TIKTOK: JOE BIDEN UNTERSCHREIBT US-GESETZ – SO GEHT ES JETZT WEITER

Jetzt steht ByteDance unter Druck: Mit neuen Regeln drängt die amerikanische Politik das chinesische Unternehmen dazu, TikToks US-Geschäft zu verkaufen. Ob es dazu kommt, ist alles andere als gewiss.

Die US-Politik lässt ihren jahrealten Bedenken über TikTok als möglichem Risiko für die nationale Sicherheit Taten folgen. In der Nacht zum Mittwoch hat nach dem Repräsentantenhaus nun auch der Senat für ein neues Gesetz gestimmt, das auf einen Verkauf oder andernfalls ein Verbot von TikTok in den USA hinausläuft. Auch US-Präsident Joe Biden hat das Gesetz am Mittwochnachmittag deutscher Zeit unterschrieben. Die Tage von TikToks bisherigem Geschäft in den USA sind damit wohl gezählt, sofern die Kurzvideo-App und ihre chinesische Mutterfirma ByteDance nicht noch auf juristischem Weg einen anderen Ausweg aus der Situation finden.

DER SPIEGEL fasst die wichtigsten News des Tages für Sie zusammen: Was heute wirklich wichtig war - und was es bedeutet. Ihr tägliches Newsletter-Update um 18 Uhr. Jetzt kostenfrei abonnieren.

Bemerkenswert schnell durch beide Kongresskammern gekommen war das Gesetz auch dank eines Schachzugs seiner Unterstützer: Es war diesmal Teil eines Bündels von Maßnahmen, zu dem auch Milliardenhilfen für die Ukraine, Israel und Taiwan zählten. (Mehr zu den Hintergründen der TikTok-Debatte lesen Sie hier.)

Es ist nun vieles möglich

Im Netz und natürlich vor allem auf TikTok selbst sorgt das US-Vorgehen gegen die App für viel Verunsicherung, allerlei Mythen und gedankliche Kurzschlüsse kursieren. So berichtete am Dienstag etwa Noah Glenn Carter, ein bekannter TikToker mit 8,8 Millionen Followerinnen und Followern, mit erstaunlicher Gewissheit, dass TikTok in den USA nun wohl absehbar verboten werde. Dabei gibt es durchaus die Option, dass sich ByteDance am Ende doch auf einen Verkauf seines US-Geschäfts einlässt, und sei es unter bestimmten Bedingungen wie der, dass die neuen Eigentümer Teile der App, etwa ihren Empfehlungsalgorithmus, selbst aufsetzen müssten.

Kaufinteressenten jedenfalls gibt es, zugleich allerdings lassen die bisherigen Positionen von ByteDance und China das Verkaufsszenario tatsächlich eher unwahrscheinlich erscheinen. So hat TikTok-Chef Shou Zi Chew angekündigt, alles Mögliche zu unternehmen und rechtliche Mittel einzusetzen, um seine Plattform zu verteidigen. Und China hatte 2020, als es zu Zeiten der Trump-Regierung schon einmal massiven Verkaufsdruck auf ByteDance gab, seine Ausfuhrregeln für Technologie verschärft.

Alex Heath vom Techmagazin »The Verge« schrieb nach der Abstimmung im Senat, er könne nicht oft genug betonen, wie häufig ihm Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von ByteDance und TikTok über die Jahre versichert hätten, ihr Unternehmen werde sich nicht von der App trennen.

Die erste Frist beträgt 270 Tage

Klar ist: ByteDance bleibt noch Zeit, sich seine Strategie zu überlegen: Schon aus Preispoker-Gründen würde es für das Unternehmen, das in den USA Umsätze im Milliardenbereich macht, Sinn ergeben, nicht gleich klein beizugeben. ByteDance hatte zudem offenbar bis zuletzt darauf gehofft, mit Lobbying und vielleicht auch mit Unterstützung seiner Nutzerinnen und Nutzer eine Einigung der Politikerinnen und Politiker im Repräsentantenhaus und im Senat abwenden zu können.

Das neue Gesetz räumt dem Unternehmen nach der Unterschrift Bidens 270 Tage dafür ein, einen Verkauf herbeizuführen, also gut neun Monate. Erst danach muss ByteDance – sofern es dann immer noch Eigentümer von TikTok ist – mit einem Verbot seiner App rechnen. Der zu diesem Zeitpunkt amtierende Präsident könnte die 270-Tage-Frist noch einmal um maximal 90 Tage verlängern, so denn Verkaufsabsichten bestünden.

In jedem Fall endet die Grundfrist erst, nachdem der nächste US-Präsident bereits feststeht. Donald Trump, der voraussichtliche Herausforderer von Joe Biden, hatte sich zuletzt gegen ein Verbot von TikTok ausgesprochen. Dabei hatte er 2020 als damaliger Präsident selbst einen ähnlichen Plan verfolgt.

