USA-BESUCH: PISTORIUS WIRD IN DEN USA DIE ENGE VERBUNDENHEIT BESCHWöREN – DABEI GIBT DURCHAUS DIFFERENZEN

Deutschland konnte sich immer auf Amerika verlassen. Bei seinem US-Besuch will der Verteidigungsminister deutlich machen, dass das auch umgekehrt gilt.

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius erinnert oft an die Zeit, als Deutschland Frontstaat im Kalten Krieg war. Damals habe man sich stets auf die USA verlassen können und auch heute sei die Sicherheit Deutschlands nur mit Amerika zu denken. Umgekehrt müsse sich der wichtigste Verbündete auch auf die Bundesrepublik verlassen können, sagt der SPD-Politiker dann gerne.

Gut zehn Monate nach seinem Antrittsbesuch tourt Pistorius diese Woche erneut durch die Vereinigten Staaten und besucht mit Kanada auch den zweiten Nato-Verbündeten jenseits des Atlantiks. Am Donnerstag wird der Minister seinen US-Amtskollegen Lloyd Austin treffen.

Bei der Visite wird die enge Verbundenheit zwischen den Verbündeten beschworen, aber es gibt durchaus Differenzen. „Die amerikanischen und kanadischen Gesprächspartner und Zuhörerinnen und Zuhörer werden einen deutschen Politiker erleben, der sich der Verantwortung seines Landes für die Sicherheit Europas und den Zusammenhalt in der Nato sehr bewusst ist, die eigene Rolle aber auch gemessen an den Fähigkeiten der USA nicht überschätzt“, sagt der frühere Bundesaußenminister und Vorsitzende der Atlantik-Brücke, Sigmar Gabriel.

Auf jeden Fall wolle Pistorius umsetzen, was seit Jahren von Deutschland gefordert werde, betont der SPD-Politiker: „die Bereitschaft, Führung zu übernehmen“.

Das sind die wichtigsten Themen, die der Verteidigungsminister in Nordamerika besprechen will:

Die Bündnisverpflichtungen und das Zwei-Prozent-Ziel

Vor dem Jubiläumsgipfel der Nato im Juli steht eine mögliche weitere Präsidentschaft Donald Trumps im Raum. Sollte der Ex-Präsident im November gewählt werden, dürften die europäischen Verbündeten mit Sorge nach Washington blicken. Im Wahlkampf hatte Trump gedroht, Alliierte, die nicht mindestens zwei Prozent ihrer Wirtschaftskraft für Verteidigung ausgeben, künftig nicht mehr zu verteidigen.

Aber auch Amtsinhaber Joe Biden erwartet von den Europäern, mehr Verantwortung im Rahmen der Nato zu übernehmen. Während die USA im vergangenen Jahr 3,5 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigung ausgaben, erreicht Deutschland dieses Jahr erstmals seit Ende des Kalten Krieges mit Ach und Krach das Zwei-Prozent-Ziel des Verteidigungsbündnisses.

Und wie die „Zeitenwende“ bei der Bundeswehr nach Auslaufen des 100 Milliarden Euro schweren Sondervermögens finanziert werden soll, ist völlig offen. Während Pistorius durch die USA reist, setzt sich in Berlin Finanzminister Christian Lindner (FDP) mit den Ausgabenwünschen seiner Kabinettskollegen auseinander. Ob Pistorius die erhofften 6,5 Milliarden Euro zusätzlich für seinen Etat bekommt, ist fraglich.

Doch die Erfüllung der Nato-Zusagen – etwa die Bereitstellung einer voll einsatzbereiten Division bis 2025 – steht und fällt mit einer auskömmlichen Finanzierung. Dass Deutschland eine Brigade dauerhaft in Litauen stationieren wolle, dokumentiere aber „die gewachsene Rolle Deutschlands, was eine glaubwürdige Abschreckung Russlands an der Ostflanke des westlichen Bündnisses angeht“, sagt Gabriel.

Die Ukraine unterstützen – aber mit welchen Mitteln?

Die Erleichterung in Berlin war groß, als der US-Kongress im April nach monatelanger Blockade doch noch das 61 Milliarden Dollar schwere neue Rüstungspaket für die Ukraine freigab. Denn auf dem Schlachtfeld drängt der Mangel an Artilleriemunition und Luftverteidigung die Ukrainer in die Defensive.

Pistorius kann darauf verweisen, dass Deutschland nach den USA zweitgrößter Unterstützer der Ukraine ist. Und dennoch dürfte nun auch von Berlin mehr erwartet werden, haben sich die USA doch entschieden, auch ATACMS-Raketen größerer Reichweite an die Ukraine zu liefern. Pistorius kann die deutschen Taurus-Marschflugkörper nicht freigeben, weil Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nicht liefern will.

