MIT LATERNE UND SCHWERT DURCH DIE NACHT: DAS IST DORTMUNDS NACHTWäCHTER

Mit Laterne und Schwert durch die Nacht: Das ist Dortmunds Nachtwächter

Seit über zehn Jahren ist Klemens Heinrich als Dortmunds Nachtwächter und Henker unterwegs. Im Interview erzählt er spannende Anekdoten und Kurioses.

Dortmund – Clemens Henricus Nocturnus Vigilantis, besser bekannt unter seinem bürgerlichen Namen Klemens Heinrich, führt seine Besucher als Nachtwächter und mitunter auch als Henker durch die düstere Vergangenheit von Essen, Bochum und Dortmund. Der studierte physische Geograf und selbstständige Tourguide aus Essen-Steele verrät im Interview mit RUHR24 seine kurioseste Erfahrung bei seinen Touren, warum er in waschechter Ruhrpott-Sprache redet und wie er es schafft, seine Besucher in einer modernen Stadt wie Dortmund in das Mittelalter zu entführen.

Nachtwächter und Henker in Dortmund? Klemens Heinrich musste nicht lange überlegen

Klemens Heinrich, zu Beginn eine vielleicht etwas provokante Frage. Den Beruf des „Henkers“ gibt es heute, zumindest in großen Teilen der westlichen Welt, nicht mehr. Und auch der „Nachtwächter“ hat hierzulande ausgedient. Warum sollte man sich dann heute überhaupt noch mit diesen antiquierten Berufen auseinandersetzen?

Sind die Berufe wirklich so antiquiert? Den Nachtwächter gibt es ja noch, fragen Sie mal beim Sicherheitsdienst Kötter (lacht). Also so etwas wie die Polizei haben wir heute auch noch. Das Bedürfnis ist dasselbe geblieben. Die Form ist halt ein bisschen anders geworden.

Wann bist du zu Dortmunds Vollstrecker und nächtlichem Aufpasser geworden?

Vor 12 Jahren.

Musstest du lange überlegen, ehe du dir den Job zugetraut hast?

Nein gar nicht. Ich wusste jetzt auch gar nicht genau, was auf mich zukommt. Aber prinzipiell interessiere ich mich für Geschichte. Ich habe dann Ute (Iserloh, Eigentümerin von Kulturvergnügen, einem Tourenveranstalter mit Sitz in Dortmund, Anm. d. Red.) kennengelernt. Die hat verzweifelt jemanden gesucht. Ja, dann waren wir uns direkt sympathisch und dann hat sie mich gefragt und ich habe zugesagt. Ich wollte natürlich auch Geld verdienen. Und das heißt, das war für mich eine neue Kundin. Also, ich bin ja als Selbstständiger eine „Ich-AG“. Und das war gut, es hat alles super gepasst. Ute hat dann, als Kulturwissenschaftlerin, alles ausgearbeitet. Das hat sie alles sehr akribisch und sehr gut gemacht, mit vielen kleinen Details. Die Liebe zum Detail, die ist dann häufig auch gegeben: Zum Beispiel dürfte ich eigentlich auch nicht mit einer Uhr losziehen, die gab es im Mittelalter ja nicht. Ich hab das selber natürlich auch noch angereichert, ich muss ja meine Geschichten erzählen. Das passt der Ute manchmal nicht, aber Hauptsache, die Kunden finden gut, was ich erzähle (lacht).

Nachtwächter-Touren beginnen am Dortmunder Adlerturm

Aber ungewöhnlich klang diese Anfrage am Anfang doch wahrscheinlich schon?

Naja, es gibt ja schon viele Nachtwächter. Das erwartet man eher nicht im Ruhrgebiet. Weil die meisten Leute haben gar nicht auf dem Schirm, dass die Städte so alt sind, weil man hier nicht mehr so viel vom Mittelalter sieht. Aber in Münster, Köln oder Düsseldorf laufen ja überall schon Nachtwächter herum.

Deine Touren haben dich kreuz und quer durch Dortmund geführt. Welche Spots findest du persönlich am spannendsten?

Eigentlich da, wo die Touren beginnen: am Adlerturm. Da steht ja dieser imposante Stadtturm, da können sich die Leute dran festhalten. Da im Ruhrgebiet so viel zerstört ist, geht so vieles über die Fantasie. Ich muss bei den Kunden Bilder entwickeln, damit sich alles im Kopf abspielt. Und Dortmund ist sogar noch besser als Essen, weil dort stehen eben noch einige Kirchen mehr. Dazu kommen auch noch der Alte Markt und die Alte Apotheke oder die Kronenbrauerei. Da kann man sich auch ein bisschen dran festhalten.

