NAHOST-KONFLIKT: STUDENTEN BELAGERN PARISER ELITEHOCHSCHULE

Im Pariser Quartier Latin ist schon von Weitem der Schlachtruf „Israel Mörder“ zu hören. Auf der Rue Saint-Guillaume, der schmalen Straße zwischen dem Haupteingang der berühmten Elitehochschule Sciences Po und der gegenüberliegenden Unibuchhandlung, sitzen am Freitagnachmittag Studenten auf dem Asphalt.

Sie skandieren Sprüche vom freien Palästina, das „vom Fluss bis zum Meer“ reichen soll, Israel also von der Landkarte radiert. Ihr Gesicht haben viele mit Masken und Palästinensertüchern verdeckt, einige schwenken Palästina-Flaggen in den panarabischen Farben schwarz, weiß, rot und grün. Die Eingangstüren der 1871 gegründeten Grande Ecole sind mit Mülleimern und Sperrmüll barrikadiert. Der gesamte Studienbetrieb ist unterbrochen.

Weil Sciences Po nicht irgendeine Hochschule ist, sondern die Kaderschmiede der Führungsklasse Frankreichs, war die Belagerung am Wochenende Gegenstand der politischen Debatte. Premierminister Gabriel Attal bedauerte das „traurige und schockierende Schauspiel“ der Blockade. „Es wird niemals ein Recht auf Blockade geben, niemals Toleranz gegenüber der Aktion einer aktiven und gefährlichen Minderheit, die versucht, unseren Studenten und Professoren ihre Regeln aufzuzwingen“, sagte der Premierminister. Attal ist selbst ein Absolvent der Eliteschmiede.

Kritik an Elitehochschule

Ihren Ruf als Sprungbrett zur Macht verdankt die Hochschule berühmten Studenten wie den Präsidenten Jacques Chirac, Nicolas Sarkozy, Francois Hollande und Emmanuel Macron. Das Auswahlverfahren ist noch immer sehr selektiv, aber inzwischen werden je nach Einkommen der Eltern Studiengebühren von bis zu 15.000 Euro jährlich erhoben.

Seit dem Skandal um den langjährigen Stiftungspräsidenten Olivier Duhamel, der seinen Stiefsohn jahrelang sexuell missbraucht hat, steht die Hochschule in Negativschlagzeilen. Statt den versprochenen Neuanfang zu verkörpern, musste Direktor Mathias Vicherat unter dem Verdacht häuslicher Gewalt gegen seine Lebensgefährtin im März den Hut nehmen. Der Spitzenbeamte Jean Bassères soll jetzt als Interimsverwalter einen neuen Direktor finden.

„Für Sciences Po muss man sich leider schämen“, äußerte die ehemalige Verfassungsrichterin und Europaministerin Noelle Lenoir. Die Sciences Po-Leitung habe der Mode des Wokism nachgegeben, analysierte der Politikwissenschaftler Stéphane Rozès. „Im Namen unterdrückter Minderheiten wird auch Antisemitismus gerechtfertigt“, sagte Rozès. „Sciences Po Paris ist zur Karikatur des amerikanischen Liberal Arts College verkommen, das Philip Roth mit allen seinen Verwerfungen und seiner Engstirnigkeit beschrieben hat“, meinte die Abgeordnete Astrid Panosyan-Bouvet von Macrons Präsidentenpartei Renaissance.

Linkspartei LFI unterstützt Demonstranten

Den Philosophen Raphael Enthoven empörte besonders, dass sich etliche Studenten beim Sit-in die Handinnenflächen mit roter Farbe beschmierten. Sie schwenkten die blutig wirkenden Hände, ließen sich fotografieren.

Enthoven erinnerte daran, dass sie mit dieser Geste an den grausamen Lynchmord an zwei israelischen Reservisten in Ramallah aus dem Jahr 2000 anknüpfen. Einer der Mörder streckte damals triumphierend seine blutigen Hände aus dem Fenster. Der Vorsitzende des Palästina-Komitees an Sciences Po, der 19 Jahre alte Hubert Launois, sagte im Fernsehsender BFM, das Symbol „könne schockieren“. Er wies den Vorwurf zurück, Antisemitismus zu befördern: „Wir haben ein Problem mit der kolonialen und völkermörderischen Politik der rechtsextremen israelischen Regierung.“

Beifall erhalten die propalästinensischen Studenten von der Linkspartei LFI. Der dreimalige Präsidentschaftskandidat Jean-Luc Mélenchon nahm eigens eine Videobotschaft für die Demonstranten auf: „Die Jugend von Sciences Po ist die Ehre unseres Landes angesichts des Völkermords“.

Gleich fünf LFI-Abgeordnete mischten sich mit blau-rot-weißer Schärpe unter die Studenten. Die franko-palästinensische Anwältin Rima Hassan verschaffte sich mit einem Megafon in der Menge Gehör. Die 31 Jahre alte Frau, die in einem palästinensischen Flüchtlingslager in Syrien aufwuchs, kandidiert bei den Europawahlen für LFI. Sie beschrieb Israel als Apartheidstaat. Auf der Plattform X stachelte sie „zum Aufstand“ an. Ein anderer LFI-Abgeordneter, Thomas Portes, kommentierte das Polizeiaufgebot: „Die faschistischen Milizen machen Auftragsarbeit für die völkermörderische israelische Regierung.“

Der Sciences Po Interimsverwalter verhandelte lieber mit den propalästinensischen Studentenführern, als das staatliche Gewaltmonopol auszuschöpfen. Kurz vor Mitternacht räumten die Besetzer freiwillig Gebäude und Straße. Die Leitung hatte ihnen zugesichert, von disziplinarischen Maßnahmen abzusehen.

Die Straflosigkeit gilt auch für die vorangegangenen Blockaden und Proteste, die den Studienbetrieb im April gestört haben, wie der Interimsdirektor in einem Kommuniqué schreibt. Er verspricht eine „Townhall Diskussion“ über alle Fragen mit den propalästinensischen Studenten. Diese haben gefordert, mit israelischen Universitäten und Hochschulen nicht mehr zusammenzuarbeiten.

Der rechtsbürgerliche Fraktionsvorsitzende im Senat, Bruno Retailleau, hält das für eine Kapitulationserklärung. Retailleau sieht ein gefährliches Bündnis am Werk: Linksextreme und Islamisten. Die Hochschule sei vor diesen „Islamogauchistes“ in die Knie gegangen, die das Studium von Tausenden anderen mit Pro-Hamas-Slogans und antisemitischen Gedankengut behinderten, so der Fraktionschef. Der Vorsitzende des Dachverbands der jüdischen Institutionen in Frankreich (CRIF), Yonathan Arfi, beklagte „ein Klima des intellektuellen Terrors“, unter dem insbesondere jüdische Studenten litten. Der gesamte Campus werde als Geisel genommen.

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