DIE ÜBERSETZERIN KOMMT MIT ALL DEN TATBESTäNDEN KAUM HINTERHER

Bei einem Prozess gegen zwei Männer von den Bahamas und ihren deutsch-türkischen Komplizen wird in Hamburg deutlich, wie leicht ausländische Kokain-Kartelle hierzulande an schwere Waffen kommen. Sie sollen mit einem der meistgesuchten Verbrecher Europas in Verbindung stehen.

Während der Staatsanwalt immer neue Anklagepunkte vorliest, kommt die Übersetzerin kaum hinterher, all die deutschen Gesetzesparagrafen und Tatbestände in sinnvolle englische Sätze zu überführen.

Auf der Anklagebank links von ihr sitzen zwei Männer und lauschen den Vorwürfen. Sie stammen von der karibischen Inselgruppe der Bahamas und wirken manchmal, als ob sie selbst nicht recht glauben können, im schmucklosen Saal 388 des Hamburger Landgerichts gelandet zu sein.

Das Verfahren, das am vergangenen Freitag begann, zeigt, wie weltumspannend der moderne Kokainhandel funktioniert; wie hart sich die Sicherheitsbehörden Ermittlungserfolge erarbeiten müssen; und über welche Waffenarsenale die Banden mittlerweile verfügen.

Die zwei Männer von den Bahamas, Marlon J. und Tad M., sind Teil einer international operierenden Rauschgift-Gruppe und müssen sich wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, gemeinschaftlich versuchter Freiheitsberaubung und eines Verbrechens nach dem Waffengesetz verantworten.

Folgt man der Anklage, dann reiste Marlon J. Anfang Juli 2023 nach Deutschland und quartierte sich in Hamburg ein. Neben dem niederländischen Hafen Rotterdam, dem größten Europas, und dem Hafen Antwerpen in Belgien, gehört der Hamburger Hafen zu den drei großen Einfallstoren für Kokainlieferungen aus Südamerika.

Dort bezog der Angeklagte sogenannte Bunkerwohnungen, in denen Kilos an Kokain und Marihuana lagerten, und gab von dort aus die Drogen an Kuriere weiter. Die Banden kommunizieren heutzutage über Chatgruppen, die mal besser, mal schlechter vor den neugierigen Blicken der Ermittler geschützt sind. In der Chatgruppe des amerikanischen Messenger-Dienstes Signal nannte sich Marlon J. „Ghost“ – Gespenst.

Doch die Ermittler kamen ihm recht schnell auf die Spur und überwachten ihn die nächsten Monate. Dann fällt ein Name in der Anklage, der aufhorchen lässt: Als Hamburger Kontakt und Geschäftspartner der Gruppe von den Bahamas nennt der Staatsanwalt Mansour Ismail – ein Kokainpate auf der Flucht, der momentan wohl zu den meistgesuchten Verbrechern Europas zählen dürfte.

Ismail setzte sich 2020 aus Hamburg nach Spanien ab und ist seitdem verschwunden. Die Polizei fahndet öffentlich mit Bild nach ihm, er gilt als Auftraggeber mehrere Morde im Drogenmilieu. In der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY … ungelöst“ war einer der Morde in einer Hamburger Shisha-Bar in dieser Woche Thema.

Und aus der Ferne scheint Ismail immer noch die Fäden zu ziehen. Für einen Drogenpaten im Exil wirkt er dabei erstaunlich eingebunden ins Tagesgeschäft.

Der Staatsanwalt berichtet etwa von einem Fall am 25. Juli 2023: Marlon J., der Mann von den Bahamas, war in einem der Drogenverstecke auf Position und erhielt eine Nachricht von Mansour Ismail: Da werde gleich ein Kurier vorbeikommen, um 25 Päckchen je ein Kilogramm Marihuana abzuholen. Das Codewort laute „Paris“.

Die Geschäfte liefen gut, im September 2023 bekam der Mann von den Bahamas Unterstützung aus der Heimat. Laut Anklage reiste Tad M. nach Deutschland und verkaufte fortan ebenfalls in Hamburg sowie Umgebung. Dafür erhielt er mindestens 10.000 Euro von der „Organisation“, wie es in der Anklage heißt.

Offenbar mühelos an schwere Waffen gelangt

Im zurückliegenden Jahr wurden laut Bundeskriminalamt bundesweit mehr als 30 Tonnen Kokain sichergestellt. Beinahe im Wochentakt machen Zoll und Polizei in den vergangenen Jahren große Funde. Auf das Kokain-Angebot in den Clubs, Bars und auf den Straßen hatte das aber keine spürbaren Auswirkungen – was zeigt, welche Masse an Rauschgift unentdeckt nach Deutschland gelangt. Das Verfahren verdeutlicht auch auf erschreckende Weise, wie leicht Kriminelle heute an schwere Schusswaffen kommen.

Im November 2023 erhielt Marlon J. von seinem Cousin, der ebenfalls ein Mitglied der Gruppe sein soll, einen weiteren Auftrag: Er sollte einen Mann, den Geschädigten H., aus einer Bar im Hamburger Bezirk Eimsbüttel mit Waffengewalt entführen und mit dem Tode bedrohen. In welcher Beziehung das spätere Opfer zum Kokain-Kartell steht, wird an diesem Prozesstag noch nicht klar. Vermutlich geht es um eine Streiterei im Milieu.

Der Mann aus den Bahamas traf sich vor der Tat mit einem weiteren Mittäter, der anscheinend mühelos und binnen kurzer Zeit schwere Waffen beschaffen konnte. Marlon J., so schildert es die Anklage, erwarb zehn Maschinenpistolen mit Kaliber 9 mm, fünf Magazine und insgesamt 760 Patronen. Eine verkaufte er weiter, 5000 Euro brachte der Verkauf ein.

Der Angeklagte soll dann seinen Landsmann und einen Hamburger mit türkischen Wurzeln, der ebenfalls in dem Prozess angeklagt ist, in den Tatplan eingeweiht haben. Dieser lockte das potenzielle Opfer am 1. November vergangenes Jahr aus der Bar; dort warteten die beiden Männer von den Bahamas, vermummt und bewaffnet.

Doch das Opfer konnte flüchten, rettete sich zurück in die Bar und blockierte die Tür von innen. Die drei mutmaßlichen Täter flüchteten, Schüsse fielen nicht. Am selben Tag verhafteten Ermittler die Männer. In einer der Bunkerwohnungen fanden Beamte neun weitere Maschinenpistolen.

Vor Gericht schweigen die drei eisern – und lassen ihre Anwälte erklären, dass sie weder zur Sache noch zu ihrer Person irgendwelche Angaben machen wollen.

Das Verfahren geht weiter; noch bis Mitte Juni sind Verhandlungstermine vorgesehen.

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