Schon die Debatte über die Lieferung deutscher Leopard-Panzer hatte in Washington für Irritationen gesorgt, das Zögern des Bundeskanzlers damals wie heute stößt in Gesprächen teilweise auf Unverständnis. Doch steht die Biden-Administration mit ihrer Ukraine-Politik selbst unter Druck. Je länger der Krieg dauert, desto schwieriger wird es für den Präsidenten, die Unterstützung für seinen Kurs aufrechtzuerhalten.

Sein Herausforderer Trump hat erklärt, im Falle eines Wahlsiegs die Hilfen für die Ukraine einfrieren und die Nato schwächen zu wollen. Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan dämpfte diese Woche Hoffnungen auf eine schnelle Wende im Krieg. Die US-Militärhilfe werde dazu beitragen, dass die Ukraine möglicherweise im kommenden Jahr eine Gegenoffensive starten könne, sagte Sullivan.

„Pistorius muss in Washington deutlich machen, dass sich weder Deutschland noch Europa auf dem endlich freigegebenen amerikanischen Hilfspaket für die Ukraine ausruhen“, sagt CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen. Die militärische Lage in der Ukraine werde zunehmend prekär. „Pistorius muss klarmachen, welche zusätzlichen Maßnahmen die Bundesregierung ergreifen wird“, fordert Röttgen.

Buy American sorgt für Tempo, aber verärgert die deutsche Rüstungsindustrie

Der Bundesverteidigungsminister besucht auch den US-Rüstungskonzern Boeing. Das Unternehmen stellt den schweren Transporthubschrauber CH-47F Chinook her, von dem die Luftwaffe 60 Maschinen beschaffen will. Auch die neuen Seefernaufklärer P-8A Poseidon stammen von Boeing.

Pistorius hat die Devise ausgegeben, dass sich bei der Wiederaufrüstung der Bundeswehr alles dem Faktor Zeit unterzuordnen habe. Das führt dazu, dass Deutschland viele marktverfügbare Produkte in den USA einkauft. Große Teile des Sondervermögens sind in Großprojekten wie dem Chinook oder dem Kampfjet F-35 gebunden, von denen US-Hersteller profitieren.

Allerdings hatte die EU-Kommission erst im März eine Europäische Strategie für die Verteidigungsindustrie vorgelegt. Ziel ist, dass die EU-Länder ihre Rüstungsgüter in Zukunft deutlich mehr in Europa beschaffen.

„Wenn sie aber Gerät doch in den USA kaufen, dann erwarten wir deutliche Mitarbeitsanteile für die deutsche Sicherheits- und Verteidigungsindustrie bei Fertigung und vor allem bei der Instandhaltung“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), Hans Christoph Atzpodien. Das sei nicht nur im Interesse der Industrie, sondern auch der gesamtstaatlichen Souveränität.

Mehr geopolitische Verantwortung bis in den Indo-Pazifik hinein

Pistorius dürfte den Besuch auch nutzen, um das deutsche Ziel einer aktiveren Rolle in der Geopolitik glaubhaft zu verkaufen. Vor seinem Abflug nach New York hatte er in Wilhelmshaven noch den Einsatzgruppenversorger „Frankfurt am Main“ verabschiedet. Der startete gemeinsam mit der Fregatte „Baden-Württemberg“ zu einer Weltumrundung im Rahmen des Manövers Indo-Pacific Deployment.

Dass Deutschland auch im Indo-Pazifik mehr Präsenz zeigen will, ist ganz im Sinne der Amerikaner – er gilt als zentrale Region, um Chinas militärische Ambitionen im Südchinesischen Meer einzudämmen. Deutschland beteiligt sich mit Marine- und Luftwaffeneinheiten an dem Großmanöver, das bis Dezember dauert. Neben den US-Streitkräften wird die Bundeswehr auch gemeinsam mit Soldatinnen und Soldaten aus rund zwei Dutzend Nationen üben.

Laut Pistorius will Deutschland zusammen mit Japan im kommenden Jahr möglicherweise auch eine erste gemeinsame Übung der Landstreitkräfte durchführen. Dies dürfte von der US-Regierung als positives Signal gewertet werden, dass sich die Bundesrepublik in der Region stärker engagiert.

Überhaupt wird in Washington mit großem Interesse beobachtet, wie sich Deutschland gegenüber China positioniert. Dass Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) den chinesischen Staats- und Parteichef Xi Jinping während einer USA-Reise als „Diktator“ bezeichnet hatte, wurde seinerzeit wohlwollend aufgenommen.

2024-05-08T05:43:57Z dg43tfdfdgfd