„SCHLIEßE NICHTS AUS“ – MACRON HäLT AN MöGLICHEM EINSATZ VON BODENTRUPPEN FEST

Frankreichs Präsident hat dem „Economist“ ein Interview gegeben. Macron bekräftigt seine Erwägungen zum Einsatz westlicher Soldaten in der Ukraine, drängt Europa zu mehr Souveränität – und spricht über einen Deal, den er 2018 mit Angela Merkel geschlossen habe.

Es war ein Tabubruch, der im Februar eine Ukraine-Hilfskonferenz überschattete: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sprach offen aus, dass er den Einsatz westlicher Bodentruppen in der Ukraine explizit nicht ausschließt. Und er erklärte, dass sich die Europäer bei diesem Thema nicht einig seien – mal wieder, und allen voran Paris und Berlin.

In einem am Donnerstag veröffentlichten Interview mit dem Magazin „Economist“ fachte Macron die Diskussion neu an. „Falls die Russen die Frontlinien durchbrechen und falls die Ukraine darum bittet – was bislang nicht der Fall ist –, dann müssten wir uns zu Recht diese Frage stellen“, sagte Macron über den Einsatz von Bodentruppen. Frankreich sei ein Land, das bereits mehrfach auf Bitten anderer souveräner Länder Truppen entsandt habe, etwa in den Kampf gegen Terrorismus in die Sahel-Zone.

Etwas a priori auszuschließen hieße, keine Lehren aus den vergangenen zwei Jahren gezogen zu haben, sagte Macron weiter. „Auf dem Nato-Gipfel im Sommer 2022 haben wir alle die Lieferung von Panzern, Tiefschlagraketen, Flugzeugen ausgeschlossen. Wir sind nun alle in dem Prozess, dies zu tun, also wäre es falsch, auch den Rest auszuschließen.“ Mit Tiefschlagraketen meint Macron mutmaßlich die Lieferung von Marschflugkörpern vom Typ Storm Shadow/Scalp.

„Ich schließe nichts aus, weil wir jemandem gegenüberstehen, der auch nichts ausschließt“, sagte Macron mit Blick auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin. „Unsere Glaubhaftigkeit hängt auch von einer gewissen Fähigkeit der Abschreckung ab, indem wir nicht offenlegen, was wir tun oder nicht tun werden“, sagte er weiter. Die aggressive Reaktion Russlands auf seine Ausführungen zur Entsendung westlicher Bodentruppen habe gezeigt, dass diese Haltung bereits Wirkung gezeigt habe.

Eine unmittelbare Reaktion gab es am Donnerstag bereits aus Ungarn. „Wenn ein Nato-Mitglied Bodentruppen (in der Ukraine) einsetzt, dann wäre dies eine direkte Konfrontation zwischen der Nato und Russland und damit der dritte Weltkrieg“, sagte der ungarische Außenminister Peter Szijjártó dem Sender LCI.

Strategische Ambiguität steht im Kontrast zu Scholz‘ Ukraine-Politik

Für Macron ist der mögliche Einsatz von Bodentruppen Ausdruck einer strategischen Ambiguität. Dieser Ansatz bedeutet in etwa, dass man sich nicht in die Karten schauen lässt, nichts ausschließt, keine roten Linien zieht. Das steht im Gegensatz zur Ukraine-Politik von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und der Bundesregierung. Scholz begründete seine ablehnende Haltung zur Entsendung von weitreichenden Taurus-Marschflugkörpern damit, dass der Einsatz der Taurus nur unter Beteiligung deutscher Soldaten möglich sei. Zudem listet die Bundesregierung die bisherige Unterstützung der Ukraine seit Kriegsausbruch detailliert auf.

Verwunderlich ist es angesichts dieser unterschiedlichen Denkschulen zwischen Berlin und Paris also nicht, dass Macron in dem „Economist“-Interview explizit andere Nationen lobt. „Ich begrüße heute das sehr starke Engagement, insbesondere der Kanadier und der Amerikaner, an der Seite der Briten und den Mitgliedern der EU“, sagte Macron mit Blick auf die Ankündigungen, die Staats- und Regierungschefs bei der Ukraine-Unterstützerkonferenz am 26. Februar gegeben hatten.

Zusammen habe man sich entschieden, auch in der Ukraine zu produzieren, Soldaten in der Ukraine zu trainieren, die Grenzen zu Belarus und Moldau besser zu schützen und auch die Wartung auf ukrainischem Boden durchzuführen. Zudem gebe es eine neue Koalition zur Lieferung von Raketen mit mittlerer Reichweite, sagte Macron, ohne diesen Punkt zu spezifizieren. Bekannt ist, dass die USA die Ukraine inzwischen mit ATACMS-Raketen versorgt, die bis zu 300 Kilometer weit fliegen können. Mittelstreckenraketen haben gemäß internationaler Definition eine Reichweite von mindestens 1000 Kilometern.

