SERBIENS VERSTöRENDE ANKüNDIGUNGEN: DROHT EIN KRIEG WIE IN DEN 90ERN?

Seit einigen Monaten mehren sich verstörende Drohungen des serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic und seines wichtigsten Gefolgsmannes, Milorad Dodik, des bosnischen Serbenführers und Präsidenten des serbisch dominierten Teils von Bosnien und Herzegowina, der Republika Srpska (RS).

Kurz vor Ostern schrieb Vucic auf Instagram von „schwierigen Tagen“, die vor Serbien lägen. „Sie bedrohen direkt unser nationales Interesse – sowohl das Serbiens als auch das Srpskas (gemeint ist die RS, Anm. der Verfasser). Wir werden kämpfen. Serbien wird gewinnen.“ Nur wenige Tage später schlug Dodik vor dem Parlament der Republika Srpska in der bosnischen Serbenhochburg Banja Luka in dieselbe Kerbe und drohte mit der Sezession der Republika Srpska von Bosnien.

Seine Drohungen gegen die Bosniaken erreichten einen neuen Höhepunkt seiner sowieso schon aggressiven Rhetorik: „Bosnien ist ein Land ohne Verfassung, weil die Bosniaken mit der Hilfe der Ausländer das Land gegründet haben … Ich schlage vor, dass wir uns hinsetzen und diskutieren, wie wir auf friedfertigem Wege uns trennen können. Die Bosniaken können auf 25 Prozent des Landes leben, und das ist genug für sie, die brauchen auch nicht mehr. Es gab keinen Genozid in Srebrenica.“

Die Aussagen reihen sich in eine lange Kette von Drohungen ein, stechen aber in ihrer Klarheit und Radikalität hervor. Die in Bosnien strafbare Handlung der Völkermordleugnung vor dem Parlament der Republika Srpska in Banja Luka und die Aussage, dass die Bosniaken, die circa 55 Prozent der Bevölkerung stellen, auf einem Viertel des Territoriums leben sollen, sind Ankündigungen aus dem Kriegsdrehbuch von Dodiks Vorgänger und Vorbild Radovan Karadzic.

Er hatte 1992 mit Hilfe des serbischen Präsidenten Slobodan Milošević Bosnien mit Krieg und Genozid überzogen. Dass Vucic nun einen Teil Bosniens, die Republika Srpska, als „nationales Interesse“ Belgrads bezeichnet und somit suggeriert, dass die Republika Srpska bereits Teil Serbiens sei, ist in dieser Eindeutigkeit neu.

Zeithistorisch sind die Alarmsignale, die auf eine Wiederholung der kriegerischen Geschichte der 1990er-Jahre hinweisen, erschreckend offensichtlich: Beide, sowohl Vucics als auch Dodiks Vorgänger, kündigten Krieg und Völkermord im Fernsehen vorab an: 1989 hielt Milosevic eine Brandrede an der Gedenkstätte Gazimestan bei Pristina in Kosovo zum 600. Jahrestag der Schlacht auf dem Amselfeld. Vor mehr als einer Million nationalistisch aufgeheizter Serben kündigte er „neue Kämpfe“ an, die gegenwärtig zwar politischer Natur seien, die zukünftig aber auch bewaffnet ausgetragen werden könnten.

Karadzic drohte sogar in einer Rede vor dem Parlament in Sarajevo am 14. Oktober 1991 speziell den muslimischen Bosniaken mit Völkermord. Das „muslimische Volk“ werde „untergehen, weil es sich nicht verteidigen kann“, kündigte Karadzic vor den Parlamentariern, live vom Fernsehen übertragen, an.

Milosevic starb 2006, kurz vor Urteilsverkündung im Haager Untersuchungsgefängnis des UN-Kriegsverbrechertribunals; Karadzic wurde letztinstanzlich 2019 zu lebenslanger Haft wegen eben des von ihm 1991 angekündigten und 1995 verübten Völkermords und vieler anderer Kriegsverbrechen verurteilt.

Warum aber werden gerade jetzt die Absichten der beiden Serbenführer offen postuliert? Weil es im Westen gelegentlich immer noch als Möglichkeit angesehen wird, Vucic als Stabilitätsfaktor „ins Boot zu holen“. Und genau dies verleiht ihnen den notwendigen Rückenwind und das Selbstbewusstsein, immer aggressiver zu werden.

Zusätzlich beflügeln die gegenwärtigen Erfolge der russischen Invasoren an einigen ukrainischen Frontabschnitten und die Aussicht auf eine Wiederwahl Donald Trumps die Absichten Vucics und Dodiks, alle Serben, die in den Nachbarstaaten Serbiens leben, unter Belgrads Dach zu vereinen. Dies ist durch regelmäßige Aussagen serbischer und bosnisch-serbischer Regierungsvertreter lückenlos belegt.

