INTERVIEW: EHEMALIGER US-GENERAL WESLEY CLARK: „IN DER VERGANGENHEIT HAT ISRAEL IMMER ZURüCKGESCHLAGEN“

Der Vier-Sterne-General glaubt nicht, dass die USA Israel bei einem militärischen Angriff auf den Iran unterstützen werden. Er fordert im Interview, die Zivilisten aus Gaza zu holen und schildert die Folgen des Nahost-Konflikt für die Ukraine.

Der Vier-Sterne-General Wesley Clark, der 1999 die Nato-Streitkräfte im Kosovo befehligt hat, ist überzeugt, dass die USA ihren Alliierten Israel bei einem Vorgehen gegen den Iran nicht unterstützen werden. Er mahnt auch, dass Israel den Krieg gegen die Hamas nur gewinnen kann, wenn die Zivilisten aus dem Land geholt werden. Westliche Unternehmen könnten helfen, Camps zu errichten und den Gazastreifen später wieder aufzubauen.

Lesen Sie hier das vollständige Interview mit Wesley Clark:

Herr Clark, nach dem Angriff aus dem Iran drängt die US-Regierung auf Diplomatie, um eine Eskalation zu vermeiden. Ist das der richtige Schritt?Aus amerikanischer Sicht ist es sicherlich der richtige Schritt. Für Israel wäre es eine große Umstellung, nicht zurückzuschlagen. In der Vergangenheit hat Israel immer zurückgeschlagen, und das härter. Manchmal nicht sofort, manchmal sofort. Warum sollte Israel das jetzt nicht tun? Nachdem der Iran zurückgeschlagen und für das nächste Mal ernstere Konsequenzen angedroht hat? Das bedeutet eine große Belastung für die Vereinigten Staaten.

Welche Rolle spielen Atomwaffen?Hat der Iran bereits seine Atomwaffen? Er baut sie auf jeden Fall. Kann er schon eine Atomwaffe einsetzen? Und wenn er das noch nicht kann, wird Israel dann das Risiko eingehen und die iranische Atomwaffenkapazität jetzt zerstören?

Ehemaliger US-General Clark glaubt nicht an Hilfe der US-Armee

Sollten sie das?Die meisten in Israel glauben, dass sie es ohne amerikanische Hilfe nicht schaffen können. Und Amerika hat Nein gesagt, nicht nur jetzt, sondern immer wieder. 1981 griff Israel den Osiris-Reaktor im Irak an und schaltete Saddam Husseins Nuklearkapazität aus. Im Jahr 2007 schlug Israel in Syrien zu und zerstörte einen Reaktor. Dass Israel nicht zurückschlägt und nicht versucht, direkt etwas gegen die iranische Nuklearkapazität zu unternehmen, ist also eine große Veränderung.

Was ist die Alternative zu einem harten Militärschlag?Wenn Israel indirekt durch Sabotage, Subversion oder Cyberangriffe zuschlagen und wirklich etwas bewirken kann, ist das vielleicht eine Alternative. Aber das garantiert nicht, dass es in diesem Fall keine iranische Antwort geben wird.

Welche Art von Angriff wären die USA Ihrer Meinung nach bereit, aktiv zu unterstützen?Ich glaube nicht, dass die USA bei irgendeinem Angriff helfen werden. Die Leute in dieser Regierung sind die gleichen Leute, die auch in der Obama-Regierung gearbeitet haben. Präsident Obama reiste 2007 nach Israel und versprach, dass der Iran niemals eine Atomwaffe haben würde. Obamas Idee war, dies auf diplomatischem Wege zu tun. Und er tat sein Bestes mit dem „Joint Comprehensive Program of Action“. Damit legitimierte er aber Putin, er öffnete die Tür für Putins Wiedereintritt in den Nahen Osten und Putins Aggression in der Ukraine. Selbst als es an der Zeit war, Putin zu sagen, er solle nicht auf der Krim einmarschieren. Die Amerikaner und die Deutschen sagten der Ukraine: Lasst sie die Krim haben, wir wollen Putin nicht provozieren.

Wegen des Irans?Ich denke, das war ein wichtiger Faktor. Und jetzt, zehn Jahre später, finden wir uns tief verstrickt in diesem schrecklichen Krieg in der Ukraine wieder und hoffen, dass die Ukrainer den Kampf der Nato für sich entscheiden werden, und fürchten das Ergebnis, wenn die Ukraine zerbricht.

Nahost-Konflikt „ist eine schlechte Nachricht“ für die Ukraine

Was bedeutet dieser neue Fokus auf Israel für die Ukrainer und den Krieg dort?Das ist eine schlechte Nachricht. Es ist eine Ablenkung von der Last, der Ukraine zu helfen. Die Schlagzeilen drehen sich jeden Tag um Israel, um den Iran. Die Öffentlichkeit ist also abgelenkt, und damit sind auch die Regierungen abgelenkt. Und dann ist da noch das Problem des Munitionsbestandes. Die Israelis schätzen, dass sie Munition im Wert von einer Milliarde Dollar verbraucht haben, um diesen letzten iranischen Angriff zu zerstören. Und es ist nur eine bestimmte Anzahl von Raketen und Flugkörpern verfügbar. Diese Raketen und Flugkörper müssten in der Ukraine sein.

