DOCH KEINE WAFFENRUHE IM GAZASTREIFEN: PALäSTINENSER FüHLEN SICH BETROGEN – AUCH VON DER HAMAS

Am Montagabend erklärte die Hamas ihre Zustimmung zu einem Verhandlungsvorschlag über eine Waffenruhe im Gazastreifen. Agenturbilder zeigten die Menschen auf den Straßen – mit der Hoffnung des Kriegsendes in den Augen. Das verwundert kaum, denn Hamas-Chef Ismail Hanija nannte Details, die für die palästinensische Seite utopisch schön wirkten, denen so aber kaum ein Beobachter Glauben schenken wollte. So sollten etwa für jeden freigelassenen israelischen Geisel gleich 30 palästinensische Gefangene freikommen.

Darüber hinaus hätte Israel, und das ist für die Menschen im Gazastreifen am wichtigsten, sogar ein endgültiges Ende des Krieges zugesichert, während offiziell von israelischer Seite immer betont wurde, dass nur die Möglichkeit einer temporären Feuerpause infrage käme.

So dauerte die überschwängliche Freude über die Zustimmung der Hamas zu einem wohl in dieser Form nie vorgelegten Plan nur kurz: Israel bezeichnete den Vorschlag für eine Feuerpause im Gazastreifen als weit von den eigenen wesentlichen Forderungen entfernt.

Noch am Abend begannen die israelischen Streitkräfte mit der Offensive auf Rafah – also mit jenem Schritt, vor dem auch die Weltgemeinschaft immer wieder eindringlich gewarnt hatte. Man wolle, so Israel, damit weiter militärischen Druck auf die Hamas ausüben. Für die ohnehin schon so kriegsgebeutelte Zivilbevölkerung geht das Hungern, Leiden und Sterben damit (vorerst) weiter.

Das ist auch in Ramallah, der de facto Hauptstadt des palästinensischen Westjordanlandes, am Dienstag das Gesprächsthema Nummer eins. Hier zeigt man sich heute jedoch in der Einordnung der aktuellen Ereignisse uneins. Enttäuscht ist man über die „Zionisten in Katar“, die, wenn man einigen hier glaubt, ein falsches Spiel spielen. Es ist ein Argument, das man nicht nur einmal hört, es dürfte sich in Ramallah bereits festgesetzt haben. Ein rein für die Interessen Israels einstehendes oder gar ein israelisch unterwandertes Katar – eine Verschwörungstheorie, der man wohl nirgendwo sonst auf der Welt Glauben schenken würde.

Noch viel verbreiteter sprechen die Palästinenser hier aber über Ägypten. War das Verhältnis dem an den Gazastreifen angrenzenden Staat und den Palästinensern zuvor schon abgekühlt, so brachte der Krieg seit Oktober eine weitere Verschlechterung. Nun, wo Rafah angegriffen wird, sei Kairo am Zug – doch es passiere nichts, wie man betont. Einige meinen, Ägypten stecke mit Israel unter einer Decke. Andere glauben, dass das Land die Situation unterschätzt habe und zu lange glaubte, es gehe Israel nur um den Gazastreifen: „Jetzt haben sie selbst Angst, Israel wird vor nichts zurückschrecken“, ist Ahmad, ein aufgebrachter Jugendlicher überzeugt.

„Wir können nur zu Gott beten“, erklärt Mahmoud. Er wurde von Passanten vor dem kleinen Markt vermittelt, weil er am besten über die Hamas Bescheid wüsste. „Beten, dass der Krieg aufhört und es für uns gut ausgeht.“ Wen er mit „uns“ meint? Er lacht gekünstelt und sagt: „Unsere Menschen. Sie haben doch gesehen, wie gestern gejubelt wurde. Doch Israel hat das torpediert. Jetzt müssen wir uns wieder wehren.“

Vor Ort erfährt man von einem zweiten Mann, der „gute Kontakte“ zur Hamas haben soll und normalerweise gerne spricht. Er steht bei einem der Verkaufsstände auf der Straße und isst Cashewnüsse: „Es soll ja viele gegeben haben, die sich in den vergangenen Monaten mit der Hamas politisch angefreundet haben. Ich sage nicht, dass ich dazu gehöre, aber wenn es so wäre, müsste ich jetzt sagen: Es reicht, spielt keine Spiele mit euren Menschen, spielt nicht mit unseren Brüdern.“ Die Hamas leiste wichtige Arbeit, meint er, doch die Bevölkerung im Gazastreifen benötige jetzt eine Pause. „Und wenn die Okkupationstruppen jetzt sofort und mit voller Wucht auf Rafah marschieren“, erklärt er weiter, „dann sind gleich anschließend wir dran.“ Das intensive Vorgehen der israelischen Armee in Tulkarm im Westjordanland sei nur ein Vorgeschmack.

