VENEDIG VERLANGT EINTRITT VON TOURISTEN: »DISNEYLAND WIRD BESSER VERWALTET«

Venedig verlangt von Tagestouristen ab sofort eine Gebühr. Kann das die Probleme der Lagunenstadt lösen? Die Umweltaktivistin Jane da Mosto sagt, warum sie nichts davon hält und was sie stattdessen fordert.

SPIEGEL: Venedig leidet seit Jahren unter dem Massentourismus. Mitunter prallen bis zu 150.000 Besucher und Besucherinnen auf höchstens 50.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Ab Donnerstag soll zu bestimmten Zeiten ein Eintrittsgeld in Höhe von fünf Euro den Besuch für Tagesgäste und Einwohner angenehmer gestalten. Kann das funktionieren?

Da Mosto: Die Maßnahme ist das falsche Signal. Sie wird das Reiseerlebnis auch nicht wirklich verbessern. Nicht die vielen Touristen sind das Problem, sondern dass die Stadt aus dem sozialen und ökologischen Gleichgewicht geraten ist. Dazu diese Summe, fünf Euro, ein Kinobesuch kostet mehr! Das ist doch abwegig. Ich habe noch niemanden getroffen, der sagt, dass dieses Ticket etwas Positives bringen wird. Die meisten Menschen hier sind besorgt. Wir wissen nicht, wie die Stadtverwaltung das Geld dann einsetzen wird, aber den Besuchern ein paar Euro abzuknöpfen, wird doch die Probleme Venedigs nicht lösen.

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SPIEGEL: Sie sind Direktorin von »We are here Venice«, Sie nennen es Forschungskollektiv und Aktivistenplattform und setzen sich für die Erhaltung Venedigs als lebendige Stadt ein. Was würde denn die Probleme lösen?

Da Mosto: Zum Beispiel bezahlbarer Wohnraum. Warum wird die Kurzzeitvermietung nicht begrenzt wie in vielen anderen Städten? Die Einwohner können sich ein Leben hier nicht leisten. Ich spreche von Pflegern, von Mitarbeitern der Stadtreinigung, Kellnerinnen. Denjenigen, die die Stadt am Laufen halten. Diese Menschen müssten die Touristen gern empfangen. Doch dafür muss die Lebensqualität für sie verbessert und die Umwelt besser geschützt werden. Venedig braucht dringend ein nachhaltiges Verkehrssystem.

SPIEGEL: Was sind Ihre konkreten Forderungen? Wie sollte die Umwelt geschützt werden?

Da Mosto: Die Lagune muss renaturiert werden. Denn nur so kann die Küste und können die Inseln geschützt werden. Da geht es um Biodiversität, um Lebensraum, um Alternativen zum Massentourismus. Moment, hören Sie das?

SPIEGEL: Ja, es brummt. Was ist das?

Da Mosto: Das sind riesige Boote, die sich durch die kleinen Kanäle zwängen, an denen unser Büro liegt. Alle möglichen Monster fahren vorbei. Aber in anderen Städten dürfen Lkw doch auch nicht in alle Straßen fahren.

SPIEGEL: Was transportieren die Boote?

Da Mosto: In Venedig gibt es sehr viele Veranstaltungen, dort benötigt man enorm viel Material, Stühle, Tische, Wasserflaschen. Am Tag danach wird alles wieder abgeholt. Natürlich auch der Müll, den solche Großevents hinterlassen.

SPIEGEL: Vor wenigen Tagen wurde eine Riesenveranstaltung eröffnet, die 60. Biennale, die Kunstinteressierte aus aller Welt anlocken wird. Die Reisesaison beginnt gerade erst, und auch viele Kreuzfahrtschiffe legen trotz Einschränkungen weiterhin in Venedig an. Dabei heißt es seit Jahren, Venedig müsse gerettet werden. Wieso verändert sich denn nichts?

Da Mosto: Das müssten Sie die Regierung fragen. Die großen Schiffe legen am Terminal in Marghera am Festland an – statt wie zuvor am Hafen im Herzen von Venedig – und bedrohen weiter die Lagune. Sie fahren jetzt nur noch ein Stück weiter. Zu allem Überfluss kommen die armen Kreuzfahrtgäste in einem völlig trostlosen Industriegebiet an. Aber was Tourismus anbelangt bestimmt in Venedig eben das Angebot die Nachfrage. Die Stadt ist derzeit auf Blitzbesuche ausgerichtet. In einigen Restaurants isst man nicht gut, die Souvenirs kommen aus weit entfernten Fabriken, viele Touristen essen im Gehen oder auf den Stufen einer Brücke. Man müsste sich die Stadt langsam ansehen, spazierend, staunend, anders.

SPIEGEL: Viele Einwohner vergleichen die Stadt häufig mit dem Themenpark Disneyland, dem Untergang geweiht. Sagen Sie das auch?

Da Mosto: Im Vergleich mit Venedig wird Disneyland besser verwaltet. Die Brücken hier sind brüchig, es gibt Leerstand und Paläste, die bald einstürzen könnten. Die Stadtverwaltung sagt dann, das sei nicht ihr Zuständigkeitsbereich, sondern der des italienischen Kulturministeriums. Viele kleine Handwerksläden sind schon eingegangen, die kleinen Gassen sind vollkommen überfüllt. Der Blumenhändler bei mir um die Ecke muss sein Geschäft wohl schließen. Eventuell bietet er Blumen auf Bestellung an, für die großen Veranstaltungen in der Stadt.

SPIEGEL: Wie also geht es weiter mit Venedig?

Da Mosto: Leider ist die Stadt Spielball verschiedener Interessen. Dagegen muss etwas unternommen werden. Das Privileg, Venedig zu genießen, müsste mit einer Verantwortung einhergehen: Venedig zu schützen. Dafür braucht es kein Eintrittsgeld. Ich bin jeden Tag glücklich darüber, hier aufzuwachen und das Licht Venedigs zu sehen.

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