Vucic sagte am 20. November 2023, zum 182. Gründungstag der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste (SANU): „Ich befürchte, dass dieses Jahr (2024, Anmerkung der Verfasser) nur viel mehr Konflikte und Unruhen bringen wird als das vorherige, (…) ich meine jede Art von Bedrohung in der Republika Srpska, in Kosovo und in anderen Teilen der Region.“ Diese Aussage erinnert erschreckend an Milosevics Amselfeld-Brandrede von 1989.

Bevor Milošević den Zerfall Jugoslawiens mit der Aufhebung des autonomen Status Kosovos 1989 einleitete, beseitigte er 1987 seinen politischen Mentor, den damaligen serbischen Präsidenten Ivan Stambolić. Dieser hatte die Absicht, einen Ausgleich mit den Albanern Kosovos zu finden. Fatalerweise beauftragte er seine rechte Hand Milošević als seinen „ehrlichen Makler“ und schickte ihn auf das Amselfeld. Eine verhängnisvolle Fehlentscheidung, wie sich herausstellte.

Milosevic beseitigte seinen Mentor vorerst politisch, bevor er ihn im Jahr 2000 umbringen ließ. Stambolic war ein weitsichtiger und rationaler Politiker, der 1986 bereits das Ende Jugoslawiens kommen sah. Die SANU hatte in diesem Jahr ein Memorandum verbreitet, das quasi ein Großserbien forderte und den Albanern in Kosovo „demografischen Genozid“ an den Serben vorwarf. Stambolic verurteilte die SANU-Thesen und nannte sie „ein Requiem für Jugoslawien“.

Ironie der Geschichte ist, dass Milosevics Nachfolger Vucic, der damals sein Informationsminister war, nun vor eben dieser Akademie SANU, die die Blaupause zur Zerstörung Jugoslawiens entwarf, eine Rede hielt und „Konflikte“ vorhersagt. Dies sollte als Warnung verstanden werden und alle Alarmglocken in den westlichen Hauptstädten laut läuten lassen.

Nach den von serbischen Paramilitärs verübten Angriffen auf Nato-Soldaten im Mai und kosovarischen Sicherheitskräften im September letzten Jahres in Kosovo stockte die Nato ihre Schutztruppe KFOR binnen Tagen von 3800 auf knapp 4500 auf, die nun auch an der Grenze zu Serbien patrouillieren.

Ohne die schnelle und glasklare Reaktion der Nato wäre der Konflikt höchstwahrscheinlich in einen neuen Krieg eskaliert, denn das hochgerüstete, militärisch übermächtige Serbien hatte bereits Tausende Soldaten in Richtung Kosovo in Marsch gesetzt. Sogar der amerikanische Außenminister Antony Blinken und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg intervenierten telefonisch bei Vucic.

Eine Frage, die immer weiter in den Vordergrund rückt: Wie kann auch das krisengeschüttelte Bosnien beschützt und gerettet werden? Mit der derzeit nur etwa 1300 Soldaten starken EUFOR/Althea-Friedenstruppe wären Konflikte in Bosnien, das fünfmal größer ist als Kosovo, sehr viel schwieriger in den Griff zu bekommen. Eine weitere Nachricht ließ im Februar aufhorchen: Die Nachrichtendienste der USA bewerteten in einem Bericht, dass Dodiks sezessionistische Drohungen zu „gewalttätigen Konflikten“ führen könnten.

Im Dezember 1989 hatte der amerikanische Auslandsnachrichtendienst CIA vorausgesagt, dass im Zuge eines möglichen Zerfalls Jugoslawiens „innerhalb von 18 Monaten“ bewaffnete Konflikte wahrscheinlich seien. Im Juni 1991 überfiel Belgrad mit seiner jugoslawischen Volksarmee zuerst Slowenien und dann Kroatien.

Dr. Manfred Dauster, Vorsitzender Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht a. D., war unter den Hohen Repräsentanten Wolfgang Petritsch und Lord Paddy Ashdown Leiter der Abteilung „Anti Crime and Corruption“ innerhalb des Büros des Hohen Repräsentanten (OHR), und später Richter des Gerichts von Bosnien und Herzegowina.

Alexander Rhotert ist Diplom-Politikwissenschaftler, spezialisiert auf den Westbalkan und Außenpolitik der USA. Er forscht seit 1991 zum ehemaligen Jugoslawien. Er war von 1997 bis 2016 für die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die Beobachtungsmission der Europäischen Union (EUMM) und den Sonderbeauftragten der Europäischen Union (EUSR) im ehemaligen Jugoslawien eingesetzt, zumeist in Bosnien und Herzegowina. Darüber hinaus war er an der Umsetzung des Friedensvertrages von Dayton beteiligt und für das OHR tätig.

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