„IM SCHLIMMSTEN FALL DROHT EIN LOKALER ZUSAMMENBRUCH DER FRONT“

Im Osten der Ukraine rücken die russischen Truppen weiter vor. Der österreichische Militärexperte Markus Reisner spricht von einem „möglicherweise größeren Einbruch der Russen“ in der Nähe der Ortschaft Otscheretyne. Nato-Generalsekretär Stoltenberg rügt unterdessen die Mitgliedstaaten.

Die Situation für die ukrainische Armee an der Front im Osten des Landes ist ernst. Der ukrainische Oberbefehlshaber Olexander Syrskyj sprach am Sonntag von einer „verschlechterten Lage“. Auf Facebook schrieb er: „Die Lage ändert sich dynamisch – in einigen Gebieten hat der Feind taktische Erfolge erzielt, in anderen Gebieten konnten wir die taktische Position unserer Truppen verbessern.“

Dynamisch sei „im Militärsprech“ ein Synonym dafür, „dass die Lage ernst ist und sich schnell in eine unerwünschte Richtung entwickeln kann“, sagte Markus Reisner, Oberst des österreichischen Bundesheeres, am Montag der Nachrichtenseite ntv. In der vergangenen Woche sei es zu einem möglicherweise größeren Einbruch der Russen in die ukrainischen Verzögerungs- beziehungsweise Verteidigungsstellungen in der Nähe der Ortschaft Otscheretyne gekommen. Die Situation dort habe das Potenzial, sich zu einem größeren Durchbruch auszuwachsen, warnte Reisner.

Otscheretyne liegt nordwestlich der Stadt Awdijiwka, die die russischen Truppen im Februar nach einem langen, verlustreichen Kampf erobert hatten. „Im schlimmsten Fall“, so sagt der Militärexperte, „droht ein lokaler Zusammenbruch der ukrainischen Front.“

Russen machen Druck auf Tschassiw Jar

Auch das Institut für Kriegsstudien (ISW) aus den USA beobachtet nordwestlich von Awdijiwka wegen der russischen Vorstöße Rückzüge der ukrainischen Truppen. In dem täglich erscheinenden Bericht des Instituts vom Montag heißt es aber auch: „Es bleibt unwahrscheinlich, dass die russischen Streitkräfte in naher Zukunft ein tieferes, operativ bedeutsames Eindringen in das Gebiet erreichen werden.“

Allerdings üben die russischen Truppen auch weiter nördlich Druck aus, nahe der Stadt Bachmut. Die Russen näherten sich der auf einer Anhöhe gelegenen Stadt Tschassiw Jar, heißt es vom ISW, von der aus weitere Vorstöße in die Region Donezk möglich seien.

Die russischen Truppen griffen am Montag unterdessen erneut die Hafenstadt Odessa mit Raketen an. Dabei starben nach ukrainischen Angaben vier Menschen. Zudem wurden demnach 28 Menschen verletzt, darunter zwei Kinder und eine schwangere Frau.

Russland sammelt nach ukrainischen Angaben Kräfte für eine große Sommeroffensive. Die Ukraine wartet unterdessen auf das Eintreffen westlicher Militärhilfe. Die USA hatten nach monatelanger Blockade vergangene Woche ein milliardenschweres Hilfspaket beschlossen. Deutschland lieferte der Ukraine zehn weitere Schützenpanzer vom Typ Marder, wie die Bundesregierung mitteilte. Ein zweites Flugabwehrsystem Skynex gehöre ebenso zu dem Paket wie knapp 30.000 Schuss Munition für den Flugabwehrpanzer Gepard und Munition für das System Iris-T, hieß es. Das Mitte April zugesagte dritte Flugabwehrsystem vom Typ Patriot stand nicht auf der aktualisierten Liste der deutschen Militärhilfe.

Stoltenberg rügt verspätete Nato-Lieferungen an die Ukraine

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg kritisierte bei einem Besuch in Kiew: „Nato-Verbündete haben nicht geliefert, was sie versprochen haben.“ Das habe für die Ukraine „schwerwiegende Folgen auf dem Schlachtfeld“.

Stoltenberg sagte, zusätzliche Waffen und Munition für die Ukraine seien unterwegs, darunter Patriot-Abwehrraketen, mit denen das Land russische Angriffe auf seine Energie-Infrastruktur abwehren könnte. Er gab zu: „Der Mangel an Munition hat es den Russen erlaubt, entlang der Frontlinie vorzustoßen. Das Fehlen von Flugabwehr hat es möglich gemacht, dass mehr russische Raketen ihre Ziele treffen, und der Mangel an Möglichkeiten für weitreichende Schläge hat es den Russen erlaubt, stärkere Kräfte zu konzentrieren.“

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