JETZT KOMMT BEWEGUNG IN DIE EU-MILITäRHILFE FüR DIE UKRAINE

In den USA gibt es grünes Licht für milliardenschwere Ukraine-Hilfen – nun muss auch Europa liefern. Die EU-Außenminister suchen in ihren Beständen händeringend nach Waffen, die sie Kiew liefern können. Das ist auch eine Chance für Kanzler Scholz.

Es herrschte viel Pathos am Montag in Luxemburg. Überschwänglich lobte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) die Entscheidung des US-Repräsentantenhauses zu neuen Militärhilfen für die Ukraine. „Das ist nicht nur ein guter und wichtiger Moment für die Ukraine, sondern das ist auch ein wichtiger Moment für die Sicherung der europäischen Friedensordnung“, sagte sie bei einem Treffen der EU-Außenminister in Luxemburg. Man habe endlich die Situation erreicht, in der „die Herzen der beiden wichtigsten Ukraine-Unterstützer, der Europäer und der Amerikaner, wieder im gleichen Takt schlagen“, betonte Baerbock.

Hintergrund der Äußerungen ist ein Beschluss des US-Repräsentantenhauses vom vergangenen Wochenende, das mit überparteilicher Mehrheit ein lang erwartetes Hilfspaket in Höhe von 61 Milliarden Dollar (rund 57 Milliarden Euro) verabschiedet hatte, wozu auch dringend benötigte Waffenlieferungen zur Verteidigung der Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen Russland gehörten.

Ein erfahrener EU-Diplomat, der nicht genannt werden wollte, sagte dann aber hinter vorgehaltener Hand, was Baerbock lieber nicht erwähnte. „Der Beschluss aus Washington ist sehr wichtig. Es fehlt jedoch weiterhin eine langfristige Strategie, wie der Westen die Ukraine unterstützen will. Die US-Administration erwartet nun, dass die Europäer sich bei dem Krieg vor ihrer Haustür deutlich mehr engagieren.“

In Brüssel ist unklar, ob nach den jüngsten US-Finanzhilfen in Zukunft überhaupt noch weitere Pakete folgen werden. „Das gilt unabhängig davon, wer der nächste US-Präsident sein wird“, sagt der Diplomat. Bei aller Begeisterung über die Einigung in Washington wissen die Europäer nun auch: Es gibt keine Ausreden mehr, jetzt müssen sie liefern.

Der Druck auf Europa steigt. Dies könnte auch eine Chance für Kanzler Olaf Scholz (SPD) sein, sich neben dem britischen Premierminister Rishi Sunak als europäischer leader zu zeigen. Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron wird diese Rolle nicht mehr zugetraut.

Das Problem der Europäer bei der weiteren Unterstützung der Ukraine: Große EU-Länder wie Italien und Frankreich sind so klamm und überschuldet, dass sie kaum Ressourcen haben und der politische Wille fehlt, die Ukraine mit den notwendigen Milliardenzahlungen weiter zu unterstützen.

Die Munitionsbestände sind zudem in den meisten europäischen Ländern so knapp, dass sie im Falle eines Krieges häufig nur für drei Tage ausreichen würden. Hinzu kommt, dass zahlreiche Länder nicht noch mehr Waffen abgeben wollen, um ihre eigene Verteidigungsfähigkeit und die von Nato-Alliierten im Baltikum nicht zu gefährden.

Diesen Ländern – dazu gehört neben Frankreich, Italien, Spanien und der Türkei auch Deutschland – versuchte Nato-Chef Jens Stoltenberg in der vergangenen Woche den Wind aus den Segeln zu nehmen. Er machte deutlich, dass er die entschlossene Unterstützung der Ukraine in der aktuellen Situation für wichtiger hält als das Erfüllen von Bündniszielen beim Vorhalten von Munition und Waffen. Es sei aktuell wichtiger, möglichst viel Hilfe an die Ukraine zu senden als die Fähigkeitsziele der Nato zu erfüllen.