Dortmunds Nachtwächter und Henker kennt die düstersten Geheimnisse aus dem Mittelalter

Hast du eine Lieblingsanekdote als Dortmunds Henker und Nachtwächter?

Also bei der Henkerstour finde ich immer so Überraschungen am besten, wenn die Leute Sachen nicht erwarten – zum Beispiel die Nachfolgeberufe der Henker, als sie aus der Mode kamen. Dann wird immer alles Mögliche geraten: Steuerbeamter, Totengräber oder Metzger (lacht). Aber weil die Henker ja die „Medizinmänner“ der kleinen Leute waren, waren sie eben Chirurgen und Pferdeärzte, sprich Veterinäre. Eben weil sie sich sehr gut in Anatomie auskannten. Die Akademiker zu der Zeit durften ja nicht an die Menschen ran. Und demgegenüber durften die Henker es eben und waren die eigentlichen Profis, zumindest was die Chirurgie angeht.

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Was war demgegenüber deine schlimmste Erfahrung als Tourguide?

Ich habe mal mein Schwert verloren. Das ist wirklich ärgerlich, weil das 500 Euro kostet und wir extra eins hatten machen lassen. Das ist noch nicht lange her, das war letztes Jahr. Am Ende meiner Tour erzähle ich ja auf dem Hansaplatz die Geschichte der Agnes von der Vierbecke. Und da habe ich immer die Angewohnheit, mein Schwert in diesem Geländer, das die Treppe heraufführt, einzuhängen. Danach habe ich halt Schluss gemacht und bin nach Hause gegangen. Das hatte ich bis zur nächsten Henkerstour auch gar nicht gemerkt. Und dann dachte ich: Oh nein, wo ist denn das Schwert? Ja, dann war es weg. Das Lokalradio in Dortmund hat daraus dann sogar eine Geschichte gemacht. Danach kamen auch Antworten: Ich solle doch mal im Fundbüro gucken oder in der Asservatenkammer der Polizei. Aber da war es nicht.

Und danach blieb das Schwert verschollen?

Naja, wenn einer so ein Schwert hat, der weiß wohl, was es wert ist. Und dann ist es halt weg. Und das war wirklich doof. Also das hat mir für Ute ziemlich leidgetan. Vor allem hab ich jetzt mein ehemaliges dickes Schwert wieder. Das alte habe ich immer gerne genommen, weil das leichter war. Aber mit dem jetzigen Schwert ist es halt auch leider nicht so elegant. Das war so das Schlimmste, was mir eigentlich passiert ist.

Dortmunds Henker und Nachtwächter begrüßt Gäste aus aller Welt – manche kommen ungebeten

Aber gab es auch fröhlichere Erlebnisse?

Ja, es gibt auch ein paar lustige Geschichten, zum Beispiel im Jahr 2016 nach der Flüchtlingswelle. Ich ging verkleidet mit dem Schwert durch die Gegend. Da kam ein Afrikaner auf mich zu, lief um mich herum und fragte auf Englisch: „Wer bist du denn? Was machst du?“ Und ich sagte: „Naja, ich bin ein Henker und ich mache eine Stadtführung“. Und er fragte weiter, wer ich bin und was ich mache – offenkundig ein Kulturschock für ihn. Er blieb dann in der Nähe, telefonierte mit dem Kollegen und kam wieder. „Wer bist du? Was machst du?“ Ich wurde da nicht schlau draus und sagte: „Ich muss hier jetzt arbeiten. Du kannst mich nicht die ganze Zeit fragen, wer ich bin und was ich mache“. Dann ist er abgehauen. Irgendwann ist mir dann aber klar geworden, dass es in Afrika ja animistische Religionen gibt. Manche glauben an Geister. Und ich vermute, der hat sich gedacht, dass ein Geist unserer Vorfahren im Hintergrund ist. Deshalb ist der wohl die ganze Zeit um mich herumgelaufen und hat noch jemanden angerufen. Das waren so ein paar herausragende Sachen, das war schön (lacht).

Tatsächlich kommen deine Besucher kommen ja nicht nur aus Dortmund und der Umgebung. Bei der Henkerstour am 1. März waren sogar Gäste aus Österreich dabei. Was waren so die exotischsten Gegenden, aus denen deine Besucher kamen?

