SICHERHEITSLAGE: VERFASSUNGSSCHUTZ WARNT VOR „STAATSTERRORISMUS“ IN DEUTSCHLAND

Der Inlandsgeheimdienst sorgt sich angesichts internationaler Krisen um die Sicherheitslage in Deutschland. Behördenchef Haldenwang sieht nicht nur ausländische Akteure als Gefahr.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) sieht vor dem Hintergrund der derzeitigen internationalen Krisen ein erhöhtes Risiko für die Sicherheitslage in Deutschland. „Destruktive Akteure aus dem In- und Ausland arbeiten aktiv an einer Destabilisierung unserer Demokratie und unseres Staates“, sagte BfV-Präsident Thomas Haldenwang bei einem Symposium seiner Behörde am Montag in Berlin.

„Dabei bedienen sie sich aller Mittel.“ Konkret nannte Haldenwang Spionage und Cyberangriffe, Einflussnahme, Desinformation, die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen (Proliferation), Sabotage sowie „Staatsterrorismus“.

Russland etwa scheine „keinerlei Rücksicht zu nehmen auf Befindlichkeiten, man agiert sehr robust und versteckt die Aktivitäten teilweise kaum“, erklärte Haldenwang. „Die russischen Dienste nutzen den kompletten Werkzeugkasten.“ Dieser reiche von der klassischen Spionage bis hin zur Repression gegenüber einzelnen Personen oder der Tötung von Regimegegnern oder Oppositionellen.

Besorgt äußerte sich Haldenwang auch über die Entwicklungen im sogenannten „Informationsraum“. Der Verfassungsschutz versteht darunter alle Print- und Onlinemedien und den Cyberraum. In diesem Bereich verstärkten Desinformation, täuschend echt wirkende, manipulierte Bild-, Audio- oder auch Videoaufnahmen, sogenannte Deepfakes, und KI-gestützte Chatbots perspektivisch den „Trend der illegitimen Einflussnahme“, sagte der Geheimdienstchef.

Seine Behörde habe das im Blick, auch vor dem Hintergrund der Wahlen und Großereignisse in diesem Jahr. In Deutschland stehen im Juni sowohl die Europawahl als auch Kommunalwahlen an. Im selben Monat startet außerdem die Fußball-Europameisterschaft. Im Herbst folgen dann die Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen. Der Verfassungsschutz fürchtet eine Zunahme von Desinformationskampagnen, um Einfluss auf diese Wahlen zu nehmen.

Bei Desinformation handelt es sich nach Definition des Inlandsgeheimdienstes um das „bewusste und zielgerichtete Verbreiten falscher oder irreführender Informationen“. Ziel sei die Beeinflussung der öffentlichen Meinung beziehungsweise von Gruppen oder Einzelpersonen, um ein bestimmtes politisches oder wirtschaftliches Anliegen zu unterstützen.

Tiktok: Verbreitungskanal für Desinformation

Als einen Verbreitungsweg für Desinformation sieht Haldenwang die chinesische Video-App Tiktok – und sie werde „immer stärker“, sagte er kürzlich auf einer FDP-Veranstaltung im Bundestag. Auch aus dem Auswärtigen Amt heißt es, dass die App als große, relevante Plattform von Desinformationsakteuren genutzt wird.

Wie brisant das Thema ist, zeigen die Vorgänge um zwei AfD-Politiker in Zusammenhang mit prorussischer Propaganda. Petr Bystron und Maximilian Krah sollen verdeckte Zahlungen entgegengenommen haben und in russische Propaganda-Kanäle verwickelt sein. Sie bestreiten dies jedoch.

Am Montagabend will sich der Parteivorstand erneut mit dem Thema befassen. Der AfD-Bundesvorsitzende Tino Chrupalla sagte der Nachrichtenagentur dpa am Wochenende, dass es für seine Partei „ganz klar rote Linien“ gebe. Es sei klar, dass Meinungen nicht käuflich seien, betonte Chrupalla zudem am Rande eines Landesparteitags in Niedersachsen. Bystron und Krah treten für die AfD bei der Europawahl an.

Generell konstatierte Verfassungsschutzchef Haldenwang, dass die innere Sicherheit „stark abhängig von Konfliktlagen in anderen Teilen der Welt“ sei. „Die stetige Zunahme solcher Konflikte, wachsende Machtbestrebungen autoritärer Staaten und globale Machtverschiebungen haben immer auch Einfluss auf die Sicherheitslage in Deutschland“, sagte er.

Gefahr durch „hochemotionalisierte Personen“

Jüngstes Beispiel ist der Fall mutmaßlicher russischer Spionage in Bayern. Im Raum Bayreuth waren vergangene Woche zwei deutsch-russische Staatsbürger festgenommen worden, die für Moskau Ziele für mögliche Sabotageakte in Deutschland ausgekundschaftet haben sollen.

Dies sollte nach Einschätzung des Generalbundesanwalts vor allem dazu dienen, die militärische Unterstützung der Ukraine aus Deutschland zu unterminieren.

Haldenwang nannte überdies die latente Gefahr von islamistisch motivierten Anschlägen infolge der Ereignisse im Nahen Osten. „Wir richten unser Augenmerk auch auf die Gefahr durch hochemotionalisierte Personen, die durch Trigger-Ereignisse zu Aktionen gegen weiche Ziele inspiriert werden können“, fügte er hinzu. Als weiche Ziele gelten Orte, an denen sich viele Menschen aufhalten.

Im Oktober 2023 hatte ein Attentäter in Brüssel gezielt zwei schwedische Fußballfans angegriffen und getötet. Sicherheitsexperten vermuten als Auslöser (Trigger) für die Tat die öffentlichen Koranverbrennungen in Skandinavien.

Der frühere Leiter des Leitungsstabs des Bundesnachrichtendienstes (BND), Gerhard Conrad, mahnte vor allem während der Fußball-Europameisterschaft in Deutschland zu erhöhter Wachsamkeit. „Das ist ein besonders naheliegendes Anschlagsziel, weil es eine Vielzahl an Angriffsszenarien ermöglicht“, sagte er dem Handelsblatt.

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