage, ob es in Berlin immer mehr psychisch kranke Menschen geben, sagte Reiners, es gebe keine konkreten Zahlen. „Wir sehen aber eine Zunahme drogenbedingter Psychosen. Sie werden verursacht durch Cannabis, Amphetamine, Kokain oder – jetzt gehäuft – durch Crystal Meth, das sehr schnell schwere Psychosen auslöst. Wir haben vermehrt Aufnahmen von psychotischen Patienten.“

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