Ja, manchmal sind tatsächlich Leute aus Österreich dabei. Voraussetzung ist natürlich meistens die Sprache, wobei ich Touren auch schonmal auf Englisch gemacht habe. Ich habe es eigentlich ganz gerne, wenn Leute von weiter weg herkommen. Weil die staunen dann noch mehr als die Einheimischen. Manchmal frage ich: „Was denkt ihr, wie alt ist Dortmund?“ Und dann kriegst du gerne auch mal als Antwort „120 Jahre“. Dann denke ich mir, „alles klar, jetzt gehts los“ (lacht). Und als Nächstes fangen die Besucher an zu staunen, wenn ich erzähle, dass Dortmund eine große und mächtige Hansestadt war. Das sind dann eben diese „Aha“-Effekte, vor allem bei Leuten, die von weiter weg kommen. Weil die mit all ihren Klischees hier hinkommen, und merken, da klappt gar nichts von. Das macht man dann besonders Spaß.

Klemens Heinrich bezieht das Publikum bei seinen Touren durch Dortmund bewusst mit ein

Stichwort Spaß: Bei deiner Henkerstour bittest du dein Publikum unter anderem, mit allerlei Gegenständen laut zu klappern, wenn man an Passanten vorbeikommt. Schließlich war der Henker damals sozial geächtet und musste so auf sich aufmerksam machen, damit ihm niemand zu nahekam. Warum ist es aus deiner Sicht wichtig, die Teilnehmer miteinzubeziehen?

Also, das ist eher das Konzept von der Ute. Die lässt ganz gerne die Leute auch zum Beispiel die Laterne schleppen, ganz nach dem Motto: „Die Kunden müssen arbeiten“ (lacht). Und ich denke mir zum Beispiel, wenn Kinder mit dabei sind, dass die dann die Hellebarde und die Laterne kriegen, dann sind sie die „Nachtwärter-Anwärter“. Normalerweise trage ich es alleine, Ute hat es aber immer gerne, wenn irgendein Kunde die Laterne trägt, oder den Karren zieht. Und beim Henkers-Knecht hat das ja auch einen Hintergrund – also, nicht nur, dass ich dann die Hände freihabe, es gab ja tatsächlich Henkersknechte.

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Immer wieder tauchen in Dortmunds Tiefen neue Relikte auf – so zum Beispiel das Skelett am Adlerturm oder das Kanonen-Fundament als Teil der Stadtbefestigung. Ist es vor diesem Hintergrund besonders wichtig, als Nachtwächter und Henker immer auf dem neuesten Stand zu sein?

Ja, gerade die Ute kriegt auch die Lokalpresse mit. Das ist immer ein Nachteil, wenn du nicht in der Stadt bist oder so, dann verpasst du solche Nachrichten häufig. Und die schickt uns dann so regelmäßige Updates zum Beispiel von Ausgrabungen, die ja stattfinden. Ich baue das nicht unbedingt immer ein – es sei denn das widerspricht dem, was ich schon die ganze Zeit immer erzählt habe – aber prinzipiell haben sich meine Touren über die Jahre so entwickelt, dass ich immer eine bestimmte Dramaturgie haben. Und die vermeidet zum Beispiel viele Jahreszahlen, die merken sich die Leute sowieso nicht, ich auch nicht. Und grob weiß ich das alles. Aber es geht darum, dass das eher so ein bisschen in Richtung „Infotainment“ geht, die Leute bei der Stange zu halten, denen Geschichten zu erzählen, die sie nicht kennen. Wo sie sich eben fragen „Oh, das wusste ich nicht.“ Zum Beispiel beim Nachtwächter ist ja so, dass die Hellweg-Städte alle 15 Kilometer auseinander sind und da weiß normalerweise keiner, wieso das so ist. Es geht immer darum, dieses „Aha“ zu produzieren, das bleibt nämlich hängen und eben keine Jahreszahlen. Und diese Dramaturgie hat sich jetzt im Laufe der Jahre immer weiter verfeinert. Und die verlasse sich ungern, weil ich weiß, dass sie funktioniert. Manchmal sind es dann so kleine Fakten, die kommen da rein.

