SCHWACHE VERTEIDIGUNGSANLAGEN: RUSSLAND KöNNTE FüR "TOD DURCH TAUSEND SCHNITTE" SORGEN

Was bringen die nächsten Monate im Ukraine-Krieg? In Kiew rechnet man mit einer großen Offensive im Juni - doch manche Experten halten eine solche Operation gar nicht für nötig. Stattdessen könnte Russland auf viele kleine Vorstöße setzen, um die geschwächten Verteidiger weiter zu zermürben.

In der Ukraine erhöhen die russischen Invasionstruppen den Druck auf die erschöpften Verteidiger. Damit bereiten sie weitere Eroberungen im Frühjahr und Sommer vor, wenn das vom Winter schlammige Gelände trocken ist, sodass Panzer, gepanzerte Fahrzeuge und anderes schweres Gerät besser in Schlüsselpositionen gebracht werden können.

Russland setzt zunehmend satellitengesteuerte Gleitbomben ein, die von Flugzeugen aus sicherer Entfernung abgeworfen werden können, um ukrainische Einheiten zu vernichten, denen es an Soldaten und Munition mangelt. Doch trotz der russischen Überlegenheit bei Feuerkraft und Mannschaftsstärke wäre eine massive Bodenoffensive riskant. Russische Militärblogger und andere Experten halten sie auch für unnötig.

CIA-Chef warnt vor Ukraine-Niederlage in diesem Jahr

Russland könne sich auf kleinere Angriffe an den Fronten beschränken, um das ukrainische Militär weiter zu schwächen, sagen sie. Die ukrainische Offensive im vergangenen Jahr scheiterte, weil ihre Soldaten in riesigen Minenfeldern steckenblieben, wo sie von Artillerie und Drohnen vernichtet wurden. Die Kreml-Truppen haben eigentlich keinen Grund, jetzt den gleichen Fehler zu begehen.

Russland könne auf tausend örtlich begrenzte Offensiven setzen, beschreibt der Militärexperte Michael Kofman von der Carnegie Stiftung die mögliche russische Taktik. Auf diese Weise könnten sie über die Front hinweg schließlich mehr und mehr in offenes Gelände vordringen. Kofman spricht von "einem Tod durch tausend Schnitte". Kyrylo Budanow, der Leiter des Militärgeheimdienstes, sagte hingegen kürzlich der "Washington Post", er gehe davon aus, dass Russland im Juni 2024 eine große Offensive in den Regionen Luhansk und Donezk starten werde.

Verteidigungsanlagen "ziemlich im Rückstand"

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat zwar im November angeordnet, hinter der mehr als 1000 Kilometer langen Frontlinie Gräben, Befestigungen und Bunker anzulegen. Beobachtern zufolge sind die Bauarbeiten aber nur langsam vorangekommen, sodass einige Gebiete nicht geschützt sind. Kofman sagt, die Ukraine sei "ziemlich im Rückstand damit, sich effektiv an der gesamten Front zu verschanzen". Außerdem fehle es an guten rückwärtigen Verteidigungslinien in der zweiten Reihe.

"Wenn die Verteidigungslinien im Voraus gebaut worden wären, hätten sich die Ukrainer nicht so zurückgezogen", sagt der ukrainische Militärexperte Oleh Schdanow. "Wir hätten den ganzen Herbst über Gräben ausheben müssen, um den russischen Vormarsch aufzuhalten. Jetzt liegt alles ungeschützt, und das macht es sehr gefährlich."

Nach der Eroberung des ukrainischen Bollwerks Awdijiwka konzentrieren die Russen ihre Vorstöße auf die Stadt Tschassiw Jar. Von dort aus könnten sie in Richtung Slowjansk und Kramatorsk angreifen, wichtige Städte in dem von Kiew kontrollierten Teil der Region Donezk im Osten der Ukraine. Russland hat Donezk und drei weitere Regionen im Jahr 2022 völkerrechtswidrig annektiert. Für den Kreml ist die vollständige Kontrolle von Donezk besonders wichtig.

Schdanow sagt, die Ukraine verfüge nicht über die Feuerkraft, um russische Angriffe abzuwehren. "Sie haben versichert, sie hätten eine Verteidigungslinie zehn Kilometer hinter Awdijiwka, wo sich unsere Truppen eingraben könnten", sagt er. "Aber es gibt keine."

Einkesselung von Charkiw möglich

Russische Militärblogger und Beobachter sagen, Moskau könne neben den Vorstößen in der Region Donezk auch versuchen, die zweitgrößte ukrainische Stadt Charkiw zu erobern, was ihnen in den ersten Kriegstagen misslungen war. Ein mögliches Anzeichen dafür könnten verstärkte russische Angriffe auf Kraftwerke in der Gegend um die Stadt mit 1,1 Millionen Einwohnern sein, die etwa 30 Kilometer von der russischen Grenze entfernt liegt. Dort gab es bereits erhebliche Schäden und Stromausfälle.

Schdanow sagt, die ukrainische Luftabwehr sei nicht stark genug, um Charkiw und andere Städte zu schützen. Die ständigen russischen Angriffe seien Teil einer Erstickungsstrategie, mit der die Infrastruktur zerstört werden solle, um die Einwohner zur Flucht zu zwingen.

Der russische Ex-General Andrej Gurulew räumt ein, die Einnahme von Charkiw sei eine große Herausforderung. Die russischen Truppen würden wohl versuchen, die Stadt zu umzingeln. "Die Stadt kann eingekesselt und blockiert werden", sagte Gurulew, der jetzt dem Verteidigungsausschuss des Parlaments angehört. Die Einnahme von Charkiw könne den Weg für einen Vorstoß tief in die Ukraine ebnen. Das erfordere aber mehr russische Truppen.

Noch mehr aktuelle Nachrichten finden Sie auf ntv.de

2024-04-19T11:53:11Z dg43tfdfdgfd