„BAHNHOFSALKOHOLIKER“? HABECK VERKLAGT JOURNALIST FüR SATIRISCHEN TWEET – FREISPRUCH

Was fällt für grüne Politiker unter den Schutz der Meinungsfreiheit? Satire offenbar nicht. Erst im März stellte Außenministerin Annalena Baerbock persönlich Strafantrag gegen einen bayerischen Unternehmer, der sie auf einem Plakat als ein Kleinkind dargestellt hatte – sie verlor in zweiter Instanz. Jetzt unterlag Wirtschaftsminister Robert Habeck vor Gericht gegen den Welt-Kolumnisten Rainer Meyer, der am bayerischen Tegernsee wohnt und unter dem Pseudonym Don Alphonso schreibt.

Habeck fühlte sich von einem Tweet beleidigt, den Meyer im Februar 2023 abgesetzt hatte. Meyer schrieb darin von einem „Wirtschaftsminister, der mit seiner äußeren Erscheinung in einer Ansammlung von Bahnhofsalkoholikern nicht negativ auffallen würde“. Habeck nannte er namentlich nicht, den Tweet setzte er in Anführungszeichen.

Worauf er angespielt haben könnte? Auf Instagram existiert ein Foto von Habeck aus seiner Zeit als Grünen-Vorsitzender. Zu sehen ist der Politiker auf dem Boden eines Bahnsteigs, angelehnt an einen Pfeiler. Sein Hemd ist an diesem heißen Sommertag offen, er selbst unrasiert, mit der Hand fährt er sich durch die Haare, der Blick ist auf den Laptop gerichtet.

Habeck kommentierte das Foto mit den Worten, zwei Tage Sommerreise wären gleichbedeutend mit „zwei Tagen unerledigter Mails“. Er dankte außerdem dem Bundesland Rheinland-Pfalz für die Gastfreundschaft. Das Foto lud er auf seinem Instagram-Account hoch, offenbar in selbstironischer Absicht.

Doch als Habeck den Tweet des Welt-Kolumnisten sah, verstand er offenbar keinen Spaß mehr. Nach eigenen Angaben erfuhr Meyer im April vergangenen Jahres von seiner Anwältin, dass Habeck persönlich einen Strafantrag gegen ihn unterschrieben habe. Der Vorwurf: Er habe nach Paragraf 188 des Strafgesetzbuches den Minister beleidigt. Darüber berichtete zuerst das Nachrichtenportal Nius.

Der Paragraf legt fest, dass die Beleidigung, üble Nachrede oder Verleumdung von Politikern eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe nach sich ziehen kann – sofern die Tat geeignet sei, „sein öffentliches Wirken erheblich zu erschweren“. Besteht ein besonderes öffentliches Interesse, kann die Strafverfolgung auch ohne gesonderten Strafantrag in Gang kommen. Der Minister entschied sich indes dazu, den Strafantrag persönlich zu unterschreiben.

Dabei habe alles eigentlich harmlos begonnen, so Meyer. Er habe sich mit einem Journalistenkollegen über Habecks Fotos auf sozialen Medien unterhalten. Dann habe der Bekannte gemeint, der Minister erinnere ihn an einen „Betrunkenen in einer Bahnhofskneipe“ – weil er sich auf Fotos im Kapuzenpullover zeigte, aber auch wegen des Instagram-Fotos vom Bahnsteig. Daraufhin verfasste Meyer seinen satirischen Tweet. Er wollte sehen, sagt er, „ob die Menschen verstehen, was damit gemeint ist“.

Notfalls, sagt Meyer, wäre er für das Grundrecht auf Meinungsfreiheit auch bis vors Bundesverfassungsgericht gezogen. Und tatsächlich sah es am Anfang nicht gut für ihn aus. Ein Richter des Amtsgerichts Miesbach sah in Meyers Tweet den Tatbestand der Beleidigung erfüllt und verurteilte ihn im Oktober zu einer Geldstrafe von 3200 Euro. Laut Nius war das derselbe Richter, der beim Unternehmer Michael Much eine Hausdurchsuchung anordnete, weil dieser satirische Plakate gegen die Grünen auf seinem Grundstück aufgehängt hatte.

Doch Meyer wollte es dabei nicht belassen. Er beauftragte Rechtsanwalt Christoph Schmischke von der Kölner Kanzlei Höcker mit dem Fall und zog mit seiner Berufung bis vor den Strafsenat des Münchner Landgerichts. Die mündliche Verhandlung fand Ende April statt. Offenbar überzeugte den Richter die Argumentation des Anwalts, Meyer wurde freigesprochen.

Schmischke erklärte dem Gericht, bei Meyers Tweet habe es sich nicht um eine Beleidigung nach Paragraf 188 des Strafgesetzbuchs gehandelt, sondern um eine Meinungsäußerung. Und die ist von Artikel 5 des Grundgesetzes gedeckt. Dort heißt es, jeder dürfe seine Meinung „in Wort, Schrift und Bild“ frei äußern.

Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig, der Staatsanwalt könnte es anfechten. Doch das gilt unwahrscheinlich – erst recht nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das den Wert des Grundrechts auf Meinungsfreiheit bekräftigt hatte. Die Richter urteilten Mitte April, auch polemische Kritik an der Bundesregierung müsse zulässig sein.

Anlass war ein Tweet von Ex-Bild-Chefredakteur Julian Reichelt, den ihm Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze (SPD) gerichtlich untersagen ließ. Reichelt kritisierte, Deutschland überweise mit seiner Entwicklungshilfepolitik Geld an die in Afghanistan herrschenden Taliban. Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts musste die vorherige Entscheidung des Kammergerichts Berlin aufgehoben werden.

Meyer plädiert derweil dafür, den Paragraf 188 des Strafgesetzbuchs „schleunigst ersatzlos“ zu streichen. Politiker sollten wie alle anderen Bürger behandelt werden, schreibt er in einem Beitrag für die Welt. Zum einen reichten seines Erachtens die Paragrafen zu übler Nachrede und Beleidigung auch für Politiker aus. Zum anderen sei es „katastrophal“, dass unter Strafe gestellt werde, das öffentliche Wirken von Politikern „erheblich zu erschweren“. Es sei nicht die Aufgabe von Journalisten, so Meyer, Politikern das Leben leichter und angenehmer zu machen – „ganz im Gegenteil“.

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