TikTok würde aus App-Stores verschwinden, nicht von Handys

Dazu, was das mögliche TikTok-Verbot konkret bedeuten würde, gibt es viele falsche Vorstellungen. So würde das Gesetz nicht, wie manchmal suggeriert, zur Folge haben, dass sich TikTok in den USA gar nicht mehr nutzen lässt (es sei denn, TikTok selbst sperrt seine amerikanischen Nutzerinnen und Nutzer aktiv aus). Vielmehr dürfte die App nicht mehr in App-Stores für amerikanische Nutzerinnen und Nutzer zur Verfügung gestellt werden, was Neuinstallationen und Updates auf diesem Weg verhindern würde. Den TikTok-Fans aus den USA könnten also neue Features entgehen, außerdem könnte die App ohne neue Patches irgendwann als unsicher gelten. Stand jetzt hat TikTok in den USA rund 170 Millionen Nutzerinnen und Nutzer, sie haben die App also bereits auf ihren Smartphones.

Wie leicht es für US-Nutzer wäre, TikTok mithilfe technischer Tricks wie VPN-Verbindungen oder Downloads aus alternativen oder ausländischen App-Stores neu aufzuspielen, ist zum jetzigen Zeitpunkt Spekulation.

Und um auch das noch einmal klarzustellen: Sich auf TikTok Kurzvideos anzuschauen, wird in den USA künftig weiter erlaubt sein, in jedem absehbaren Szenario. Keine seriöse Stimme verlangt, die Nutzung der App unter Strafe zu stellen.

Parallel zur Frist droht der Rechtsstreit

Grundsätzlich würde das Verbot, TikTok in App-Store anzubieten, im Falle eines Nichtverkaufs angesichts der Fristen frühestens 2025 in Kraft treten. Je nachdem wie der Kampf von ByteDance um die App vor Gericht verläuft, könnte das Verbot aber auch erst wesentlich später oder vielleicht nie akut werden. ByteDance hat in der Vergangenheit bereits Erfolge beim Anfechten von Verbotsplänen gehabt, etwa im US-Bundesstaat Montana. Ein Unterschied ist jedoch, dass es diesmal um ein Gesetz auf Bundesebene geht.

Der bekannte US-Techjournalist Casey Newton schreibt: »Interviews mit Rechtswissenschaftlern deuten darauf hin, dass die Regierung es schwer haben wird, zu beweisen, dass sich ihr Versuch, TikTok zu verbieten, mit der Verfassung vereinbaren lässt.« Fälle, in denen es wie hier um die ersten Zusatzartikel zur Verfassung und die Redefreiheit gehe, seien den Experten zufolge aber oft unvorhersehbar. Daher sei es auch möglich, dass der Verweis der Regierung auf die nationale Sicherheit den Supreme Court letztlich dazu bringen könnte, das Gesetz zu bestätigen.

Zu den politischen Gegnern des Gesetzes, für das sowohl Demokraten als auch Republikaner stritten, gehörte im Repräsentantenhaus die Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez. »Es gibt ernsthafte kartell- und datenschutzrechtliche Fragen«, sagte die bekannte Demokratin. »Alle Bedenken hinsichtlich der nationalen Sicherheit sollten vor einer Abstimmung der Öffentlichkeit dargelegt werden.«

Es gibt (US-)Alternativen zu TikTok

Wie sich der Streit auf kultureller Ebene auf die Webvideowelt auswirken wird, liegt indes primär in der Hand der Nutzerinnen und Nutzer. Mit Instagram aus dem Hause Meta und Googles YouTube gibt es bereits populäre US-Plattformen, auf denen man über die Unterdienste Reels und Shorts ebenfalls Hochkant-Kurzvideos teilen und konsumieren kann. Schon jetzt kommt es oft vor, dass Nutzerinnen und Nutzer ihre für TikTok gemachten Aufnahmen eins zu eins auch dort hochladen. Das Ende des Kurzvideo-Booms würde ein Aus von TikTok in den USA so garantiert nicht bedeuten.

In Indien, wo TikTok bereits vor längerer Zeit verboten wurde, profitierten von dem Bann laut Medienberichten tatsächlich primär die Konkurrenten, die ähnliche Dienste im Angebote hatten.

Auf Europa und Deutschland hätte ein TikTok-Verbot in den USA keine direkten Auswirkungen, da die in den USA beschlossenen Regeln für die hiesigen Märkte keine Bedeutung haben. Zu erwarten wären eher indirekte Effekte, wie möglicherweise eine sinkende Attraktivität der App, wenn etwa bekannte US-Influencer TikTok den Rücken kehren oder nur noch primär in einer TikTok-Variante für den US-Markt aktiv wären. Grundsätzlich würde solche Stars aber auch nichts davon abhalten, sowohl in ByteDances TikTok-Universum, als auch in einem möglichen US-Pendant dazu mitzumischen.

Update, 17.10 Uhr: Wir haben diesen Artikel um die soeben bekannt gewordene Information ergänzt, dass Joe Biden das Gesetz nun unterzeichnet hat.

2024-04-24T15:43:17Z dg43tfdfdgfd