Ein größerer Teil des Interviews kreist um Überlegungen zu einer „strategischen Autonomie“ Europas. Vor sieben Jahren prägte Macron den Begriff zum ersten Mal in einer Rede an der Pariser Universität Sorbonne. Mit dem Krieg in der Ukraine setzt sich auch in Berlin und anderen Hauptstädten die Erkenntnis durch, dass Europa seine Sicherheit selbst in die Hand nehmen muss – bis hin zur nuklearen Abschreckung.

„Abschreckung ist der Kern der Souveränität“, sagte Macron dem „Economist“. Daher begrüße er Überlegungen aus Deutschland für einen europäischen Raketenschutzschirm, dem sich Frankreich bisher nicht angeschlossen hat, oder aus Polen, Nato-Atomwaffen in dem Land zu stationieren. „Wir Europäer müssen uns an einen Tisch setzen, um einen schlüssigen Rahmen zu schaffen“, betonte Macron. Ziel sei es, für jeden europäischen Staat eine Sicherheitsgarantie aufzubauen. Dabei sollten auch Nicht-EU-Mitglieder wie Großbritannien und Norwegen berücksichtigt werden.

Macron über Chinas Wirtschaftspolitik: „Wir wollten das nicht sehen“

Auch zu China teilte Macron seine Überlegungen. Staatspräsident Xi Jinping wird am Montag und Dienstag zu einem Besuch in Paris erwartet. Macron kündigte an, Xi zu überreden, sich für eine „olympische Waffenruhe“ während der Olympischen Sommerspiele in Paris einzusetzen. Einem entsprechenden Antrag Frankreichs hatten die Vereinten Nationen im November angenommen.

„Es ist in unserem Interesse, sicherzustellen, dass sich China für die Stabilität der internationalen Ordnung einsetzt“, sagte Macron. Russland als Destabilisator dieser Ordnung, ein ins Chaos stürzender Mittlerer Osten oder ein Iran, der sich möglicherweise mit Atomwaffen ausstatten könnte – all dies sei nicht im Interesse des heutigen Chinas. „Es muss daher mit China gearbeitet werden, um Frieden zu schaffen.“

In der Wirtschaftspolitik hingegen dürfte Macron versuchen, etwas Druck auf Xi aufzubauen. Die EU-Kommission führt derzeit eine offizielle Antisubventionsuntersuchung, weil China offenbar Überkapazitäten an subventionierten Elektroautos in den europäischen Markt drückt. Mögliche Strafzölle – auch rückwirkend – sieht vor allem die deutsche Autoindustrie kritisch, weil sie sich vor Vergeltungsmaßnahmen in China fürchtet.

„Die Amerikaner haben aufgehört zu versuchen, China an die Regeln des internationalen Handels zu binden. Sie haben selbst reagiert“, sagte Macron mit Verweis auf den Inflation Reduction Act, ein massives Subventionspaket von US-Präsident Joe Biden. „Wir Europäer wollten das nicht sehen. Das ist ein großer Fehler“, sagte Macron. Er sprach sich erneut dafür aus, dass auch Europa mit Subventionen eigene Champions in den Bereichen Elektromobilität, Windenergie oder Künstlicher Intelligenz aufbauen solle.

Macron spricht über einen Deal mit Merkel

„Europa begriff sich selbst als einen offenen Markt und lebte auch danach. Wir dachten, dass die richtige Strategie, Leute strategisch und geopolitisch an uns zu binden, der Handel ist. Russland hat uns das Gegenteil gezeigt“, sagte Macron.

Und er erinnerte an eine Abmachung, die er 2018 mit Angela Merkel getroffen habe. Mit der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel habe es einen Deal gegeben, bei dem er seine Blockade gegen Nord Stream 2 und Merkel ihre gegen die Atomkraft aufgegeben habe. Merkel stimmte 2021 auf EU-Ebene einer Einstufung von Atomkraft als grüner Technologie zu.

Vergangene Woche zeichnete Macron in einer Rede an der Sorbonne eine düstere Vision für Europa. „Europa kann sterben“, sagte er. Einen ähnlichen Ton traf er auch im „Economist“, wenn auch weniger fatalistisch.

„Wenn wir Europäer ein Gewicht in der Welt haben wollen, müssen wir erfinderischer und ehrgeiziger sein als die anderen, denn uns fehlen zwei grundsätzliche Dinge. Wir haben nicht die entsprechende Demografie und wir haben nicht die Energie“, sagte Macron. „Wir müssen unsere Anstrengungen verdoppeln. Wir müssen unsere Ambitionen verdoppeln.“ Europäer seien reicher als sie dächten, sie setzten ihr Kapital nur bisher nicht klug ein. „Es gibt einen Grund, optimistisch zu sein, wenn wir gemeinsam vorankommen.“

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