Dortmunder Stadtbild hat sich sehr verändert: Nachtwächter setzt auf „künstlerische Freiheit“

Dabei sieht Dortmund heute mitnichten noch so aus wie im Mittelalter oder während der Frühen Neuzeit. Lediglich der Wall ist auf Karten heute noch erkennbar, hier und da erinnern auch noch Schilder oder Nachbauten, wie der Adlerturm, an Dortmunds Dasein als Hansestadt. Ist es da manchmal nicht schwierig, den Besuchern zwischen Autolärm, Smartphones und E-Rollern das Gefühl zu vermitteln: „Ihr seid jetzt hier mit mir zusammen im Mittelalter?“

Ich finde das nicht so schwierig. Ich glaube, ich kann ganz gut diese Bilder erwecken. Und ich habe schon Leute gehabt, die haben gesagt, die hätten schon Nachtwächtertouren zum Beispiel in Münster oder in Osnabrück mitgemacht, wo noch alles steht. Und die beste Nachtwächtertour, die sie je mitgemacht hätten, sei in Dortmund gewesen, und da steht eben nichts. Das heißt, das klappt offensichtlich ganz gut, die Bilder hervorzurufen. Und da ist natürlich auch eine relative künstlerische Freiheit (lacht). Also daran hapert es eigentlich nicht. Ich sage ja auch immer: „Ihr seht, hier steht nichts mehr, das müsst ihr euch also selber vorstellen.“

Das ist dann also Fluch und Segen zugleich?

Ja genau, das kann man so sagen.

Dortmunds Nachtwächter und Henker will die Interaktion mit seinen Besuchern

Obwohl man heutzutage Vieles im Internet nachlesen kann und die digitale Welt auch mit Blick auf die Geschichte immer realistischere Darstellungen verspricht – Stichwort 3D-Rekonstruktionen – ziehen Nachtwächter- und Henkerstouren nach wie vielerorts Publikum an. Was, glaubst du, macht den Reiz aus, trotz all der verlockenden Alternativen, bei Wind und Wetter im Dunkeln durch Dortmund zu laufen?

Dinge wie „Augmented Reality“, wo Leute mit diesen 3D-Brillen zum Beispiel herumlaufen, sind natürlich ganz anders. Das ist ein völlig anderes Konzept. Das ist natürlich schön und faszinierend, aber da erzählt ja noch keiner die Geschichte dazu. Aber der Vorteil bei meinen Touren ist generell so, dass ich mich auf die Leute einstellen kann. Und das ist ganz, ganz wichtig. So ein System stellt sich nicht auf die Leute ein. Das ist so ähnlich, als wenn ich eine Stadtrundfahrt mache, und der Busfahrer drückt einfach nur auf einen Knopf: „Hier sehen sie links das und rechts jenes.“ Das ist einfach Mist, da komme ich nicht mit klar.

Ich kann das auch nicht haben, wenn ich keinen Augenkontakt habe zu den Leuten, dann kann ich die Lage nicht einschätzen. Das ist schon mal passiert, da habe ich eine Führung in einem alten Schienenbus gemacht. Ich habe vorne dringesessen und dann hatte der noch einen Anhänger. Vorne bei mir waren alle zufrieden. Hinten hatte ich keine Kontrolle, die Leute sind schimpfend ausgestiegen. Weil ich nicht gesehen habe, was da los ist. Das waren ältere Herrschaften, die hatten eine Kaffeetour erwartet und ich habe denen Sachen über Lautsprecher erzählt. „Kann der nicht mal die Schnauze halten?“, haben sie gerufen (lacht).

Und bei deinen Nachtwächter- und Henkerstouren läuft das gänzlich anders?

Ja klar, das ist eben der Unterschied: Du hast den Blickkontakt, du kannst dich auf die Kunden einstellen. Da ist dann Fingerspitzengefühl gefragt: Was erzählst du, was lässt du sein, was kürzt du, was schmückst du aus? Gerade am Anfang des Winters sind die Leute noch nicht auf die niedrigen Temperaturen eingestellt. Dann fangen die alle an zu schlottern. Da mache dann keine zweieinhalb Stunden Führung, da kürze ich dann natürlich ab und bringe nur die wichtigen Geschichten. Und das macht so ein 3D-System dann eben nicht, auch das Internet oder die Augmented Reality. Das ist dann eben nicht so individuell auf die Menschen zugeschnitten.

Ruhrpottsprache im Mittelalter? Für Klemens Heinrich „gehört Ruhrdeutsch auch dazu“

Also hat die klassische „Face-to-Face“-Interaktion aus deiner Sicht einen großen Vorteil?

Genau. Ich kenne zum Beispiel auch so Kundenführungsanlagen, da haben alle irgendwie so einen Ohrstöpsel drinnen oder einen Kopfhörer. Das kann ich nicht ab, weil da zerstreut sich alles und ich habe keine Kontrolle über die Gruppe, teilweise verabschieden die sich dann auch, stehen 30, 40, 50 Meter weiter weg, weil die dich ja immer noch hören. Ich habe sie lieber auf mich fokussiert, dann sehe ich alles und hab die Gruppe auch mehr oder weniger im Griff.

