UKRAINE-INVASION, TAG 804: WARUM DIE MILITäRISCHE BEDEUTUNG DER KERTSCHBRüCKE ZUR KRIM ABNIMMT

Russland verschiebt Nachschubroute, Ukraine meldet vereitelten russischen Anschlag auf Selenskyj, Moskau droht mit Angriffen auf britische Militäreinrichtungen. Der Überblick am Abend.

Wie Satellitenaufnahmen zeigen, hat die militärische Bedeutung der Kertschbrücke, die das russische Festland mit der von Moskau annektierten ukrainischen Halbinsel Krim verbindet, in den vergangenen Monaten abgenommen.

Einem Bericht des britischen Nachrichtenportals „The Independent“ zufolge ist Russland dazu übergegangen, den Front-Nachschub auf Schienen und via Autobahn durch die besetzten Gebiete im Süden der Ukraine zu liefern. Hintergrund sollen die Angriffe auf die Kertschbrücke sein – und die seitdem andauernden Drohungen.

„The Independent“ hat Daten ausgewertet, die ihnen Molfar, die größte ukrainische Nachrichtendienst-Agentur, zur Verfügung gestellt hat. Molfar wiederum bezieht seine Informationen unter anderem aus Satellitenaufnahmen des renommierten Unternehmens Maxar.

Den Aufnahmen zufolge wurden in den vergangenen drei Monaten nahezu keine Frachtzüge mit militärischem Equipment auf der Brücke registriert. Bereits zuvor war der militärische Verkehr demnach seit dem letzten schwerwiegenden Angriff im Juli 2023 drastisch zurückgegangen. Danach nannte unter anderem der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die Brücke ein „legitimes militärisches Ziel“ und erklärte, dass sie „Krieg, keinen Frieden bringt“ und zerstört werden müsse.

Vor dem Angriff im Juli 2023 habe Russland täglich 40 Züge mit militärischem Material über die Brücke auf die Krim geschickt, berichtete Wassyl Maljuk, der ukrainische Geheimdienstchef, zuletzt. Mittlerweile überquerten nur noch vier Passagierzüge und ein Güterzug die Brücke pro Tag.

Stattdessen nimmt den untersuchten Daten zufolge der Frachtverkehr auf dem Wasser zwischen der Krim und dem russischen Festland zu – und vor allem der Verkehr in den besetzten Gebieten im Süden der Ukraine. Dort baue Russland sogar neue Bahnlinien, erklärt Molfar-Chef Artem Starosiek.

Da der Verkehr durch die Küstenstädte Mariupol, Berdjansk und Melitopol zunehmen werde, sollte sich die Ukraine nun auf diese konzentrieren, so Starosiek. „Diese Wege sind derzeit eine größere Bedrohung für Russland als die Zugstrecke über die Krimbrücke, die nicht funktioniert“, sagt er. Das müsse auch der Westen bei seinen Waffenhilfen berücksichtigen. Völlig außer Acht lassen sollte Kiew die Kertschbrücke allerdings nicht – aufgrund der politischen Bedeutung.

Auch wenn die Ukraine durch einen erneuten Angriff derzeit militärisch nichts gewinnen würde: Bilder der brennenden Brücke würden den russischen Präsidenten Wladimir Putin, dessen Vorzeigeprojekt diese ist, blamieren.

