SEGEN STATT FLUCH: RIESENVIRUS IN KLäRANLAGE BEI WIEN ENTDECKT

Riesenviren klingen im ersten Moment nach der neuen Superseuche, vor allem wenn sie in einer Kläranlage wie jetzt in der Nähe von Wien entdeckt werden. Doch der Schein trügt: Die Virengiganten könnten sogar echte Lebensretter sein. Denn sie zerstören für Menschen tödliche Amöben, wie Forschende herausfinden.

Es klingt zunächst bedrohlich: Forscherinnen und Forschen entdecken in einer Kläranlage bei Wien ein neues Riesenvirus. Tatsächlich entpuppen sich die gigantischen Viren aber als unverhoffte Helfer gegen tödliche Krankheiten. Denn sie befallen in Gewässern vorkommende Amöben, wie das Forschungsteam um Patrick Arthof von der Universität Wien in der Fachzeitschrift "Nature Communications" schreibt.

Spannend ist dabei, wie es seine Opfer befällt: Das Riesenvirus wird von den Amöben irrtümlich als Futter aufgenommen und zerstört sie dann innerhalb weniger Stunden. Zuvor schleust das Naegleriavirus seine Gene in die Wirtszelle ein und baut in ihr eine Art Fabrik zur Herstellung neuer Viren auf. "Um die Wirtszelle währenddessen am Leben zu halten, bedient sich das Naegleriavirus vermutlich spezieller Proteine, die die natürliche Immunreaktion der Amöbenzelle unterdrücken und so den vorzeitigen Zelltod verhindern", erklärt Co-Autor Florian Panhölzl von der Universität Wien laut Mitteilung. "Erst nach erfolgreicher Vermehrung der Viren kommt es zur Zerstörung der Wirtszelle und dem Freisetzen der Viren."

Ungewöhnlich viele Gene für ein Virus

Naegleriaviren stammen aus der Gruppe der "Klosneuviren", deren Name auf eine spektakuläre Entdeckung in der Kläranlage Klosterneuburg vor einigen Jahren verweist: Wiener Mikrobiologen waren damals bei Genom-Analysen auf verschiedene Riesenviren gestoßen. Die Klosneuviren stehen für eine der Wissenschaft bis dato noch eher fremde Gruppe an Viren.

Kläranlagen helfen gegen Resistenz-Problem

"Sie sind innerhalb der Riesenviren besonders interessant: Sie besitzen besonders viele Gene, die man sonst nur von zellulären Organismen wie Tieren, Pflanzen, Pilzen oder Bakterien kennt, und die man vor der Entdeckung der Klosneuviren niemals mit Viren in Verbindung gebracht hätte", sagte Mikrobiologe Matthias Horn von der Universität Wien der österreichischen Nachrichtenagentur APA. Es habe sich zudem gezeigt, "dass Klosneuviren weltweit verbreitet und sehr divers sind".

Nähere Analysen des Naegleriavirus enthüllten, dass auch dieses Riesenvirus eine mit 1,16 Millionen Basenpaaren ungewöhnlich lange, doppelsträngige DNA besitzt. Auf ihr liegen die genetischen Bauanleitungen für mindestens 59 virale Proteine sowie mindestens 31 Gene, die eigentlich zur Translations-Maschinerie von zellulären Organismen gehören. Aufgrund von Ähnlichkeiten zum Genom einiger Einzeller vermuten Arthofer und seine Kollegen, dass das Riesenvirus diese Gene aus früheren Wirten übernommen hat.

Virales Gegenmittel

Mit ihrer Entdeckung hoffen die Forschenden, dass Naegleriaviren in Zukunft gezielt gegen tödliche Amöben eingesetzt werden können. "Diese Viren könnten einen ersten Schritt zu einem viralen Gegenmittel gegen Naegleria fowleri repräsentieren", heißt es in der Studie.

Weil Naeglerien vor allem in warmen, vom Menschen beeinflussten Gewässern und Swimmingpools vorkommen, könnten die Riesenviren dort sogar vorbeugend eingesetzt werden. "Diese Entdeckung eröffnet grundsätzlich die Möglichkeit einer vorbeugenden Behandlung von gefährdeten Gewässern, wie zum Beispiel im Rahmen der Wasseraufbereitung in Swimmingpools", sagt Mikrobiologe Horn. Dafür bräuchte es jedoch zunächst weitergehende Untersuchungen. "In jedem Fall wird das jetzt entdeckte Virus helfen, die Biologie der Naeglerien und deren Interaktionen mit Viren besser zu verstehen."

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