Auf deinen Touren erzählst du die Anekdoten und geschichtliche Fakten, so zum Beispiel zum Dortmunder Trissel, in echter Ruhrpott-Sprache. Warum hast du dich dafür entschieden und redest nicht so geschwollen daher, wie es sich viele Leute sicherlich mit Blick auf graue Vorzeiten vorstellen?

Einer meiner Vorgänger, der hatte mal eine Führung gemacht, die ein Nachtwächter aus so einer Gilde, beziehungsweise aus so einem Verein besucht hatte. Die sprechen dann genau so, wie du es gerade beschrieben hast. Mein Vorgänger hat aber nicht so geschwollen gesprochen. Und dann fing der Besucher an, ihn vor allen Leuten fertig zu machen, was er denn für ein schlechter Nachtwächter sei. So ginge das ja wohl nicht, er aus seiner Gilde wisse genau, wie man das macht. Ja so ein Mist! So einer soll mir mal in die Finger kommen (lacht). Denn diese Scheinauthentizität finde ich doof. „Liebe Leute lasst euch sagen, die Uhr hat so und so geschlagen“ – so ein Quatsch! Mach ich nicht, kann ich nicht, will ich nicht. Ich bin in dem Sinne kein Schauspieler, ich bringe das zwar lebhaft rüber, aber für mich gehört Ruhrdeutsch auch dazu.

Dramaturgie darf bei der Reise in Dortmunds düstere Vergangenheit nicht fehlen

Aber zumindest zu Beginn deiner Henkerstour trägst du ja dennoch einen Text vor, der etwas altertümlich herüberkommt. Das streust du dann schon ganz bewusst mal ein, oder?

Ja, das stimmt, das ist halt der Schock: Die Besucher wissen jetzt nicht, was kommt. Das dient der Dramaturgie. Ich lasse sie ja auch erstmal lange warten und dann wissen sie nicht, was passiert. Der steht da, der guckt ziemlich finster. Und dann geht es los: „IHR!“ Dann lasse ich das Schwert über den Boden schleifen, das klimpert und klappert – einfach um der Erwartungshaltung etwas zu entsprechen. Das ist dann der dramaturgische, extreme Auftakt, den habe ich mir so ausgedacht.

Aber birgt das Ruhrpottdeutsche nicht auch die Gefahr, Authentizität einzubüßen?

Das glaube ich nicht. Also ich nehme das zumindest nicht so wahr. Das ist ja genauso wie die Tatsache, dass in Dortmund nichts steht, dass alles der Fantasie überlassen ist. Ob da jetzt einer Rurpottdeutsch spricht oder nicht: Wichtig ist, dass die Bilder entstehen. Und da glaube ich nicht, dass die Sprache in dem Sinne eine Rolle spielt.

History sells? Für Klemens Heinrich wird Dortmund immer Geschichts-Fans anlocken

Abschließend wagen wir noch einen kurzen Ausblick: Glaubst du, dass Nachtwächter- und Henkerstouren durch Dortmund auch noch in 50 Jahren die Leute begeistern werden – Stichwort: „History sells“?

Ja, auf jeden Fall! Also die Vergangenheit ist ja eine Attraktion, und dann kommen ja auch bestimmte Typen von Leuten, zum Beispiel Betriebsflüge oder so. Weil der Chef denkt „Okay, machen wir mal ein bisschen Kultur und Party“. Aber die Leute, die bewusst zur Tour kommen, die interessieren sich auch für den Nachtwächter, für die Geschichte, für die Lokalgeschichte aus Dortmund und ich glaube, das wird einfach nicht nachlassen. Zumal die Städte auch immer mehr gucken, was vor Kohle, Eisen, Stahl und Bier los war. Und da entdecken sie die eben reiche, wichtige, Lokal- und teilweise auch überregionale Geschichte mit ihrer Reichweite. Und das Bewusstsein wird sicherlich zunehmen, da gehe ich fest von aus. Da darf man auch die „Mund zu Mund“-Propaganda nicht unterschätzen und gerade Dortmund ist, was so Touriführungen angeht, ganz weit vorne. So Leute wie Ute, die das jetzt seit 25 Jahren machen, spielen da sicherlich eine große Rolle. Da werden ganz viele Führungen gemacht und ich glaube nicht, dass das aufhört – im Gegenteil. Ich würde sagen, das nimmt zu.

Vielen Dank.

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