GROßBRITANNIEN: BRITISCHE REGIERUNG SETZT UMSTRITTENES RUANDA-GESETZ DURCH

Nach langem Hin und Her beschließt das Parlament einen Pakt, der es erlaubt, Flüchtlinge nach Ruanda abzuschieben. In einigen Wochen sollen die ersten Flüge starten, sagt Premier Sunak - doch daran gibt es Zweifel.

Britische Regierung setzt umstrittenes Ruanda-Gesetz durch

Direkt hinter dem Stuhl des Sprechers im House of Commons geht es durch eine Tür, die über enge Gänge zum Büro des Chefs führt: zum Büro des Premierministers im britischen Parlament. Rishi Sunak ist nicht immer dort, er hat sein eigentliches Büro einige Straßen weiter, in No. 10 Downing Street, aber am Montagabend herrschte reger Betrieb im Unterhausbüro des Regierungschefs.

Es gab Drinks, ab 21.30 Uhr waren die Abgeordneten der Konservativen eingeladen vorbeizuschauen. Und zwar, wie auf der Einladung stand, "mit Blick auf eine möglicherweise lange und historische Nacht". Die Nacht war dann tatsächlich lang, wenn auch nicht ganz so lang wie von manchen befürchtet, sie endete offiziell um neun Minuten nach Mitternacht. Aber: historisch?

Keine einzige der vom Oberhaus gewünschten Ergänzungen kam durch

Um neun Minuten nach Mitternacht verkündete die Sprecherin des House of Lords, des Oberhauses, worauf Rishi Sunak seit fünf Monaten wartete: Das Oberhaus gibt seine Zustimmung zum "Safety of Rwanda Bill", dem sogenannten Notfall-Gesetz, mit dem Sunaks Regierung dafür sorgen will, dass Großbritannien Flüchtlinge nach Ruanda ausfliegen kann. Es war das Ende eines Showdowns nach monatelangem Gezerre zwischen den beiden Kammern, bei dem sich Sunaks Regierung durchsetzte.

Zehn Ergänzungen hatte das Oberhaus eigentlich einbringen wollen, übrig blieb am späten Montagabend zunächst noch eine, die besagt hätte, dass das Innenministerium erst eine unabhängige Kommission beauftragen muss, ehe es Ruanda zum sicheren Drittland erklären darf. Kurz nach Mitternacht war auch dieser Passus verschwunden.

Langes Hin und Her zwischen Unterhaus und Oberhaus

Jedes Parlament habe ja seine seltsamen und mitunter altertümlichen Vorgehensweisen, sagt ein langjähriges Mitglied des Oberhauses beim Hintergrundgespräch mit der SZ in der Teestube des House of Lords vorvergangene Woche, "aber unsere gehören zu den schlimmsten". Er habe auch schon hier geschlafen, erzählt der über achtzigjährige Lord, obwohl die Abteilung für Sicherheit und Gesundheit im Parlament das eigentlich nicht gerne sehe.

Nach dem üblichen Prozedere im britischen Parlament muss ein Gesetzesvorschlag, der im Unterhaus mehrheitlich verabschiedet wird, vom Oberhaus abgesegnet werden. Meist bittet das Oberhaus um Änderungen oder Ergänzungen, über die das Unterhaus dann wieder abstimmt, so geht es mehrmals hin und her, weshalb der Prozess auch Pingpong genannt wird. Normalerweise dauert dieser Vorgang höchstens ein paar Wochen, die Regierung nimmt den einen oder anderen Vorschlag an, es kommt zu Kompromissen und schließlich zu einem Gesetz, mit dem beide Kammern leben können. Aber, sagt der Lord und seufzt, "wir haben es hier mit einer Regierung zu tun, für die 'normalerweise' nicht gilt".

Sunaks Tories lehnten stur jede Bitte um Änderung der Lords ab, während die Lords ihrerseits stur weiterhin den Gesetzestext des Unterhauses ablehnten. Damit kam es zu einem letzten Abend, einer letzten Nacht, in der die beiden Kammern das Pingpong im Vier-Stunden-Rhythmus so lange betreiben mussten, bis eine Einigung vorlag, notfalls bis in die frühen Morgenstunden. Fans von altertümlichen Vorgehensweisen wiesen am Montag darauf hin, dass dies eine seltene Kuriosität zur Folge haben könnte: Für das Unterhaus sei dann laut offiziellem Kalender immer noch Montag, während der Rest des Landes bereits den Dienstag begonnen hätte.