Die wichtigsten Nachrichten des Tages im Überblick

  • Der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU hat nach eigenen Angaben russische Agenten enttarnt, die die Ermordung des Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und anderer hochrangiger Regierungsvertreter geplant haben sollen. „Die Ermittler der Spionageabwehr und des SBU vereitelten die Pläne des FSB, den Präsidenten der Ukraine und andere Vertreter der obersten militärischen und politischen Führung zu beseitigen“, teilte der SBU am Dienstag auf Telegram mit. Mehr dazu hier.
  • Moskau hat im Falle ukrainischer Angriffe mit britischen Raketen gegen russisches Gebiet Vergeltung an Großbritannien angedroht. Nach Aussagen von Großbritanniens Außenminister David Cameron, wonach die Ukraine das Recht dazu habe, sei der britische Botschafter in Moskau, Nigel Casey, einbestellt und ihm eine Protestnote übergeben worden, teilte das russische Außenministerium am Montag mit. Mehr dazu hier.
  • Kremlchef Wladimir Putin hat offiziell seine fünfte Amtszeit als Präsident Russlands angetreten. Der 71-Jährige wurde am Dienstag bei einer Zeremonie im Großen Kremlpalast in Moskau vereidigt. Russland werde „gestärkt“ hervorgehen aus „dieser schwierigen Zeit“, sagte Putin vor dem Hintergrund des Ukraine-Konflikts. „Gemeinsam werden wir obsiegen.“ Mehr dazu hier.
  • Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bedauert seine Äußerung über „Kaliberexperten“ in der Debatte über Ukraine-Hilfen. Steinmeier habe „sich im Nachhinein selbst über seine Formulierung geärgert“, berichtet der „Stern“ unter Berufung auf das Bundespräsidialamt: „Vor allem, weil er gerade nicht dazu beitragen will, die ohnehin kontroverse Debatte weiter zuzuspitzen.“ Steinmeier hatte in den vergangenen Tagen noch selbstkritische Worte zu den „Kaliberexperten“ vermieden. Mehr dazu hier.
  • Belarus hat nach eigenen Angaben mit einer Militärübung zur Überprüfung seiner Trägersysteme für taktische Atomwaffen begonnen. Auf Befehl von Präsident Alexander Lukaschenko werde die „Bereitschaft“ der Militäreinheiten und der Trägersysteme für taktische Atomwaffen überprüft, erklärte am Dienstag das Verteidigungsministerium in Minsk. Mehr dazu im Newsblog.
  • Russland setzt in der Ukraine nach britischen Schätzungen derzeit etwa 9000 Kämpfer aus Tschetschenien ein. „Es ist wahrscheinlich, dass tschetschenische Spezialeinheiten die Hauptlast der Frontkämpfe tragen, während der Großteil der tschetschenischen Streitkräfte weiterhin Operationen zur Sicherung des Hinterlandes durchführt“, teilte das britische Verteidigungsministerium in London am Dienstag mit.
  • Die Chemiewaffenkontroll-Behörde OPCW sieht keine ausreichenden Beweise für einen Einsatz von Chemiewaffen im Kriegsgebiet in der Ukraine. Russland und die Ukraine hatten sich dessen gegenseitig beschuldigt. Beide Staaten hätten der Behörde dazu Informationen übermittelt, teilte die OPCW am Dienstag in Den Haag mit. Doch diese Anschuldigungen seien „unzureichend begründet“.
  • Bundeskanzler Olaf Scholz hat die großen Schwellenländer aufgefordert, sich stärker für eine Beendigung des Kriegs in der Ukraine einzusetzen. „Je mehr Länder wie China, Brasilien, Indien und viele andere Russland bedeuten: ,Es reicht! Dieser Krieg muss enden, Russland muss Truppen zurückziehen!’, umso größer ist die Chance auf baldigen Frieden“, sagte Scholz am Dienstag.
  • China drängt auf eine Friedenskonferenz, bei der die Ukraine und Russland gleichberechtigt am Verhandlungstisch sitzen. Die Schweiz wird am 15. und 16. Juni Gastgeber einer zweitägigen Friedenskonferenz sein, zu der Russland nicht eingeladen wurde.
  • In Polen haben Spezialeinheiten Abhörgeräte in einem Raum entdeckt, in dem der Ministerrat am Dienstag tagen sollte. Die Sicherheitsdienste hätten die Geräte demontiert, teilt ein Sprecher der Spezialeinheiten auf X mit. Polen dient als Drehscheibe für westliche Militärlieferungen in die Ukraine. Die Sicherheitsdienste achten deswegen verstärkt auf potenzielle Spionageaktivitäten.
  • Russland drohen erstmals scharfe EU-Sanktionen gegen seine milliardenschweren Geschäfte mit Flüssigerdgas (LNG). Wie mehrere Diplomaten der Deutschen Presse-Agentur bestätigten, will die Europäische Kommission verbieten lassen, dass Häfen wie der im belgischen Zeebrugge zur Verschiffung von russischem LNG in Drittstaaten genutzt werden.
  • Der ukrainische Grenzschutz hat eigenen Angaben zufolge drei Männer im wehrfähigen Alter tot aus dem Grenzfluss Theiß geborgen. „Am 6. Mai wurden in der Region Transkarpatien nahe der rumänischen Grenze die Leichen von drei Ertrunkenen aus der Theiß geborgen“, erklärte die Grenzschutzbehörde am Dienstag.

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