SPIONAGE-VERDACHT: POLNISCHER RICHTER FLüCHTET NACH BELARUS UND STELLT ASYLANTRAG IN MINSK

„Ich bitte um die Fürsorge und den Schutz von Präsident Alexander Lukaschenko und Belarus im Allgemeinen.“ Das hat der Pole Tomasz Szmydt am Montag in der belarussischen Hauptstadt Minsk gesagt. Szmydt ist kein Unbekannter. Er hat als Richter mit führenden Politikern der ehemaligen PiS-Regierung von Jaroslaw Kaczynski zusammengearbeitet. „Der Rücktritt vom Richteramt ist Ausdruck des Protests gegen die ungerechte und schädliche Politik der Behörden der Republik Polen gegenüber der Republik Belarus und der Russischen Föderation. Dieser Akt ist auch ein Ausdruck des Protests gegen Handlungen, die darauf abzielen, mein Land in einen direkten bewaffneten Konflikt mit der Republik Belarus und der Russischen Föderation zu bringen“, sagte Szmydt. Er fügte hinzu, dass er in Polen wegen seiner „politischen Unabhängigkeit“ verfolgt worden sei. Szmydt gelang es auch, eine Erklärung gegenüber der kremlnahen Nachrichtenagentur TASS abzugeben, und er trat sogar in einer Fernsehsendung des Putin-Propagandisten Vladimir Solovyov auf.

Dies ist ein beispielloser Skandal. Belarus ist der engste Verbündete Russlands und wird in Warschau als die größte Bedrohung für Polen angesehen. Die polnische Öffentlichkeit kann es kaum glauben: Eine Person aus dem polnischen Justizwesen, die in Belarus um Asyl bittet, entpuppt sich nun als Agent eines feindlichen Landes. Szmydt hat im Warschauer Verwaltungsgericht gearbeitet und in jener Abteilung Urteile gefällt, die sich mit Fällen von Offizieren der uniformierten Dienste und der Sonderdienste befasst. Sein Überlaufen wird aktuell als große Bedrohung angesehen, weil Richter Szmydt Zugang zu staatlichen Geheimnissen hatte.

Der Fall, mit dem Szmydt am stärksten in Verbindung gebracht wird, ist die so genannte „Hass-Affäre“. Während der Regierungszeit der Partei Recht und Gerechtigkeit und des Justizministers und Hardliners Zbigniew Ziobro gab es im Justizministerium eine Sondereinheit, die für die Erstellung von Hass-Material verantwortlich war, das jene Richter diskreditieren sollte, die gegen die von der PiS eingeführten Justizreform protestierten. Die Aufgabe dieser Einheit bestand unter anderem darin, Fake News zu verbreiten.

Szmydt war zu dieser Zeit im Justizministerium tätig. Eine Schlüsselrolle in diesem Team spielte seine damalige Frau Emilia Szmydt, die unter dem Pseudonym „Little Emi“ agierte. Laut einer Untersuchung von Journalisten des Portals Onet wurden den im Internet agierenden Trollen Dokumente aus dem Ministerium von Ziobros Stellvertreter Łukasz Plebiak übergeben. Nach Bekanntwerden dieser Informationen im Jahr 2019 trat Plebiak zurück, ein Vorgang, der während der PiS-Regierung nur selten passierte. Szmydt sagte später aus und bestätigte die Existenz der umstrittenen „Hass-Einheit“.

Szmydt floh genau zu dem Zeitpunkt nach Belarus, als der neue Justizminister Adam Bodnar eine Sondereinheit zur Untersuchung der „Hass-Affäre“ einzurichten begann. Nun behauptet Szmydts ehemaliger Kollege und stellvertretender Minister unter Ziobro, Łukasz Plebiak, dass „Tomasz Szmydt im Justizministerium gelandet war, um auf Anweisung weißrussischer oder russischer Dienste zu handeln“. Die ganze „Hass-Affäre“ sei eine russische oder weißrussische Provokation gewesen, so Plebiak. In einem Gespräch mit Radio RMF FM am Dienstag gab Plebiak zu, dass er Szmydt während seiner Tätigkeit für Ziobro „vertraut“ habe.