Afghanische Flüchtlinge, die das Militär unterstützt haben, werden nicht ausgeflogen

Immerhin in einer Sache gaben Sunaks Minister zwar nach: Sie erfüllten die Forderung des Oberhauses, dafür zu sorgen, dass afghanische Flüchtlinge, die das britische Militär unterstützt haben, nicht ausgeflogen werden können. Ansonsten aber blieb das Unterhaus bei seiner Version, gemäß dem Prozedere blieb dem Oberhaus damit irgendwann nichts anderes übrig, als dem Wunsch der gewählten Kammer zu entsprechen. Das Gesetz wird fast so, wie es ursprünglich aussah, voraussichtlich noch an diesem Dienstag die "Royal Assent" bekommen, die Zustimmung des Königs.

Eine "laute Minderheit" habe versucht, das Ruanda-Gesetz aufzuhalten, sagte Sunak am Montag, er bezog sich dabei insbesondere auf die Labour Lords im Oberhaus. Dabei haben die Konservativen eine klare Mehrheit im Oberhaus, und: Die Labour Lords mussten sich ihrerseits Kritik aus den Reihen der Opposition gefallen lassen dafür, dass sie sich letztlich enthielten. Tatsächlich ist das die für Labour übliche Haltung; man wolle am Ende nicht entscheidend in den Wunsch der gewählten Kammer eingreifen, sagte ein Sprecher der Partei, auch in diesem Fall nicht. Zumal: Nicht wenige Labour Lords hätten gar nichts dagegen, wenn das Gesetz käme - und dann zeige, dass es nicht funktioniere, sagt der Lord beim Hintergrundgespräch.

Der erste Flieger soll in zehn bis zwölf Wochen abheben

Zu dem Prozedere war es überhaupt erst gekommen, weil der Oberste Gerichtshof eingeschritten und Sunaks Regierung untersagt hatte, Flüchtlinge nach Ruanda auszufliegen - wegen der Bedenken, die Flüchtlinge seien in dem afrikanischen Land nicht sicher. Das eilig entworfene Gesetz erklärt Ruanda nun zum sicheren Drittstaat, lässt aber immerhin zu, dass Betroffene klagen dürfen, wenn es "ernst zu nehmende Gründe" gebe, die dagegen sprechen. Etwa eine zu erwartende Verfolgung in Ruanda. Menschenrechtsverbände und Anwälte lassen seit Wochen keinen Zweifel daran, die Ausweisung jedes einzelnen der einige Hundert zählenden Flüchtlinge legal zu bekämpfen, die von der Regierung auf einer Liste zusammengefasst wurden.

In zehn bis zwölf Wochen sollen die ersten Flüge nach Ruanda abheben, das hatte Sunak bei einer Pressekonferenz am Montagnachmittag gesagt. Weitere Einzelheiten wollte er nicht nennen, allerdings sind bereits mehrere Details bekannt geworden, die zeigen, wie schwierig die Umsetzung von Sunaks vermeintlich "historischem" Plan sein dürften.

Der Fünf-Jahres-Vertrag mit Ruanda kostet die britische Regierung 370 Millionen Pfund

Mehrere Fluggesellschaften, darunter auch die staatliche Rwand Air, haben abgelehnt, die Flüge für die Regierung zu übernehmen. Nach einer Untersuchung der Kontrollstelle für Regierungsausgaben belaufen sich die Kosten für das sogenannte Rwanda Scheme auf mehr als eine halbe Milliarde Pfund - selbst für den Fall, dass am Ende niemand ausgeflogen wird, verpflichtet der Fünf-Jahres-Vertrag mit Ruanda die britische Regierung zu einer Zahlung von 370 Millionen Pfund. Wie die Kontrollstelle ausrechnete, würden für jeden der ersten 300 Flüchtlinge 1,8 Millionen Pfund fällig, fast 2,1 Millionen Euro.

Es gebe keinen Zweifel, dass die Ruanda-Flüge das richtige Mittel seien, um sein Ziel "Stop the Boats" zu erreichen, sagte Sunak am Montag. Den Versuch, die über den Ärmelkanal nach Großbritannien Flüchtenden von der lebensgefährlichen Überquerung abzuhalten, hat Sunak zu einem zentralen Wahlversprechen gemacht.

Dass die Maßnahme tatsächlich die gewünschte Abschreckung bringt, daran gibt es erhebliche Zweifel. Journalisten der BBC besuchten vor ein paar Tagen eines der Flüchtlingscamps in Dunkirk in Nordfrankreich, wo ihnen mehrere Geflüchtete sagten: Es sei ihnen völlig egal, ob sie nach Ruanda ausgeflogen würden oder nicht.

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