Einige Hundert Meter weiter steht Al Tahir am Eingang der Einkaufspassage vor seinem Shop, in dem man so gut wie alles für den täglichen Gebrauch kaufen kann. Er klingt verzweifelt: „Was soll ich Ihnen noch sagen? Montag Frieden, heute Krieg, morgen wieder Frieden und dann warten wir auf den Krieg am Donnerstag.“ Auch er habe es satt, dass die Politik den Krieg fortsetzt, während die Bevölkerung den Frieden will und benötigt: „Ich nehme die Hamas hier nicht aus, wie auch die israelische Regierung nicht. Beide wollen Krieg, um die jeweilige Machtposition zu stärken, doch die Menschen im Gazastreifen sterben wie die Fliegen und in allen großen israelischen Städten gibt es Proteste für ein Kriegsende.“

Die Welt sei so groß, jeder habe doch Platz zu leben: „Warum streiten wir uns um so kleine Stücke der Erde? Ich bin ein alter Mann, aber wenn die Jungen auf ihr Leben zurückblicken, dann sollen sie an friedliche Zeiten denken.“ Der gestrige Tag habe aber gezeigt, dass die Hoffnung auf wirklichen Frieden aktuell keine Berechtigung habe: „Die Hamas betrügt Israel, Israel betrügt die Hamas und beide gemeinsam betrügen die jeweilige Bevölkerung, die sich nach einem Ende der Kämpfe sehnt.“

Jene, die Kritik an der Hamas üben, wehren sich hier prinzipiell gegen Fotos von sich. Einer, der das nicht tut, ist Abu Hamza. Der Besitzer eines Souvenirgeschäfts sieht die Schuld allerdings bei den Israelis: „Sie fahren einen Zickzackkurs, man kann ihnen nicht trauen. Das hat man am Vorgehen bei diesem sogenannten Deal zum Kriegsende wieder einmal gesehen.“ Es sei ein israelisches Täuschungsmanöver gewesen, wie er meint: „Der internationale Druck war zu groß, da konnten sie nicht einfach in Rafah einmarschieren. Jetzt haben Sie das Bild der bösen Hamas, die Israel über den Tisch ziehen wollte – doch das Gegenteil ist der Fall.“ Das sei ein bekanntes Spiel der Israelis: „Doch das wissen Sie ohnehin, ihr Europäer seid auf unserer Seite.“ Er spricht über die Studentenproteste in vielen Teilen der westlichen Welt.

Proteste gab es aber auch hier, nur wenige Meter vom Eingang seines Geschäfts entfernt, eine halbe Stunde zuvor. Einige Dutzend Menschen versammelten sich, um für die Freilassung palästinensischer Gefangener aus israelischen Gefängnissen zum einen und für ein Ende des Gaza-Krieges zum anderen zu demonstrieren. Während viele hier gegen die „israelischen Okkupanten“ wettern, lässt ein Mann am Rande im Gespräch mit einem generellen Vorschlag aufhorchen: „Wir brauchen alle gemeinsam einen Neustart. Man hat es ja bei den Verhandlungen gesehen, es herrscht überall Misstrauen. Das muss enden, sonst wird es unser aller Ende sein.“

Die Palästinenser in Ramallah zeigen sich also ob der (momentanen) Fortführung des Krieges im Gazastreifen enttäuscht, sie verlieren den Glauben – an den Frieden, an Katar als neutralen Verhandlungspartner, viele aber auch an die Hamas-Führung. Der Jubel, den man hier in Ramallah der Hamas noch vor wenigen Wochen entgegenbrachte, ist zumindest teilweise verflogen. Zu groß ist die Sehnsucht auf ein Ende des Sterbens für die „Brüder im Gazastreifen“ und zu gering die Hoffnung, dass dies auch ein vordergründiges Interesse der Hamas sei.

2024-05-07T16:45:00Z dg43tfdfdgfd