Die Klartext-Rede von Nato-Chef Stoltenberg half auch Baerbock. Die Ministerin versuchte am Montag in Luxemburg erneut, in zahlreichen informellen Gesprächen mit ihren Kollegen für die Bereitstellung von Luftverteidigungssystemen zu werben. Berlin hatte jüngst eine Initiative zur Lieferung von zusätzlichen Flugabwehrraketen an die Ukraine gestartet, die mittlerweile auch von Tschechien, den Niederlanden und Dänemark unterstützt wird.

Baerbock bat dem Vernehmen nach die EU-Partner in Luxemburg noch einmal eindringlich, zu prüfen, was noch geliefert werden könne. Konkrete Ergebnisse sind noch nicht zu verzeichnen. Diplomaten sagten aber, in die Sache komme allmählich Bewegung. „Wir brauchen mehr Munition. Wir brauchen mehr Raketenwerfer. Raketen ohne Abfangjäger – das ist sinnlos“, sagte EU-Chefdiplomat Josep Borrell.

Noch vor dem Sommer sollen jetzt die ersten F16-Kampfjets aus Dänemark in der Ukraine eintreffen. Die Niederlande wollen künftig sogar 24 statt bisher 18 F-16 liefern. Auch wenn die F-16 letztlich wenig gegen die gefürchteten schweren Gleitbomben der Russen ausrichten können und nach Ansicht von Experten möglicherweise zu spät kommen, können sie nützlich sein. Während die Europäer aber immer noch debattieren, sind die russischen Streitkräfte offenbar schon seit Monaten damit beschäftigt, sich auf die Lieferung der F -16 vorbereiten: Sie positionieren bereits ihre Radarsysteme und S-400 Raketen entsprechend.

Tschechien organisierte 800.000 Granaten

In puncto Munition wollen die Europäer jetzt nach anfangs erheblichen Versäumnissen Gas geben. Bis Jahresende sollen mehr als Million Artilleriegeschosse in Europa produziert werden, hinzu kommt Munition aus US-Produktion. Außerdem konnte Tschechien insbesondere in Serbien und der Türkei 800.000 Granaten des Kalibers 155 Millimeter auftreiben. 500.000 davon haben die EU-Länder Tschechien bereits abgekauft, der Rest dürfte bald folgen.

Insgesamt könnten in diesem Jahr rund drei Millionen Artilleriegeschosse an Kiew geliefert werden, während Russland 2024 mindestens über fünf bis sechs Millionen Schuss verfügt. „Im Jahr 2025 werden die Produktionskapazitäten in der EU sogar auf zwei Millionen erhöht. Das bedeutet eine Vervierfachung im Vergleich zu vor Beginn des Krieges“, sagte der Chef des EU-Militärausschusses, Robert Brieger, WELT.

Die Ukraine braucht zudem dringend Flugabwehrsysteme. Washington hat bisher von rund 60 eigenen Patriot-Batterien nur eine einzige zur Verfügung gestellt, Deutschland liefert drei von seinen zwölf Systemen. Mehrere EU-Länder besitzen Patriot-Raketen, darunter die Niederlande, Spanien, Rumänien, Polen und Schweden. Laut Militärkreisen in Kiew sind rund 25 Systeme notwendig. Aber noch überwiegt die Zurückhaltung.

Die niederländische Außenministerin Hanke Bruins Slot sagte in Luxemburg: „Wir sehen uns noch einmal an, ob wir unseren Vorrat, den wir noch haben, aufbrauchen können, aber das wird schwierig sein.“ Auch Schwedens Verteidigungsminister Pål Jonson erklärte, „im Moment konzentrieren wir uns auf die finanziellen Beiträge“. In der EU geht die Suche nach Waffen mit Hochdruck weiter. Beim nächsten Treffen der Kontaktgruppe zur Verteidigung der Ukraine (Ramstein-Format), seien, so hieß es, „Überraschungen nicht ausgeschlossen“.

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