„Das ist Hochverrat, der den Interessen Polens schadet“, sagte der Leiter des polnischen Büros für Nationale Sicherheit (BBN), Jacek Siewiera, den Medien. Der Leiter des BBN untersteht dem Präsidenten Andrzej Duda von der PiS-Partei.

Auch Ministerpräsident Donald Tusk von der regierenden Bürgerplattform äußerte sich. „Wir können dieses Thema nicht ignorieren. Es geht hier nicht um Moral oder um reine Sensationslust der Medien. Es geht hier um mehr. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die belarussischen Dienste mit einer Person zusammengearbeitet haben, die Zugang zum Justizminister hatte, der für die Zerstörung des Justizsystems in Polen verantwortlich war, der Zugang zu Informationen hatte, zu denen kein Geheimdienst Zugang haben kann“, sagte Donald Tusk bei einer auswärtigen Kabinettssitzung in Kattowitz. Kurz zuvor war in dem Raum, in dem die Regierung tagen sollte, ein Aufnahmegerät gefunden worden. So war der Dienstag von der Angst vor Spionen geprägt.

Dies ist der zweite prominente Überläufer aus Polen zu Lukaschenko in den letzten Jahren. Lauter war der Fall von Emil Czeczko, einem Soldaten, der die polnische Ostgrenze bewachte und 2021 nach Belarus desertierte. Er ließ sich von Lukaschenkos Propaganda benutzen, indem er dem belarussischen Staatsfernsehen erzählte, polnische Soldaten würden an der Grenze auf Flüchtlinge schießen. Emil Czeczko starb drei Monate nach seiner Desertion unter ungeklärten Umständen, erhängt in Minsk.

Czeczko war ein einfacher Soldat, ein Fünfundzwanzigjähriger ohne Ausbildung, aber mit einer kriminellen Vergangenheit. Nun ist ein Vertreter der neuen rechten Justizelite zu Lukaschenko übergelaufen. Experten und Aktivisten hatten schon seit Jahren davor gewarnt. Es gab z.B. eine ganze Reihe von Personen mit Verbindungen zu Kreisen der russischen Radikalkonservativen um die PiS-Partei und noch radikaleren kleinen rechten Parteien in Polen. Das Ordo Iuris-Institut für Rechtskultur, eine Nichtregierungsorganisation, deren Vertreter höhere Positionen in der PiS-Regierung innehatten, befasste sich beispielsweise mit dem Verbot der Abtreibung oder der Schaffung so genannter „LGBT-freier Zonen“, zusammen mit den lokalen Behörden von Regionen oder Gemeinden.

Es war ein Anwalt von Ordo Iuris, der den nun flüchtigen Szmydt in der „Hass-Affäre“ verteidigte. Derselbe Anwalt, Bartosz Lewandowski, arbeitete auch mit dem Justizministerium Ziobro zusammen. Auch Lewandowski hatte Zugang zu vertraulichen Informationen.

Der Fall der Flucht bringt den ehemaligen Minister Ziobro in Bedrängnis, der auch ohne diesen Fall eine Reihe von Problemen zu bewältigen hat. Kürzlich durchsuchte die Polizei sein Haus und nahm ehemalige Kollegen in einem Fall von vermeintlich veruntreuten Geldern aus dem Justizfonds fest, dem das Ministerium vorsteht. Jetzt, zwei Jahre nach Kriegsbeginn in der Ukraine, entpuppt sich eine ihm nahestehende Person als Agent von Russlands engstem Verbündeten – Belarus.

Dieser Skandal ist aber nicht nur ein Problem für die PiS und Ex-Minister Ziobro. Er ist auch eine Herausforderung, die für die neue Regierung von Donald Tusk auf Dauer unangenehm ist. Nicht nur, dass es den polnischen Geheimdiensten nicht gelungen ist, Szmydts Flucht nach Belarus zu verhindern, was nicht gerade für sie spricht. Der Prozess der Wiederherstellung des Justizsystems durch die Tusk-Regierung nach den Schäden durch die Vorgängerregierung geht eher langsam voran. Wie viele solcher Szmydts verstecken sich noch in verschiedenen Teilen des Staatsapparats?

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