Was denken die Ukrainer?Sie können sicher sein, dass die Ukrainer, die in Charkiw den Strom komplett verloren haben und in Kiew auf Notstromaggregate angewiesen sind, sich die Ergebnisse ansehen und sagen: Warum? Warum? Warum habt ihr uns nicht geholfen, als wir in eurem Kampf für Freiheit und Demokratie kämpften?

Was muss getan werden?Es ist an der Zeit, die westliche industrielle Basis wirklich zu mobilisieren. Der beste Weg, einen Krieg zu verhindern, ist, sich auf ihn vorzubereiten. Putin wird nicht aufgeben. Und sein Ziel hat sich nicht geändert. Wenn wir ihn gewähren lassen, könnte er sich Moldawien, vielleicht Georgien, vielleicht Kasachstan und Teile Polens einverleiben. Was bedeutet das für die Nato? Wird es überhaupt noch eine Nato geben, wenn die Nato sich nicht wehrt? Warum dauert es so lange, bis Deutschland seine Panzer repariert? Warum kann Deutschland nicht mehr Taurus-Raketen produzieren? Warum haben wir nicht mehr Patriot-Raketen? Das ist in meinen Augen unerklärlich und nicht zu rechtfertigen.

Ehemaliger US-General: Israels Priorität ist, die Hamas zu erledigen

Zurück zu Israel. Was bedeutet diese ganze neue Situation für den Krieg gegen die Hamas?Wenn Israel gegen den Willen der Vereinigten Staaten und ihrer arabischen Nachbarn den Iran angreift, wird es dann noch mehr diplomatischen Widerstand gebe? Ich denke ja. Die erste Priorität ist es, die Hamas zu erledigen. Manche sagen, das sei nicht machbar, aber aus Sicht der Israelis muss es gemacht werden.

Ist der Krieg gegen die Hamas denn aus militärischer Sicht zu gewinnen?Er kann gewonnen werden, wenn bestimmte Maßnahmen ergriffen werden. Von Anfang an haben ich und andere gesagt, dass man die Zivilbevölkerung aus dem Gazastreifen herausholen muss. Okay, es sind zwei Millionen Menschen. Dann errichten Sie eben eine Vielzahl von Lagern. Schafft die Zivilisten aus dem Weg! Lassen Sie die Hamas so lange in Gaza bleiben, wie sie will. Und dann kann man sie zerstören und die Menschen zurückbringen. Wenn man die Situation so belässt, wie sie ist, ist sie nur noch tragischer.

Wo hätten Sie diese Lager untergebracht?In Ägypten und Israel. Schauen Sie sich an, was in der Ukraine passiert! Da gibt es viele europäische Länder und ihre Unternehmen, die sagen: Lasst uns helfen, die Ukraine wieder aufzubauen, gebt uns das Geld, wir werden es wieder aufbauen. Deutsche, Franzosen. Alle wollen der Ukraine helfen. Sie würden bestimmt auch gern beim Bau von Flüchtlingslagern und beim Wiederaufbau des Gazastreifens helfen. Aber dafür braucht es eine fähige Führung.

Erwarten Sie, dass Israel Rafah angreifen wird?Ja.

Erwarten Sie, dass sie die Zivilisten vorher rausholen?Es sei denn, es werden außergewöhnliche Maßnahmen ergriffen, nein.

Welche Ratschläge oder Forderungen haben Sie an die deutsche Regierung?Erstens: Danke für die Entsendung einer zusätzlichen Patriot-Batterie in die Ukraine. Zweitens: Geben wir ihnen die Langstreckenraketen, die sie brauchen, um die russische Logistik zu zerschlagen. Wir können nicht einem angegriffenen Land, das um seine Existenz kämpft, sagen, dass es nicht zum guten Ton gehört, den Gegner in seinem eigenen Land anzugreifen. Jeder hat Angst vor Eskalation und Provokation. Aber das ist die Essenz des Kalten Krieges, in dem wir uns gerade befinden. Wenn wir nicht mit einer größeren Mobilisierung konfrontiert werden wollen, müssen wir uns dafür einsetzen, dass die Ukraine gewinnt. Und niemand hat ein größeres Interesse daran als Deutschland. Denn Deutschland wird wieder zehn Millionen Flüchtlinge aufnehmen. Auf Deutschland wird Druck ausgeübt werden, die Sozialausgaben zu kürzen und in die Verteidigung zu investieren. Und diese deutsche Regierung wird nicht überleben, wenn sie sich nicht der Realität stellt.

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