SACHSENS VIZE-MP: "EIN SOLCHES VERHALTEN DER CDU WIRD FOLGEN HABEN"

Wolfram Günther, Sachsens Vize-Regierungschef und Argrarminister von den Grünen, zum Koalitionsbruch und höheren Hürden für eine mögliche Neuauflage des Regierungsbündnisses.

Herr Günther, Ihr Regierungspartner CDU hat jetzt im Landtag ein mit den Grünen festvereinbartes Projekt gekippt: das Agrarstrukturgesetz. Das ist doch ein offener Koalitionsbruch?

Das ist ein klarer Bruch des Koalitionsvertrages. Das Gesetz ist im Vertrag vereinbart, es ist in Dutzenden Runden verhandelt, zweimal im Kabinett beschlossen und danach weiter verhandelt worden. Jedes Komma wurde abgewogen, gemeinsam mit den Verbänden. Eine Zeitlang gab es sogar einen gemeinsamen Willen der Koalition, denn es gibt ein reales Problem: Finanzinvestoren und Lebensmittelkonzerne kaufen den Landwirten zu Mondpreisen den Acker weg. Die CDU lässt das Gesetz jetzt auf der Zielgeraden scheitern. Sie verhindert, dass wir den Ausverkauf der Landwirtschaft stoppen.

Wie werden die Grünen auf diesen Bruch des Koalitionsvertrages reagieren. Noch ist bis zur nächsten Landtagswahl ja noch Zeit und sie regieren vorerst mit der CDU weiter?

Wir werden auf diesen Bruch des Koalitionsvertrags nicht mit einem Koalitionsbruch reagieren. Wir bleiben vertragstreu. Im Gegensatz zur CDU sind wir nämlich davon überzeugt, dass ein Land nicht mehr regierbar ist, wenn man sich in einer Koalition nicht mehr an die vereinbarten Regeln hält. Diese schleichende Demokratiezerstörung werden wir nicht mitmachen.

Sind die Grünen in der Sachsen-Koalition aber auch nicht zu schwach, um sich bei einem solchen wichtigen Punkt noch gegen die CDU durchzusetzen?

Wenn in einer Koalition drei Partner zustimmen müssen – zum aktuellen Regierungsbündnis gehört ja auch die SPD –, kommt es nicht auf die Größe an. Alle drei werden für eine Mehrheit gebraucht und alle drei haben sich an die Regeln und an einmal Vereinbartes zu halten. Schwach ist der, der Vereinbarungen und Regeln bricht. Die CDU schließt einen Koalitionsvertrag, erklärt den Menschen im Land, dafür stehen wir, und macht am Ende etwas ganz anderes. Das schadet nicht uns, das schadet dem Vertrauen in die Demokratie.

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Am Kabinettstisch hatten Sie sich mit CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer bereits geeinigt, gekippt hat das Gesetz jetzt die CDU-Fraktion im Landtag. Hat sich bei den Christdemokraten das innere Machtverhältnis verschoben?

Da legen Sie den Finger in eine sehr offenkundige Wunde. Tatsächlich ist es mittlerweile so, dass man aus der CDU heute keine intern abgestimmte Haltung mehr bekommt. Im Wahlkampf hatte der Ministerpräsident beispielsweise mehr Bürgerbeteiligung und einen Volkseinwand gefordert, jetzt sagt die CDU-Fraktion im Landtag dazu einfach nein.

Das Gleiche trifft auf angekündigte Verfassungsänderungen zu, für den Klimaschutz etwa oder den notwendigen Umbau unserer Schuldenbremse. Nichts davon kommt. Man weiß heutzutage einfach nicht mehr, woran man ist bei dieser CDU. Das muss man nicht nur als Koalitionspartner, sondern auch als Bürger zur Kenntnis nehmen.

Noch stehen gut vier Monate gemeinsame Regierungszeit an. Kann die Koalition so weitermachen oder wäre es besser, schon jetzt zu sagen, wir hören auf, zusammen politisch zu handeln?

Wenn eine Regierung in einem Wahljahr ihre Geschäfte aussetzen würde, würden die Probleme in unserem Land nicht kleiner, sondern größer werden. Das wäre ein Versagen der Demokratie. Wenn jetzt ein Koalitionspartner ausschert, ist das hochgefährlich. Sachsens CDU macht schon seit der letzten Bundestagswahl Komplett-Opposition zum Bund.

Jetzt ist sie bei Opposition gegen die eigenen Koalitionspartner angekommen. Dazu die ständige Schwarzmalerei und die Horrorszenarien über die Zustände in Deutschland. Das beschädigt das Grundvertrauen in die Demokratie. Ein solches Verhalten der sächsischen Christdemokraten ist nicht stark. Es wird dem Anspruch einer Regierungspartei nicht gerecht.

Die Sachsen-CDU als Wortbrecher und Schlechtredner? Wie groß ist die Gefahr, dass ihre Parteimitglieder nach der Landtagswahl mögliche neue Koalitionsgespräche mit der CDU ablehnen?

Es gibt eine neue Situation. Bisher stand die CDU für Vertragstreue. Die CDU war einmal absprachefest. Das war mal die DNA dieser Partei. Und das war das Fundament, auf dem wir bisher zusammengearbeitet haben. Dieses Fundament ist jetzt nicht mehr vorhanden.

Und das bedeutet?

Zunächst entscheiden am 1. September die Wählerinnen und Wähler. Dazu haben wir Bündnisgrüne eine ganz klare Haltung: Wir stehen in diesem Land bereit, Verantwortung zu übernehmen. Die Probleme in Sachsen werden doch nicht einfacher. Deshalb wird ein solches Verhalten der CDU Folgen haben, sollten wir nach der Wahl wieder über einen gemeinsamen Koalitionsvertrag verhandeln. Die Zweifel, dass man sich dann auf Vereinbarungen nicht mehr verlassen kann, sind jetzt da. Und eigentlich fährt die Politik mit Koppelgeschäften, bei denen man Dinge verknüpft, die nichts miteinander zu tun haben, nicht besonders gut.

Doch durch das Verhalten der CDU sehe ich für die Zukunft genau dieses Risiko. Das macht das Regieren aber nicht einfacher und weniger sachgemäßer. Wenn also die CDU nicht zu einer neuen Handschlagfestigkeit und Vertragstreue kommt, könnte eine neue Koalition so aussehen, dass immer wieder nur einzelne Pakete neu zusammengeschnürt werden. Das ist nicht im Sinne der Demokratie und der Lösung der Probleme. Möglicherweise wird es aber das einzige Instrument sein, um überhaupt noch zusammenzuarbeiten.

Der politische Preis für eine Neuauflage der Zusammenarbeit von Grünen und CDU ist also gerade deutlich gestiegen?

Gut funktionierende Koalitionen leben davon, sich Dinge gegenseitig zu gönnen, damit die einzelnen Parteien mit ihren politischen Kernprogramm auch liefern können. Wenn das aber nicht mehr möglich ist, steigt der politische Preis, weil eben Dinge wie angesprochen miteinander verkoppelt werden. Ich halte das nicht für gut, es ist aber das, wohin die CDU gerade manövriert. Am Ende heißt das, auch die Möglichkeiten einer CDU würden mit einer solchen Koalition deutlich geringer.

Das Gespräch führte Gunnar Saft.

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